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       # taz.de -- Rapper Yunus über Leben in Hannover: „Ist halt so Niedersachsen“
       
       > Yunus lässt sich von Hannovers Kaschemmen inspirieren. „Rapper mit der
       > Bratsche“ darf man sagen, die Sache mit dem Pur-Partymix will er
       > klarstellen.
       
   IMG Bild: Hat in Hannover Bratsche studiert: Yunus
       
       taz: Yunus, wie schmeckt Malibu-Cola? 
       
       Yunus: Sehr, sehr süß. Das ist ja quasi dieser Kokoslikör gemischt mit
       Cola.
       
       Flockt der Likör dann nicht supereklig aus? Wie Sojamilch in Kaffee? 
       
       Nee, das ist einfach braun.
       
       Sie haben [1][einen Song „Malibu-Cola“ genannt]. Was verbinden Sie damit? 
       
       In dem Song geht es quasi um mein Aufwachsen in Fürstenfeldbruck, einer
       Kleinstadt bei München. Ich bin aufgewachsen in einem Kosmos, in dem alles
       ums bayrische Bier ging. Als Jugendlicher wurde sich sehr viel über Bier
       definiert, über Augustiner und Tegernseer und ich habe irgendwann
       angefangen, weil ich immer rebellieren wollte, komische Getränke zu
       trinken, die ein bisschen weird sind. Aber ich habe jetzt auch nicht auf
       jeder Party Malibu-Cola getrunken.
       
       Jugendsünde, aber kein Lieblingsgetränk? 
       
       Ja, genau. Es ist eher so, dass wenn ich jetzt Konzerte spiele, im
       Backstage dann Malibu und Cola stehen und ich finde das dann auch süß, kann
       mich aber nur bedingt drüber freuen.
       
       Es schmeckt halt scheiße? 
       
       Ja, leider nicht so gut. Es gibt aber noch schlimmere Getränke.
       
       Haben Sie während Ihres Musikstudiums in Hannover mal Lüttje Lage
       getrunken? 
       
       Tatsächlich ist das an mir vorbeigegangen.
       
       Glück gehabt. Sie rappen darüber, dass Sie unbedingt aus Bayern weg
       wollten. Warum dann nach Hannover? 
       
       Ich mag die Stadt. Wenn ich in der Südstadt aufgewachsen wäre, hätte ich
       vielleicht auch ein anderes Verhältnis zu Hannover als jetzt, wo ich in der
       Nordstadt und in Linden als Student in einer Künstlerbubble gelebt habe.
       Mein Problem mit Bayern kommt daher, dass ich als Kind dorthin gezogen
       worden bin. Meine Familie hat vorher in der Nähe von Berlin gelebt. Das war
       für mich ein großer Kulturschock.
       
       Warum? 
       
       Wir sind in einen Vorort von München gezogen und ich habe immer gemerkt,
       dass ich dort nicht hingehöre. Da, wo ich aufgewachsen bin, in diesem
       Speckgürtel von München, ist alles sehr perfekt. Eine Bilderbuchsiedlung
       direkt an einem Feld. Es wird immer versucht, das bloß nicht zu
       beschädigen. Das hat mich immer genervt.
       
       Und wie nehmen Sie Niedersachsen wahr? 
       
       Was ich sehr schätze, ist diese Unaufgeregtheit. Niedersachsen ist halt so
       Niedersachsen. Nach Hannover zieht niemand wegen der Stadt. Alle Menschen
       um mich herum hatten faktisch etwas zu tun, ein Ziel. Es gibt da wenig
       Blender. Das ist auch der Unterschied zu Berlin. Dahin zieht man wegen der
       Stadt und, um gesehen zu werden.
       
       Und um im Studium zu feiern. Geht das in Hannover? 
       
       Klar, bei 90er-Jahre-Partys in der Faust oder am Ruby-Tuesday im Café
       Glocksee. Und wenn Leute krasse Technopartys haben wollen, gibt es das
       auch, aber es ist nicht Berlin. Feiertechnisch ist Hannover eher
       provinziell angehaucht.
       
       Sie haben [2][in Ihrem neuen Podcast] in der Rubrik „Unangenehm ehrlich“
       gestanden, dass Sie keinen Techno mögen. Wäre nicht die größere
       Offenbarung, dass Sie als Rapper Pur hören? 
       
       Dieses Pur-Thema verfolgt mich. Ich habe eine Vorliebe für so deutsche
       Rockmusik-Schlager-Geschichten. Während ich Musik studiert habe, habe ich
       angefangen, Freunde von mir aus der Reserve zu locken, indem ich gesagt
       habe, ich sei großer Pur-Fan. Dabei kannte ich nur „Lena“ vom Pur-Partymix.
       Irgendwie hat sich das dann verselbstständigt. Vor zwei, drei Jahren habe
       ich sogar Karten fürs Pur-Konzert zu Weihnachten bekommen. Aber jetzt
       können wir das vielleicht ein für alle mal klären: Ich mag Pur, die bleiben
       sich treu, aber ich bin jetzt nicht Pur-Verfechter.
       
       So oder so, so eine Aussage gibt Ihnen jetzt nicht unglaublich viel
       Streetcredibility …
       
       Wenn man in der Nähe von München aufgewachsen ist, Bratsche studiert hat,
       aus dem Poetry Slam kommt und aussieht wie ich, ist Streetcredibility
       sowieso ein Begriff, mit dem ich nicht dienen kann und mit dem ich nicht
       dienen möchte.
       
       Trotzdem liegen Ihre Wurzeln im Battle-Rap. Wie verirrt sich ein
       Spargeltarzan mit Bratschenunterricht da hin? 
       
       Das, wo ich am meisten herkomme, ist Hip-Hop, Deutschrap. Und es gab 2011
       ein Format, das Videobattleturnier, bei dem sich Dudes wie ich, die
       irgendwelche Vorstadtkids waren, gegenseitig auf Beats beschimpfen konnten.
       
       Wie genau läuft so was ab? 
       
       Man konnte auf einer Internetseite seine Qualifikation einreichen, ein
       einminütiges selbstgedrehtes Rapvideo. Dann wurden Paarungen ausgelost und
       ein Instrumental ausgesucht. Danach hatte man eine Woche Zeit, um den Text
       zu schreiben und ein Video aufzunehmen, bevor die Jury entschieden hat,
       wer gewinnt.
       
       Stört es Sie manchmal, dass [3][Männer im Hip-Hop] oft so einen auf hart
       machen müssen? 
       
       Ich finde es schwierig, wenn Leute Hip-Hop kritisieren, die wenig Ahnung
       von der Musikrichtung haben. Leute, die die Sprache nicht sprechen und
       nicht verstehen, woher das kommt, sich aber darüber erheben und sagen, das
       sei ein falsches Männlichkeitsbild. Natürlich ist das so, aber deutscher
       Hip-Hop ist so vielschichtig, dass mir das manchmal zu simpel ist.
       
       Wie hilfreich ist es für Sie im Hip-Hop, dass Sie ausgebildeter Musiker
       sind? 
       
       Ich glaube, das steht mir manchmal sogar eher im Weg. Ich musste mich nach
       meinem Studium von der musikalischen Ausbildung frei machen. Es geht nur um
       den Song, den Vibe, den Text, Melodien. Ich will damit nicht kompositorisch
       das Feuilleton begeistern.
       
       Ihre Musik hört sich nicht an, als wäre sie gesampelt. Schreiben Sie alles
       selbst? 
       
       Ja.
       
       Nervt es Sie manchmal schon, dass Sie von außen als der Rapper mit der
       Bratsche wahrgenommen werden, oder kämpfen Sie noch darum, überhaupt von
       außen wahrgenommen zu werden? 
       
       Nein, das nervt mich gar nicht. Ich bin gern der Rapper mit der Bratsche.
       Das ist eine Farbe, die ich in meine Musik mit einbringe.
       
       Was für Erlebnisse werden bei Ihnen zu Musik? 
       
       Ich versuche täglich zu schreiben. Es ist relativ einfach, einen, zwei
       oder drei Songs zu schreiben, aber schwierig, langfristig Material zu
       haben. Deswegen muss eine Routine reinkommen. Ich schreibe über die Welt um
       mich herum.
       
       So wie den [4][Besuch bei Helena]? 
       
       Genau, das war ein Kneipenbesuch in dieser alten Nordstadtschänke in
       Hannover. Helena ist eine reale Barfrau, aber leider gibt es die Kneipe
       jetzt nicht mehr.
       
       „Helena, mach mir noch ein Bier. Ich hab Durst und die Welt bricht grad
       zusammen.“ 
       
       Ich bin mit Freunden oft dran vorbeigegangen und wir wollten auf gar keinen
       Fall dort rein, weil das wirklich eine richtige Kaschemme war und dann sind
       wir eines Abends sehr, sehr besoffen und irgendwie alle auch sehr traurig
       doch da gelandet. Der Gast, Roland, den ich in dem Song beschreibe, war
       auch real.
       
       „Ein Mann stramm wie ' ne Rakete – gebannt von der Tapete.“ 
       
       Aus so einem Erlebnis oder auch aus einem Gefühl, einem Liebeskummer,
       können mehrere Songs entstehen, wenn man sie von verschiedenen Seiten
       betrachtet.
       
       Hat Sie Hannover noch zu mehr Liedern inspiriert? 
       
       Vielleicht nicht konkret, aber sie sind in meiner Zeit dort entstanden und
       ich verbinde viele Lieder extrem damit.
       
       Trotzdem sind Sie gerade nach Berlin gezogen. Ist Hannover, wenn man
       wirklich auf die Musik setzen will, doch ein bisschen zu unbedeutend? 
       
       Nein. Ich habe sieben Jahre in Hannover gelebt und wollte in der Coronazeit
       einfach mal für ein paar Monate rauskommen. Es ist noch nicht klar, wie
       lange ich bleibe. Klar, man hat in Berlin mehr Möglichkeiten, aber auch
       mehr Ablenkung. Das ist in Hannover nicht so das Problem.
       
       2 Nov 2020
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://yunusmalibu.bandcamp.com/album/malibu-cola-ep
   DIR [2] https://www.listennotes.com/de/podcasts/unnat%C3%BCrlich-blond-yunus-und-philipp-potthast-eAQm28w7-Tp/
   DIR [3] /Hate-Speech-Kontroverse-im-Deutschrap/!5669643/
   DIR [4] https://www.youtube.com/watch?v=6I4eikyS7Y4
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Andrea Maestro
       
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