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       # taz.de -- Evakuierung geretteter Bootsflüchtlinge: Viele Monate statt weniger Wochen
       
       > Berlin braucht zu lange, um gerettete Bootsflüchtlinge nach Deutschland
       > zu bringen. Sie verharren unter unwürdigen Bedingungen in Italien und
       > Malta.
       
   IMG Bild: In Bedrängnis: Aktivist*innen übernehmen auf dem Mittelmeer die Seenotrettung
       
       Berlin taz | Deutschland lässt sich Zeit: In Fällen, in denen die
       Bundesregierung zugesichert hat, im Mittelmeer gerettete Flüchtlinge
       aufzunehmen, dauert es im Schnitt zwei bis neun Monate, bis diese
       tatsächlich hier ankommen – wenn sie nicht noch immer darauf warten. Das
       geht aus der Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der
       Linken-Bundestagsabgeordneten Ulla Jelpke hervor. „Die deutschen Behörden
       müssen ihre Verzögerungstaktik schleunigst beenden!“, fordert sie.
       
       Eigentlich ist im sogenannten [1][Malta-Abkommen] vom September 2019
       festgelegt, dass die Bundesregierung einen Anteil der Geretteten aus dem
       Mittelmeer innerhalb von vier Wochen nach Deutschland bringt. Dadurch, dass
       ein Teil der Flüchtlinge ausgeflogen und ihre Asylansprüche in Deutschland
       und dem Mitunterzeichner-Land Frankreich geprüft werden, sollten sogenannte
       Stand-offs beendet werden: Die Mittelmeerstaaten Italien und Malta
       fürchten, mit den Flüchtlingen alleingelassen zu werden, und verweigern
       privaten Rettungsschiffen deshalb oft die Anlegeerlaubnis.
       
       Immer wieder hatten Rettungschiffe teils wochenlang auf dem Mittelmeer
       warten müssen; an Bord unternahmen verzweifelte Flüchtlinge mitunter
       Suizidversuche. Mit dem im Malta-Abkommen verankerten temporären
       Verteilungsmechanismus sollten solche Szenen der Vergangenheit angehören.
       Nur scheint sich Deutschland nicht an die zeitlichen Vorgaben des Abkommens
       zu halten.
       
       Die Bundesregierung verweist auf die Coronapandemie, die „zu einer
       deutlichen Verzögerung der Einreisen“ geführt habe. Aus ihrer Antwort auf
       Jelpkes Anfrage geht aber auch hervor, dass im gesamten Zeitraum seit
       September 2019 die Wartezeiten zwar schwankten, aber nie unter
       durchschnittlich zwei (Malta) und drei (Italien) Monate sanken. Auch vor
       der Coronakrise ab Februar 2020 mussten die Geretteten im Schnitt also
       mindestens doppelt so lange warten wie vorgesehen.
       
       ## „Jede Verzögerung schafft immenses Leid“
       
       Daran liegt es wohl auch, dass viele der Flüchtlinge, die laut Abkommen
       eigentlich schon längst hier sein sollten, immer noch in Italien und Malta
       sind. Denn auch das geht aus der Antwort der Bundesregierung hervor: Laut
       dem Verteilungsmechanismus hätten bis September 2020 rund 700 Flüchtlinge
       nach Deutschland gebracht werden sollen – tatsächlich waren es bisher aber
       nur 397. Dies zeige „einmal mehr den erbärmlichen Zustand der
       EU-Asylpolitik“, sagt Fragestellerin Ulla Jelpke. „Der Verweis auf
       coronabedingte Verzögerungen ist nichts als eine billige Ausrede.“
       
       Der Europa-Experte von Pro Asyl, Karl Kopp, sagt: „Jede Verzögerung schafft
       immenses Leid.“ Die Flüchtlinge müssten in Malta unter „erbärmlichsten
       Bedingungen“ leben. Ohnehin habe das Malta-Abkommen sein Ziel verfehlt,
       meint Kopp. Private Seenotretter*innen werden weiter bedrängt; Stand-offs,
       bei denen Italien und Malta die privaten Rettungsschiffe nicht anlegen
       lassen, [2][gibt es weiterhin regelmäßig].
       
       Ob das auch daran liegt, dass Deutschland sich so viel Zeit dabei lässt,
       die Flüchtlinge hierherzuholen? „Dass es so lange dauert, bis die
       Bootsflüchtlinge herkommen, begünstigt die harte Haltung Maltas gegenüber
       Geflüchteten und Seenotretter*innen“, sagt Kopp. „Es wäre wichtig, dass
       diese Menschen schnell nach Deutschland kommen.“
       
       Der Experte fordert einen europäischen Mechanismus, der für „eine zügige
       Verteilung nach humanitären Kriterien“ sorgt. Außerdem brauche es endlich
       ein europäisches staatliches Seenotrettungsprogramm.
       
       18 Sep 2020
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Innenministertreffen-zur-Seenotrettung/!5629312
   DIR [2] /Seenotrettung-im-Mittelmeer/!5710624
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Frederik Eikmanns
       
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