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       # taz.de -- Trump, Biden und Schröder: Dieser gewisse Starrsinn
       
       > Dickfelligkeit und das Unvermögen, sich einfach mal zurückzuhalten: Diese
       > Eigenschaften teilen sich Menschen wie Trump, Biden und Schröder.
       
   IMG Bild: Übertragung des TV-Duells zwischen Trump und Biden in einem Restaurant in Kalifornien
       
       Ich weiß, ich komme spät zu dieser Party, aber: Wir müssen über alte weiße
       Männer reden. Viele von Ihnen werden jetzt aufstöhnen, boah nee, nicht
       schon wieder!, oder gleich die Zeitung/das Tablet/das Handy von sich werfen
       und gar nicht erst weiterlesen. Aber Sie haben vermutlich auch nicht am
       Dienstag das erste TV-Duell der beiden [1][US-Präsidentschaftskandidaten]
       geguckt.
       
       Ich fasse mal kurz für Sie zusammen: Es war kaum zu ertragen. Und das schon
       nach fünf Minuten. Die Ursache dessen war, dass Donald Trump sich
       offenkundig vorgenommen hatte, Joe Biden einfach vollfrontal plattzuwalzen,
       mindestens 128-mal zu unterbrechen und ansonsten offener denn je
       Falschinformationen (über die Briefwahl), Demütigungen (von Bidens Söhnen)
       und Drohungen (in Bezug auf seine Akzeptanz einer möglichen Niederlage) zu
       verbreiten. Biden versuchte immer wieder das Gespräch ins Ernsthafte zu
       lenken, aber die Gelegenheit, Trump vorzuführen, war natürlich auch
       verlockend, und so wurde dies das erste TV-Duell der US-Geschichte, in dem
       ein amtierender Präsident von seinem Gegner „Clown“ genannt und gebeten
       wurde, doch jetzt einfach mal „die Klappe zu halten“. Nachvollziehbar und
       doch irgendwie schal.
       
       Komplettiert wurde das Bild von Fox-News-Moderator Chris Wallace, der ab
       und an mal zaghaft eingriff, aber ansonsten – und wem wäre es da anders
       gegangen? – vollkommen überwältigt schien von dem, was sich da auf dem
       Podium vor ihm abspielte. Es war nicht vorgesehen, den Rednern das Mikro
       abzudrehen; man hatte sich originellerweise darauf verlassen, Trump werde
       sich schon an die vereinbarten zwei Minuten Redezeit halten. Eine
       wahrhaftige „Shitshow“, wie es eine Kollegin auf CNN später treffend
       beschrieb, und derart schlimm, dass die Kommission, die diese
       Fernsehdebatten ausrichtet, das Konzept für die zwei noch folgenden nun
       überarbeiten will.
       
       ## Hochemotionale Zicken
       
       Von der Besorgnis mal abgesehen, wie übel es um die Verfasstheit der
       US-amerikanischen Politik inzwischen steht, drängte sich der geneigten
       Zuschauerin auch die Frage auf, ob es genauso um jene Politik stünde, wenn
       nicht zwei respektive drei alte weiße Männer einander 90 Minuten lang ins
       Wort gefallen wären, sondern zum Beispiel – verrückt, ich weiß – zwei
       Frauen. Aber die würden schon allein deshalb anders miteinander
       diskutieren, weil sie die berechtigte Befürchtung hätten, vor der
       Öffentlichkeit als hochemotionale Zicken dazustehen. Haben wir also erst
       dann wahre Gleichberechtigung erreicht, wenn diversere Kandidat*innen sich
       genauso eine „Debatte“ liefern wie Trump und Biden?
       
       Fürchte schon, hoffe nicht.
       
       Nachahmenswert genauso wenig [2][Gerhard Schröder], der sich in dieser
       Woche über die Diskussion der Zukunft von [3][Nordstream 2] wegen der
       Vergiftung Alexei Nawalnys ärgerte; das eine habe mit dem anderen „nichts
       zu tun“. Und das ohnehin schon gequälte Bullshit-Radar piepste auf: Nicht
       jetzt, Gerd, es passt gerade wirklich ganz schlecht. Seine Partei trägt
       immer schwerer an der Scham, dass ausgerechnet ihr Altkanzler eine
       lukrative Freundschaft mit einem Staatsoberhaupt pflegt, das zumindest
       nichts dagegen zu haben scheint, wenn seine Kritiker*innen öffentliche Tode
       sterben.
       
       Aber Schröder macht, weil Schröder kann. Er ist inzwischen ja auch schon
       zweimal so lange für die russische Energiewirtschaft im Einsatz wie für die
       Bundesrepublik Deutschland, die ihn damals frecherweise abgewählt hat und
       also nicht zu erwarten hat, dass man sich dem Wertekanon seines früheren
       Amts noch irgendwie verpflichtet fühlte.
       
       ## Alter, weißer Mann
       
       Ich möchte aber an dieser Stelle die Gelegenheit nutzen, einmal
       klarzustellen, dass es bei der Diskussion über alte weiße Männer keineswegs
       um alte weiße Männer geht. Natürlich ist der alte weiße Mann ein
       gesellschaftliches Stereotyp. Aber dieser ganz gewisse Starrsinn, gepaart
       mit einem von gut gemeint (Biden) über dickfellig (Schröder) bis
       manipulativ (Trump) ausgeprägten Unvermögen, sich einfach mal
       zurückzuhalten, zeigt sich schon auffallend häufig bei Personen, die die
       Attribute alt – weiß – männlich vereinen. Welche ja weder für sich allein
       genommen noch miteinander kombiniert irgendeine Art von Makel sind, sondern
       lediglich Merkmale.
       
       Jedenfalls: Wem die stille Fassungslosigkeit, die einen in dieser Woche
       sowohl hüben (73 Millionen US-Amerikaner*innen sahen das TV-Duell, und ich
       begegnete vorhin in Dallas, Texas einem Taxifahrer, der extra einen
       Gratis-Umweg fuhr, nur um sich länger darüber austauschen zu können) wie
       drüben ereilte, zuvor gänzlich fremd war – der saß wohl noch nie als Frau
       in einer Besprechung oder einer Talkshow, von sozialen Medien ganz zu
       schweigen.
       
       Vermutlich sollten wir ab jetzt auch öfter mal „Will you shut up, man?“
       sagen.
       
       1 Oct 2020
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Johanna Roth
       
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