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       # taz.de -- Finanzcasino aufgrund von Corona: Wenn Büros leer stehen
       
       > Dank Corona kommt das Homeoffice in Mode. Städter können aufs Land
       > ziehen, Firmen ihre Büros verkleinern. Bei Immobilienfonds ändert sich
       > alles.
       
   IMG Bild: Wer soll eigentlich die Ausstattung eines Home Office bezahlen?
       
       Meine Friseurin ist nervös: Wie soll sie ihr Geld anlegen? Denn als
       Selbstständige muss sie privat fürs Alter vorsorgen. Soll sie also eine
       Wohnung kaufen? Diese Frage war zu kompliziert, um sie bei einem
       Haarschnitt abzuhandeln. Der Immobilienmarkt ist sowieso kaum zu
       prognostizieren – und Corona macht es noch schwerer.
       
       Denn Corona ist nicht nur eine Pandemie, sondern der Beginn einer neuen
       Lebensform. Selbst wenn der Erreger längst bekämpft sein sollte, wird es
       [1][normal bleiben, auch zu Hause zu arbeiten]. Dieser Trend zum Homeoffice
       verändert die Immobilienmärkte fundamental: Viele Büroflächen werden
       überflüssig, und Beschäftigte können frei wählen, wo sie wohnen, denn einen
       Internetanschluss gibt es überall. Die Dörfer könnten sich beleben, während
       sich die Ballungszentren entleeren. Wer perspektivisch denkt, kauft sich
       vielleicht besser ein Haus in der Provinz und nicht in Berlin-Tempelhof.
       
       Das Thema Homeoffice ist der seltene Fall, wo sich die Interessen von
       Beschäftigten und Unternehmern decken. Wie eine Studie des
       Bundesarbeitsministeriums ermittelte, waren 87 Prozent der Angestellten
       „sehr zufrieden“ oder „zufrieden“, als sie coronabedingt zu Hause blieben.
       Auch die Firmenchefs konnten nicht klagen: Die zeitweise 14,6 Millionen
       Heimarbeiter erwiesen sich als mindestens so eifrig wie die Bürobesetzung.
       
       Die Betriebe bemerken jetzt, wie lukrativ es wäre, auf einen Anachronismus
       zu verzichten: In der Produktion wurde schon immer rationalisiert – doch
       bei den Büroflächen ging es extrem üppig zu. Experten schätzen, dass
       Büroangestellte in Deutschland im Durchschnitt über 30 Quadratmeter
       verfügen, während es im restlichen Europa und den USA nur 14 bis 18
       Quadratmeter sind. In Deutschland ließen sich Milliarden Euro sparen, wenn
       die Angestellten teilweise zu Hause arbeiten würden.
       
       ## Verstädterung war gestern
       
       Mietverträge für Büroflächen laufen meist mehrere Jahre, so dass es dauern
       wird, bis sich Versicherungen, Anwaltskanzleien oder Verbände räumlich
       verkleinern. Aber mittelfristig dürften viele Büros leer stehen.
       
       Noch sind viele Fragen offen: Wer zahlt, wenn man sich im Homeoffice beim
       Gang zur Toilette den Fuß verstaucht? Im Büro hätte der Arbeitgeber
       gehaftet. Wer kommt für den Strom auf, den der heimische Computer
       verbraucht, während man dienstlich beschäftigt ist? Wie wird die
       Arbeitszeit erfasst, und welche Arbeitszeiten sind erlaubt? Wer zahlt für
       das Arbeitszimmer: Müssen sich die Firmen an den Bau- oder Mietkosten
       beteiligen? Was ist mit der Ergonomie von Tisch und Stuhl? Einen ersten
       Gesetzentwurf wird Bundesarbeitsminister Heil demnächst vorlegen. Wie er
       der Bild am Wochenende verriet, ist ein [2][Anspruch auf mindestens 24 Tage
       Homeoffice] im Jahr vorgesehen. Zudem soll es eine digitale Zeiterfassung
       geben und die gesetzliche Unfallversicherung auch zu Hause gelten.
       
       Bisher galt als ausgemacht, dass die Menschheit verstädtert und dass bis
       2050 rund 80 Prozent der Weltbevölkerung in urbanen Ballungszentren wohnen.
       Doch vielleicht bricht das Homeoffice diesen Trend – oder verlangsamt ihn
       zumindest?
       
       Jedenfalls [3][setzt das Homeoffice idyllische Fantasien frei]. Vor allem
       Familien mit kleinen Kindern könnten doch aufs Land ziehen, wo es gute
       Luft, viel Platz und wenig Verkehr gibt. Schon vor Corona war diese Idee so
       naheliegend, dass das Land Brandenburg einen „Summer of Pioneers“ ausrief.
       „Digitalarbeiter:innen“ aus Berlin, Hamburg oder Zürich sollten motiviert
       werden, in so charmante und vergessene Kleinstädte wie Wittenberge
       umzusiedeln. Bisher richteten sich derartige Programme nur an Freiberufler,
       da Angestellte an das Büro ihres Arbeitgebers gefesselt waren. Doch künftig
       könnten Millionen von Beschäftigten in die Provinz ausschwärmen. Ganz ohne
       staatliche Programme.
       
       ## Büros zu Wohnungen umbauen
       
       Wenn sich die Städte leeren, dürften Mieten und Hauspreise sinken oder
       zumindest stagnieren. Allerdings sollten Mieter nicht hoffen, dass die
       Wohnungskosten ins Bodenlose fallen. Der Immobilienmarkt ist tückisch, weil
       der „Boomerang-Effekt“ zuschlägt: Sobald die Preise pro Quadratmeter
       sinken, leisten sich viele Menschen eine größere Wohnfläche – so dass bald
       wieder Knappheit herrscht.
       
       Unklar ist auch, was aus den Büroimmobilien wird, wenn viele Angestellte
       ins Homeoffice entschwinden. Die vergangenen Jahre waren ein Paradies für
       die Vermieter, denn fast alle Büros waren belegt. 2019 betrug der Leerstand
       in Berlin nur 1,4 Prozent, in München waren es 2,4 und in Hamburg 3,5
       Prozent. Die Büromieten legten daher bundesweit zu – um satte 30 Prozent
       seit 2010. Diese seligen Zeiten werden nicht zurückkehren.
       
       Für Immobilienfonds wird sich mittelfristig die unangenehme Frage stellen,
       wie sie Renditen für ihre Anleger erwirtschaften sollen. Naheliegend wäre,
       aus den Büros Wohnungen zu machen. Technisch ist dies möglich, wie
       preisgekrönte Projekte gezeigt haben: 2010 wurde beispielsweise die
       einstige IG-Metall-Zentrale in Frankfurt-Niederrad in 98 schicke
       Appartements verwandelt.
       
       Allerdings ist der Umbau nicht billig. Oft müssen bis zu 80 Prozent des
       alten Gebäudes abgerissen werden, um das Neue zu ermöglichen. Eine
       Umnutzung lohnt sich also nur, wenn die Mieten hoch sind – nicht, wenn sie
       fallen.
       
       Zudem tut sich das paradoxe Problem auf, dass es für die Immobilienfonds
       oft rentabler ist, ihre Bürogebäude leerstehen zu lassen. Denn eine
       Umnutzung bedeutet, dass man die Immobilie zunächst einmal abschreiben
       muss, sodass Verluste in der Bilanz auftauchen, die man vorher verschleiern
       konnte.
       
       Es bleibt also spannend, wie Corona die Immobilienmärkte verändert. Diese
       Analyse fand meine Friseurin übrigens nicht hilfreich. Ihre Frage beim
       Abschied war: „Und was mache ich jetzt mit meinem Geld?!“
       
       4 Oct 2020
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Bilanz-zum-Homeoffice-in-Coronazeiten/!5696746
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   DIR [3] /Berlin-oder-Brandenburg/!5678356
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Ulrike Herrmann
       
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