URI: 
       # taz.de -- Corona im Gefängnis: Handys wieder Schmuggelware
       
       > Die Gefangenen in Hamburger Haftanstalten mussten am Mittwoch wieder ihre
       > Handys abgeben. Für manche bedeutet es den Abbruch der Sozialkontakte.
       
   IMG Bild: Ähnlich schwierig wie im Film Search Party: Telefonieren für Gefangene in der JVA Glaasmoor
       
       Hamburg taz | Die Besuchsrechte in den Hamburger Justizvollzugsanstalten
       sind nach wie vor eingeschränkt. Ein Mal pro Woche dürfen Gefangene für
       eine Stunde Besucher*innen empfangen, wenn sie vorher einen Antrag gestellt
       haben. Allerdings gelten strenge Hygieneregeln. Sie tragen eine Maske,
       müssen Abstand halten und eine Schutzwand verhindert Berührungen.
       
       Während des Lockdowns durften gar keine Besucher*innen kommen, deswegen
       verteilte die Justizbehörde im April Handys an Gefängnisinsass*innen, um
       ihnen den Kontakt zu Freund*innen und Familie zu ermöglichen. Trotz
       steigender Infektionszahlen wurden die Handys am Mittwoch aber wieder
       eingesammelt.
       
       Die Linke setzt sich nun dafür ein, dass Mobiltelefone noch bis Ende des
       Jahres in den Strafanstalten genutzt werden dürfen. Denn die sozialen
       Kontakte seien „ein unerlässlicher Bestandteil einer erfolgreichen
       Resozialisierung“, erklärt Cansu Özdemir, die justizpolitische Sprecherin
       der Links-Fraktion.
       
       Hans Peter R. empfand es als „große Erleichterung“, sein Handy in der
       Strafanstalt nutzen zu dürfen. Er ist im offenen Vollzug der JVA Glasmoor.
       Gefangene im offenen Vollzug haben die Möglichkeit, außerhalb der Anstalt
       arbeiten zu gehen. In dieser Zeit dürfen sie ihr privates Handy benutzen.
       Kommen sie von der Arbeit zurück, wird das Handy eingeschlossen.
       
       ## Insasse bangt um erneute Verlusterfahrung des Sohnes
       
       Seit April durfte Hans Peter R. sein Telefon auch mit in den Haftraum
       nehmen und konnte nach Feierabend mit seiner Familie videochatten. „Mein
       dreijähriger Sohn hat eine Seh- und Hörstörung. Deswegen entwickelt er sich
       auch kognitiv verzögert“, sagt Hans Peter R. Als sein Vater in den Vollzug
       musste, habe das Kind schwere Verlustängste gehabt, die seine
       Lernentwicklung stärker einschränkt hätten.
       
       „Mit dem Handy konnte ich meinen Sohn jeden Abend per Videochat anrufen,
       mit ihm Sprechübungen machen und ihm eine Gutenachtgeschichte erzählen“,
       sagt Hans Peter R. Sogar gemeinsame Abendessen mit der Familie waren in
       dieser Zeit möglich.
       
       Dass er seinen Vater nun täglich sehen und hören konnte, half dem Sohn in
       seiner Entwicklung: „Der Kinderarzt und der Kindergarten meines Sohnes
       sagten, er würde im Moment große Fortschritte machen.“ Nun macht sich Hans
       Peter R. Sorgen, dass sein Sohn eine erneute Verlusterfahrung erleben muss.
       
       „In der Besuchszeit am Samstag darf er mich nicht mal anfassen. Wie soll er
       denn verstehen, dass er nicht mit mir kuscheln darf?“ Deswegen verzichtet
       die Familie jetzt ganz auf Besuche.
       
       ## Linkspartei gegen Abschaffung
       
       Für Cansu Özdemir gibt es keinen Grund, die Handys wieder abzuschaffen:
       „Die bisherigen Erfahrungen mit der Mobilfunknutzung sind ausgesprochen
       gut.“ Es sei falsch, diese erfolgreiche Maßnahme nun überstürzt zu beenden.
       Bisher deute „alles darauf hin, dass es nicht zu nennenswerten Problemen
       bei der Nutzung der Mobiltelefone gekommen ist“.
       
       Das bestätigt die Justizbehörde. „Durch die Ausgabe der Telefone sind keine
       zusätzlichen Probleme in der JVA Glasmoor entstanden“, sagt deren
       Sprecherin Marayke Frantzen.
       
       Ganz anders positioniert sich die CDU: „Handys gehören nicht in die Hände
       von Gefangenen“, sagt der justizpolitische Sprecher der Hamburger
       CDU-Fraktion, Richard Seelmaecker. Der Kontrollaufwand und die
       Missbrauchsgefahr seien zu hoch. Deswegen forderte die CDU schon Ende
       August, den Gefangenen die Telefone schnellstmöglich wieder abzunehmen.
       
       Laut Auskunft des Senats auf eine Anfrage der Linken gab es „mehrere
       Tausend Kontrollen“ zur Nutzung der Telefone in den JVAs. Die Handys
       durften nur im Haftraum benutzt und nicht am Körper auf dem Hof getragen
       werden. Für Hans Peter R. ist die Angst, dass Gefangene aus ihrer Zelle
       illegale Geschäfte führen könnten oder ihren Ausbruch planten, gerade im
       offenen Vollzug unbegründet: „Alles, was wir nicht im Haftraum machen
       können, könnten wir ja im Freigang erledigen.“
       
       ## Zwei Telefone für 30 Menschen
       
       In der JVA haben im Normalfall auf einer Station etwa 30 Menschen Zugriff
       auf zwei Telefone. Laut Hans Peter R. sind die Apparate in seiner Abteilung
       in einem kleinen Raum ohne Fenster angebracht. Dort regelmäßig zu lüften,
       hält er für schwierig. Die Telefone könnten zu einem Corona-Hotspot werden.
       Abgesehen von dem gesundheitlichen Risiko sind Telefonate aus der JVA
       deutlich teurer. Bei einem Tarif von sieben Cent pro Minute müssten
       Gespräche auf das Nötigste reduziert werden.
       
       Die Justizbehörde sieht dagegen keine gesundheitliche Gefahr. Die Belüftung
       erfolge über einen großen Stationsflurbereich und es werde
       Desinfektionsmittel zur Verfügung gestellt.
       
       Hans Peter R. will sich damit nicht einfach abfinden. Er hat einen Antrag
       auf eine gerichtliche Entscheidung eingereicht. Aber bis der bearbeitet
       ist, muss R. nach der Arbeit sein Handy abgeben.
       
       5 Oct 2020
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Deborah Kircheis
       
       ## TAGS
       
   DIR deutsche Justiz
   DIR Hamburg
   DIR Schwerpunkt Coronavirus
   DIR Gefängnis
   DIR Schwerpunkt Coronavirus
   DIR Knast
   DIR Gefängnis
   DIR Gefängnis
   DIR Justizpolitik
   DIR Schwerpunkt Iran
   DIR Kunst
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Eigene Anschlüsse in jeder Zelle: Telefonieren wird Privatsache
       
       Bisher konnten Gefangene in Hamburg meist nur öffentlich auf dem Flur mit
       Angehörigen telefonieren. Jetzt kriegen sie eigene Geräte in den Haftraum.
       
   DIR Häftlinge fordern Anrecht auf Telefonate: Dünner Draht in die Außenwelt
       
       Gefangene sind auf Telefonate angewiesen, um den Kontakt zu ihren Familien
       nicht zu verlieren. Bayern erlaubt das nur in „dringenden Fällen“.
       
   DIR Corona-Maßnahmen im Gefängnis: Kaum Verstöße mit Knast-Handys
       
       Die Linke will die Ausgabe von Handys an Gefangene in Hamburg weiter
       ermöglichen. Die waren wegen des Infektionsschutzes ausgeteilt worden.
       
   DIR Jurist über Haftentschädigung für Unschuldige: „Es gibt keine Fehlerkultur“
       
       Zu Unrecht Inhaftierte bekommen jetzt 75 Euro pro Tag als Entschädigung.
       Das ist „die unterste Grenze“, sagt Ulrich Schellenberg vom Anwaltsverein.
       
   DIR Iranische Anwältin im Hungerstreik: Schutzlos in Haft
       
       Die Menschenrechtsanwältin Nasrin Sotoudeh fordert die Freilassung der
       politischen Gefangenen im Iran. In Haft gebe es keinen Schutz vor Corona.
       
   DIR Kunst aus US-Knast: Ästhetik des Kerkers
       
       Künstler in Haft. Die New Yorker Schau „Marking Time: Art in the Age of
       Mass Incarceration“ im MoMA PS 1 versammelt Arbeiten von Gefangenen.