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       # taz.de -- Gesetz gegen Hassrede im Netz: NetzDG führte nicht zu Overblocking
       
       > Seit drei Jahren gilt die verschärfen Löschpflicht für Facebook und
       > andere Netzwerke. Befürchtungen der Kritiker haben sich bisher nicht
       > realisiert.
       
   IMG Bild: So leicht lassen sich Hasspostings leider noch nicht entfernen
       
       Freiburg taz | Justizministerin Christine Lambrecht (SPD) ist zufrieden.
       „Wir sehen deutliche Verbesserungen beim Umgang der sozialen Netzwerke mit
       Nutzerbeschwerden über strafbare Inhalte.“ Lambrecht legte an diesem
       Mittwoch die Evaluierung des 2017 beschlossenen NetzDG vor, das eine
       schnelle Löschung von Hasspostings vorschreibt. Es gebe auch keine
       Anhaltspunkte für „Overblocking“, also für die systematisch Löschung
       umstrittener, aber rechtmäßiger Inhalte, so die Ministerin.
       
       Soziale Netzwerke wie Facebook sind schon seit 2007 verpflichtet, strafbare
       Inhalte nach Hinweisen „unverzüglich“ zu löschen. In der Praxis wurden
       Nutzerbeschwerden jedoch überwiegend ignoriert, da Streit und Konflikt gut
       fürs Geschäft der meist werbefinanzierten Netzwerke sind.
       
       2017 beschloss der Bundestag deshalb das NetzDG (Gesetz zur Verbesserung
       der Rechtsdurchsetzung in sozialen Netzwerken), das die sozialen Medien
       verpflichtet, strafbare [1][Hasspostings] in offensichtlichen Fällen binnen
       24 Stunden zu löschen. Wenn kein effizientes Beschwerdemanagement
       eingeführt wird, drohen seither Bußgelder bis zu 50 Millionen Euro.
       
       Gegen das Gesetz gab es damals heftige Proteste, unter anderem von
       Journalistenverbänden. Sie befürchteten, dass die Netzwerke aus Angst vor
       Bußgeldern künftig jede umstrittene Äußerung, über die sich jemand
       beschwert, quasi-automatisch löschen. Dieses Overblocking würde zu einer
       massiven Einschränkung der Meinungsfreiheit im Internet führen, so die
       Sorge.
       
       ## Keine Bußgelder bisher
       
       Um die Kritiker zu besänftigen, beschloss der Bundestag damals eine
       Evaluation des NetzDG nach drei Jahren. Nun liegt der 49-seitige
       Evaluationsbericht der Bundesregierung vor, der im wesentlichen auf einem
       160-seitigen Gutachten des Berliner Rechtsprofessors Martin Eifert basiert.
       
       Danach stellt das Ministerium fest, dass sich das Beschwerdemanagement
       deutlich verbessert hat. Soweit Postings gelöscht wurden, erfolgte dies in
       83 Prozent der Fälle binnen 24 Stunden.
       
       Hinweise auf die systematische Löschung von Postings, die von der freien
       Meinungsäußerung gedeckt sind, gebe es nicht, so der Evaluationsbericht.
       Aus den Übersichten der Netzwerke ergebe sich, dass im Schnitt weniger als
       zwanzig Prozent der Beschwerden zu einer Löschung führten. Von einem
       übervorsichtigen „Durchwinken“ der Beschwerden könne also keine Rede sein.
       Soweit in Einzelfällen Gerichte eine zu Unrecht erfolgte Löschung
       monierten, sei es um Fälle gegangen, bei denen die Netzwerke einen Verstoß
       gegen ihre internen Standards annahmen.
       
       Das angebliche Damoklesschwert der Millionen-Bußgelder kam auch nicht zum
       Einsatz. Zwar gab es beim Bundesamt für Justiz 1352 Beschwerden über
       Postings, die trotz Hinweis nicht gelöscht wurden. Das Bundesamt hat jedoch
       in keinem einzigen Fall ein systemisches Versagen des Hinweismanagements
       der Netzwerke angenommen und deshalb auch kein einziges entsprechendes
       Bußgeld verhängt.
       
       ## Verschärftung in Aussicht
       
       Justizministerin Lambrecht will die Gefahr des Overblocking aber weiterhin
       ernst nehmen und deshalb ein „Gegenvorstellungsverfahren“ einführen. Wenn
       Netzwerke ein Posting als rechtswidrig löschen, das der Urheber jedoch für
       legal hält, soll er vom jeweiligen Netzwerk eine nochmalige Prüfung
       verlangen können – bevor er (mit Kostenrisiko) eine gerichtliche Klage
       erhebt.
       
       Als Erfolg wertete Lambrecht auch die vom NetzDG eingeführte Pflicht,
       halbjährliche Transparenzberichte über den Umgang mit den Beschwerden zu
       erstellen. Bisher gibt es Berichte von Facebook, Twitter, Youtube, Google+,
       Soundcloud, Jodel, Instagramm, Reddit und Tiktok. Während Facebook pro Jahr
       aber nur einige tausend NetzDG-Beschwerden auflistet, sind es bei Youtube
       und Twitter einige Hundertausend.
       
       Grund für diese eklatante Kluft ist, dass Facebook den NetzDG-Meldeweg
       ziemlich versteckte, so dass Beschwerden der Nutzer ganz überwiegend in das
       interne Flagging-Verfahren geleitet wurden. Dort gilt aber nicht das
       deutsche Recht, sondern die internen Community-Standards von Facebook. Das
       Bundesamt für Justiz hat deshalb im Sommer 2019 ein Bußgeld in Höhe von
       zwei Millionen Euro gegen Facebook verhängt.
       
       Unabhängig von der Evaluation hat der Bundestag bereits im Juni eine
       [2][wesentliche Verschärfung des NetzDG beschlossen]. Die Netzwerkbetreiber
       sind bald verpflichtet, gemeldete strafbare Postings nicht nur zu löschen,
       sondern auch dem Bundeskriminalamt anzuzeigen, um eine Strafverfolgung der
       Hetzer sicherzustellen. Die Meldepflicht wird voraussichtlich im August
       2021 in Kraft treten.
       
       Das neue „Gegenvorstellungsverfahren“ soll dann voraussichtlich Ende dieses
       Jahres in einem weiteren Gesetz beschlossen werden.
       
       9 Sep 2020
       
       ## LINKS
       
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