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       # taz.de -- Berliner HipHop-Album „Kitschkrieg“: Er onaniert im Guccistore
       
       > Normalerweise verhilft das Berliner Produzententrio KitschKrieg dem
       > Deutschrap-Mainstream zum BlingBling. Nun macht es sein eigenes Album.
       
   IMG Bild: Fizzle (Christoph Erkes), °awhodat° (Nicole Schettler) und Fiji Kris (Christian Yun-Song Meyerholz)
       
       Das Produzenten-Tag KKKKKK…itschKrieg ist inzwischen eine eingeführte
       Marke. Schließlich steht es für Beats, die einen Wandel in der deutschen
       Rapszene angestoßen haben. Drohte Trettmann in der Versenkung zu
       verschwinden, wurde er mit Unterstützung des Berliner Künstlerkollektivs in
       den HipHop-Olymp gehoben. KitschKrieg, das sind die beiden Produzenten Fiji
       Kris (Christian Yun-Song Meyerholz) und Fizzle (Christoph Erkes).
       Komplettiert werden sie durch °awhodat° (Nicole Schettler), die sich vor
       allem um das Artwork kümmert.
       
       Das Trio steht für die symbiotische Energie von Musik. Beats, Samples und
       Ästhetik gibt es nur im Gesamtpaket. Ihre Erfolgsgeschichte beginnt 2016
       mit ersten vielversprechenden Projekten. Die drei Berliner produzieren EPs
       von Trettmann und Haiyti und arbeiten mit Joey Bargeld zusammen. Dazu
       liefern sie für die kommerziell erfolgreichen „Palmen aus
       Plastik“-Kollabo-Alben von Bonez MC und Raf Camora Songs. Mit der Single
       „Standard“ (2018) schaffen es KitschKrieg endgültig auf die heimischen
       Pausenhöfe.
       
       So mag es nicht verwundern, dass dieser Smashhit mit Trettmann, Gringo,
       Ufo361 und Gzuz nun ihr gerade veröffentliches Debütalbum eröffnet.
       Versammeln sie hier schon eine ganze Künstlerriege, spinnen sie dieses
       Konzept auf Albumlänge mit 21 (Gast-)Künstler*innen auf 12 Songs weiter.
       Dabei stößt die Auswahl auch auf Kritik. Mit Vybz Kartel greift ein
       verurteilter Straftäter zum Mikro und mit Gzuz und Bonez MC sind zwei
       Rapper vertreten, die frauenfeindliche Texte veröffentlichen; gegen Gzuz
       wurde sogar ein Strafbefehl wegen sexueller Belästigung erlassen.
       
       Wenn KitschKrieg das vor allem als künstlerische Entscheidung begründen,
       kommen viele auf den Gedanken, der Missstand liegt in der Kunstform, also
       im HipHop selbst. Das trifft es aber nicht. Die Krux ist das stumme und
       passive Publikum, das keinerlei Reflexion oder Konsequenz von den Künstlern
       fordert. Im hierzulande männlich geprägten Battle-Rap werden „Mutter-Witze“
       vermehrt als einfallslos verschmäht. Eine Entwicklung, die mit einer
       aktiven Zuhörerschaft zusammenhängt.
       
       ## Nein, du liebst mich nicht
       
       Wer genau hinhört, merkt, dass KitschKrieg in ihrer Soundwelt aus Dub,
       Dancehall, Trap, Autotune (Jan Delay!), Grime und Electronica bleiben.
       Unerwartet klingen sie immer dann, wenn sie reduzierter sind, als es das
       Cover mit bloßem Schriftzug und die Schwarz-Weiß-Vorliebe vermuten lässt.
       So verlassen sie bildlich die konventionelle HipHop-Bühne und klingen durch
       die Mitarbeit des Berliner Technoproduzenten Modeselektor und des Wiener
       Rappers Crack Ignaz mit dem „Nein, du liebst mich nicht“-Hook in
       Dauerschleife sowie Laser- und Pulssound plötzlich nach Dancefloor.
       
       Spannend wird es auch, wenn Künstler-Kombinationen besonders abwegig
       erscheinen. Dabei nutzt das Kollektiv mehrmals die Komponente
       Generationsunterschied: Zwischen Rin und Kool Savas liegen rund 20 Jahre.
       Beide ruhen sich aber nicht auf dem Argument unvereinbarer Styles aus,
       sondern improvisieren munter durcheinander. Während Rin von „Beatswitch“
       rappt, wird Savas’ Stimme durch Grime-Beats in ungewohnte Höhen getrieben.
       
       Die große Stärke von KitschKrieg liegt darin, Geschichten aufzubereiten: So
       liegt auf „Grauer Beton“ (2017) eine wabernde Melancholie, die sich in
       halligen Tropfen-Sounds manifestiert. Beinharte Dringlichkeit steckt auch
       in „Lambo, Lambo“ mit Trettmann und Peter Fox. Darin sinniert Fox munter:
       „Ich onaniere im Gucci-Store / Alle werden geil von dem Lila / ich kenn nur
       Bitches und Whores“, während der Beat aufs Dumpfste tickt. Damit nimmt Fox
       ironisch den Konsumterror auseinander, der in der Szene tonangebend ist.
       Übrigens auch bei vielen anderen, die Reime auf dem Album haben. Die Kunst
       von KitschKrieg schafft hier, was gesellschaftlich zu oft verneint wird –
       Widersprüche zulassen.
       
       Für ihr Debütalbum bedeuten die vielen Features zwar viele Highlights, aber
       insgesamt wird den einzelnen Songs zu wenig künstlerischer Raum zum Fließen
       zugestanden. Man sollte nicht durchskippen, sonst entgeht einem der
       beschriebene Weg vom Chillen im Park bis zum Kampf mit persönlichen Dämonen
       im Wohnzimmer.
       
       10 Sep 2020
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Yuki Schubert
       
       ## TAGS
       
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