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       # taz.de -- Verschärfter Corona-Lockdown in Israel: Bibi strebt den Notstand an
       
       > Die Regierung hat den Lockdown ausgeweitet. Das Demonstrationsrecht
       > konnte sie noch nicht einschränken – die Anti-Netanjahu-Proteste gehen
       > weiter.
       
   IMG Bild: Lockdown-Patrouille am Stand von Tel Aviv. Und das alles nur, weil Bibi seine Ruhe haben möchte
       
       Tel Aviv taz | Eigentlich sollte es am heutigen Samstagabend vor der
       Residenz des Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu ruhig bleiben. So
       hatten es die verschärften Regelungen des Lockdowns zunächst vorgesehen,
       [1][die am Freitag Mittag in Kraft traten].
       
       Statt der Zehntausenden, [2][die seit Monaten] vor Netanjahus Amtssitz,
       angesichts [3][seines Korruptionsprozesses] und [4][seines Scheiterns in
       der Coronakrise], den Rücktritt des Premiers fordern, hätten lediglich
       maximal 2000 Personen demonstrieren können – in Kapseln zu je 20 Personen.
       Außerdem wäre es verboten gewesen, mehr als einen Kilometer weit zu fahren,
       um eine Demonstration zu erreichen.
       
       Doch am Ende dürfte es auch diesen Samstagabend laut werden. Denn um
       Proteste signifikant zu beschränken, bedarf es einer Gesetzesänderung, die
       die Regierung am Freitag nicht mehr durch die Knesset bringen konnten. Auch
       die Ausrufung des Notstands, auf die Netanjahu und Gesundheitsminister Yuli
       Edelstein noch am Freitag Mittag abzielten, scheiterte vorerst. Ein
       Notstand würde alle Versammlungen, inklusive der Anti-Netanjahu-Proteste,
       verbieten, bis die Knesset nächste Woche eine Gesetzesänderung
       verabschieden kann.
       
       Nicht nur an dem Versuch, den Notstand auszurufen, sondern schon an der
       Verschärfung des Lockdowns gibt es massive Kritik. Zahlreiche
       Netanjahu-Gegner*innen glauben, dass hinter den härteren Regelungen vor
       allem politische Absichten stecken: die öffentlichen Unmutsäußerungen gegen
       den Ministerpräsidenten zu begrenzen oder ganz zu verhindern.
       
       „Alle Bürger Israels wissen“, hieß es in der Erklärung einer
       Anti-Netanjahu-Protestgruppe: „dass der wahre und einzige Grund, warum
       Netanjahu so stark auf einen Lockdown drängt, der die Gebete an Jom Kippur
       einschränkt und die Selbständigen und Unternehmen im ganzen Land in
       Verzweiflung bringt, die Demonstrationen in Balfour sind, wodurch sein
       Versagen und das Versagen der Regierung bei der Bewältigung der Krise
       offensichtlich wird.“
       
       ## „Ich muss Anti-Brechmittel nehmen“
       
       Nicht nur auf der Straße und aus der Opposition hört man diese Vermutung,
       sondern auch von Expert*innen aus dem Gesundheitswesen und nicht zuletzt
       von Ronni Gamzu, der erst Ende Juli von Netanjahu zum Corona-Beauftragten
       ernannt wurde. „Es ist ekelhaft, ich muss Anti-Brechmittel nehmen“, soll
       Gamzu laut dem israelischen Fernsehsender Channel 13 gesagt haben.
       
       Dem Sender zufolge äußerte Gamzu auch, dass die Debatte um schärfere
       Regelungen erst dann einsetzte, als Rechtsexperten Netanjahu informierten,
       dass es unmöglich sei, die Proteste gegen ihn zu verhindern, solange große
       Teile des Landes offen blieben. So sei die Kehrtwende zustandegekommen, mit
       der Netanjahu plötzlich für einen kompletten Lockdown argumentiert habe.
       
       Gamzu kritisierte nicht nur die Motivation Netanjahus, sondern auch die
       neuen Regelungen selbst. Am Donnerstagmorgen sagte er, er habe zwar eine
       teilweise Verschärfung [5][des bisherigen Lockdowns] empfohlen, „jedoch
       nicht, das ganze Land abzuschalten.“
       
       Die neuen Regelungen sind am Freitag um 14 Uhr in Kraft getreten. Fast alle
       Geschäfte mussten geschlossen, öffentliche Verkehrsmittel drastisch
       zurückgefahren, ausgehende Flüge gestrichen werden. Es herrscht strikte
       Anweisung, in der Nähe des Wohnortes zu bleiben.
       
       Die Zahl der Corona-Neuinfektionen hatte am Freitag in Israel einen neuen
       Rekordwert von 8178 erreicht, umgerechnet auf die Bevölkerungszahl wären
       das in Deutschland weit über 70.000 Neuinfektionen pro Tag.
       
       Die verschiedenen Gruppen, die zu den Anti-Netanjahu-Protesten aufrufen,
       sind derweil uneins, wie sie die Demonstrationen während des erweiterten
       Lockdowns und angesichts des raschen Anstiegs der Corona-Infektionen
       durchführen sollen. Einige riefen zu Autokonvois auf oder dazu, in kleiner
       Zahl in der Nähe des eigenen Hauses zu demonstrieren – „um der scheiternden
       Regierung Netanjahu keine Ausreden zu liefern.“
       
       Andere kündigten an, dennoch am Samstagabend vor der Residenz des
       Ministerpräsidenten zu ziehen. Diese teilen sich wiederum in solche, die
       „im Einklang mit den Richtlinien des Gesundheitsministeriums und unter
       Wahrung der sozialen Distanz“ demonstrieren wollen und jenen, denen
       jegliche Abstandsregeln egal sind, weil sie einfach die Nase voll haben von
       der Politik Netanjahus.
       
       26 Sep 2020
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Judith Poppe
       
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