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       # taz.de -- Tod einer russischen Journalistin: Trauer um Irina Slawina
       
       > Die russische Journalistin stellte unbequeme Fragen. Der Staat
       > kontrollierte und verfolgte sie. Nun hat sich die Oppositionelle das
       > Leben genommen.
       
   IMG Bild: Trauer um Irina Slawina im Stadtzentrum von Nischni Nowgorod
       
       taz | Moskau Eine Frau setzt sich auf eine Bank. Sie kramt in ihrer Tasche,
       ihr linker Arm fängt an zu brennen. Ein Mann eilt ihr zur Hilfe, sie
       schiebt ihn zurück. Er haut mit seiner Jacke auf die Flammen. Die Frau
       brennt am Boden weiter. Der Mann geht zur Seite, sein Telefon in der Hand.
       Die Frau ist tot.
       
       Das Video, das über Telegram-Kanäle öffentlich wurde, zeigt einen extremen
       Fall von Selbsttötung am vergangenen Freitag. Das Opfer ist die
       Journalistin Irina Slawina, 47, Chefredakteurin der unabhängigen
       Internetzeitung KosaPress in Nischni Nowgorod, knapp 450 Kilometer östlich
       von Moskau. Das Medium finanziert sich über Spenden, Slawina gründete das
       Portal 2015, als sie zum dritten Mal ihre Stelle verloren hatte, weil sie
       immer wieder gegen die Zensur ankämpfte. Sie wusste, worauf sie sich
       eingelassen hatte: Sobald sich der russische Staat mit jemandem
       konfrontiert sieht, der unbequeme Fragen stellt, lässt er diesen die volle
       Macht des Apparats spüren.
       
       „Ich bitte darum, die Russische Föderation für meinen Tod verantwortlich zu
       machen“, hatte die Journalistin am vergangenen Freitag bei Facebook
       geschrieben. Dann zündete sie sich an. Einen Tag zuvor hatten Beamte des
       Ministeriums am frühen Morgen ihre Wohnung durchsucht.
       
       ## Verantwortung übernehmen
       
       „Ich stand noch nackt da, als sie kamen“, schrieb Slawina über die Razzia,
       bei der die Männer und Frauen USB-Sticks, Laptops, Computer, Telefone und
       Notizblöcke mitgenommen hatten. Es war nicht die erste Durchsuchung bei
       ihr. Immer wieder geriet die „unbeugsame Unparteiische“, wie ihre
       Weggefährten sie nennen, mit dem Sicherheitsapparat aneinander. Sie sollte
       als Zeugin im Strafverfahren gegen die Organisation Offenes Russland
       aussagen. Die Organisation des in Ungnade gefallenen einstigen Oligarchen
       Michail Chodorkowski hat den Stempel „Ausländischer Agent“, weil sie in den
       Augen der Behörden politische Bildung betreibt und vom Ausland finanziert
       wird.
       
       „Sie war eine kluge und keine gleichgültige Frau. Sie schied freiwillig und
       schrecklich aus dem Leben. Ich kann es nicht glauben“, schrieb Gleb
       Nikitin, der Gouverneur des Gebiets Nischni Nowgorod. Nawalny – auch über
       dessen Vergiftung hatte Slawina berichtet – forderte indes per Twitter,
       nicht nur regionale Sicherheitsstrukturen zur Verantwortung zu ziehen,
       sondern auch „diejenigen im Kreml, die ihnen die Befehle gegeben haben“.
       
       Wenn Sie Suizidgedanken haben, sprechen Sie darüber mit jemandem. Sie
       können sich rund um die Uhr an die Telefonseelsorge wenden (08 00/111 0 111
       oder 08 00/111 0 222) oder www.telefonseelsorge.de besuchen.
       
       5 Oct 2020
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Inna Hartwich
       
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