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       # taz.de -- Rolle der EU beim Klimaschutz: Vorbild für die Welt?
       
       > Um das Pariser Abkommen einzuhalten, muss dringend gehandelt werden.
       > Europa könnte dabei international eine Schlüsselrolle spielen.
       
   IMG Bild: Hat 55 Prozent Emissionsrückgang bis 2030 angekündigt: EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen
       
       Ob das international gefeierte Pariser Klimaabkommen das Klima rettet, wird
       sich am Ende des Jahres zeigen. Dann müssen alle Staaten, die es
       unterzeichnet haben, beim Sekretariat der Klimarahmenkonvention in Bonn
       überarbeitete Klimaschutzpläne einreichen. Aktuell würden die beschlossenen
       nationalen Ziele zu einer Erderhitzung von etwa 2,3 bis 3,5 Grad führen.
       
       Mit dem Pariser Abkommen wurde dagegen 2015 beschlossen, die Erhitzung auf
       deutlich unter 2, [1][möglichst 1,5 Grad] zu begrenzen. Dazu sieht es vor,
       dass alle Staaten im 5-Jahres-Rhythmus stärkere Klimaschutzpläne
       einreichen.
       
       Viele Länder haben jedoch aktuell andere Prioritäten. Für das Klima ist
       dies eine Katastrophe, denn gerade jetzt böte sich mit den gigantischen
       Coronawirtschaftshilfen von weltweit über 11 Billionen Euro eine
       einzigartige Möglichkeit. Um die gesamte Wirtschaft klimafreundlich
       umzubauen, wären Investitionen ausschließlich in entsprechende Technologien
       notwendig.
       
       Das Pariser Klimaabkommen sieht vor, dass die nationalen Klimaschutzpläne
       neun Monate vor der UN-Klimakonferenz 2020 eingereicht werden. Nachdem der
       Glasgower Gipfel aufgrund der Pandemie um ein Jahr auf November 2021
       verschoben wurde, gibt es für viele Länder noch weniger Anreiz, ihre Ziele
       zu erhöhen. Hier ist nun der Blick auf die EU spannend: Sie reicht für alle
       27 Mitgliedstaaten ein gemeinsames Ziel ein und könnte mit einem
       engagierten Klimaschutzplan andere Länder antreiben.
       
       ## Ein Budget von 336 Gigatonnen CO2
       
       Um die 1,5-Grad-Grenze mit Zwei-Drittel-Wahrscheinlichkeit nicht zu
       durchbrechen, dürfen weltweit noch höchstens 336 Gigatonnen CO2 emittiert
       werden. Mit den aktuellen Emissionen von 42 Gigatonnen pro Jahr wäre dieses
       Budget in acht Jahren, also 2028, aufgebraucht. Auf EU-Ebene erschien es
       bis vor Kurzem unwahrscheinlich, dass Ziele beschlossen werden könnten, die
       das entsprechende Budget einhalten.
       
       Umso mehr überrascht die aktuelle Bewegung in der EU: Im Europaparlament
       fordert der Umweltausschuss 60 Prozent Emissionsreduktion bis 2030
       gegenüber dem Niveau von 1990. Selbst der eher konservative Ausschuss für
       Energie und Industrie fordert mindestens 55 Prozent Minderung. Es ist daher
       möglich, dass sich das EU-Parlament am 5. Oktober der 60-Prozent-Forderung
       anschließt. Die Mehrheitsverhältnisse aus dem Umweltausschuss könnten auch
       im Plenum reichen.
       
       EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat vergangene Woche als
       Ziel mindestens 55 Prozent Emissionsrückgang bis 2030 präsentiert. Dies
       erfolgte auf Basis einer Folgenabschätzung, die eindeutig ergeben habe,
       dass Wirtschaft und Industrie die Verschärfung bewältigen können.
       
       Dies ist allerdings weniger ambitioniert als auf den ersten Blick
       ersichtlich. Denn in das neue Ziel sollen auch natürliche CO2-Senken wie
       Wälder mit einbezogen werden. Dies führt nach Berechnungen des
       Öko-Instituts zu einer effektiv um 3 Prozentpunkte geringeren Reduktion.
       Der zuständige Kommissar Frans Timmermans wich Fragen danach in seiner
       Präsentation aus.
       
       ## Kritik am 55-Prozent-Ziel
       
       Von der Leyen betonte, dass mit dem 55-Prozent-Ziel die 1,5-Grad-Grenze
       eingehalten werden könne, wenn andere nachziehen. Dabei geht die Kommission
       davon aus, dass der EU ein CO2-Restbudget anteilig ihrer aktuellen
       Emissionen zusteht. Global gerecht ist dies mit Blick auf historische
       Emissionen und die Wirtschaftskraft einzelner Länder jedoch nicht.
       Umweltorganisationen wie Germanwatch und der Deutsche Naturschutzring
       fordern deshalb EU-weit mindestens 65 Prozent Emissionsreduktion.
       
       Ebenfalls kritisch, allerdings aus anderen Gründen, sehen Mitgliedstaaten
       der EU die Ziele. Vor allem Polen, Tschechien und Ungarn weigern sich
       bislang, höhere Verpflichtungen zu akzeptieren, und verweisen auf die große
       Herausforderung ihrer Transformation.
       
       Einzelne Regierungen wie die der Niederlande, von Schweden oder Dänemark
       wären hingegen auch für ein 65-Prozent-Ziel offen. Ihre Stimmen sind
       allerdings deutlich leiser als die der Bremser. Hinzu kommt: Auch viele
       einflussreiche Lobbyverbände wie der Bundesverband der Deutschen Industrie
       halten eine Erhöhung für überambitioniert.
       
       Der Vorschlag der EU-Kommission geht nun in den Trilog, eine Abstimmung
       zwischen Parlament, Kommission und Ministerrat. Um auch Länder wie Polen zu
       überzeugen, gibt es unter anderem den Just Transition Fund für
       klimafreundlichen Umbau der Wirtschaft in allen Regionen. Bis 2027 soll er
       17,5 Milliarden Euro verteilen. Insgesamt erscheint so ein Ziel von 55
       Prozent Emissionsminderung realistisch.
       
       ## Die EU könnte eine neue Dynamik entfachen
       
       Auch wenn die EU ihre Zielerhöhung erst Ende des Jahres offiziell beim
       Klimasekretariat einreicht, bleibt dennoch zu hoffen, dass sie damit
       weltweit eine neue Dynamik entfacht. Denn bislang haben nur wenige Länder
       angekündigt, dass sie ihre nationalen Klimaziele anheben wollen: lediglich
       Chile, Norwegen und zwölf weitere. Eines davon ist nun auch China, das am
       Dienstagabend [2][ankündigte, bis 2060 CO2-neutral] sein zu wollen.
       
       Dies bedeutet gleichwohl nicht, dass solche Ziele 1,5-Grad-konform wären.
       Chiles neue Pläne bewertet die „Climate Action Tracker“-Vereinigung nun
       statt mit „extrem ungenügend“ nur noch mit „ungenügend“. Einige große
       Emittenten haben sogar angekündigt, ihre Ziele nicht zu erhöhen:
       Australien, Japan, Russland und die USA. Letztere haben das Pariser
       Abkommen sogar ganz gekündigt.
       
       Daneben gibt es noch 152 weitere Staaten, von denen bisher keine Infos
       bekannt sind. Wenn die EU hier eine ehrgeizige Vorlage liefert, hätten die
       anderen Länder wenigstens nicht die Ausrede, dass mehr Klimaschutz nicht
       möglich sei.
       
       27 Sep 2020
       
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