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       # taz.de -- Debüt von Rapcrew Erotic Toy Records: Nachdenkliche Sexspielzeuge
       
       > Sweet, aber auch street. Auf ihrem Debütalbum „Hafenwind“ mischt die
       > Bremer HipHop-Crew Erotik Toy Records dem Deutschrap Feeling bei.
       
   IMG Bild: Drei Toys von Erotic Toy Records wärmen sich an der Öltonne
       
       Während der Deutschrapmainstream in letzter Zeit vor allem mit
       antisemitischen Texten und Prollattitüde von sich reden machte, geht das
       Bremer HipHop-Kollektiv Erotik Toy Records einen anderen Weg und startet
       mit antimachistischen Reimen und einem musikalisch vielschichtigen Album
       durch. Es sollte, ja müsste der Szene einen Schub verleihen. Einen
       süß-salzig-saftigen Schub, denn die Künstler inszenieren sich so divers wie
       eine Süßigkeiten-Wundertüte vom Späti: bunt, süß, sauer und etwas ungesund.
       
       Erotik Toy Records (ETR) nennen sich die sechs Künstler zwischen 20 und 30
       – Tightill, Doubtboy, Skinnyblackboy, Yung Meyerlack, Jay Pop und
       Produzent Florida Juicy. Was sie verbindet? „Wir sind alle Bremer Homies“,
       sagt der 24-jährige Luka alias Florida Juicy der taz. Mit dem Claim „The
       most sensitive Rap Crew“ mischt ETR bereits seit 2017 die Rap-Szene auf.
       
       Und siehe da, man muss nicht den Harten markieren, um Erfolge zu feiern.
       Die erste Erotik-Toy-Records-Tour im Jahr 2019 war bis auf ein Konzert
       ausverkauft. Nun folgt das gemeinsame Debütalbum. Denn zwischendurch
       veröffentlichten alle Rapper auch noch Solo-EPs, Mixtapes und Alben. Am
       bekanntesten ist Malik alias Skinnyblackboy, der 2019 eine EP [1][mit dem
       Berliner Produzententeam Kitschkrieg] herausbrachte und aktuell mit dem
       Song „Sonora“ feat. Kitschkrieg und Max Herre in die Charts klettert.
       
       ## Oldschoolrap und Shanties
       
       Es sei zwar schwierig für die Künstler gewesen, sich auf die musikalische
       Mischung auf dem Debüt zu einigen, aber das scheinbare Durcheinander sorgt
       nun letztendlich für den unverwechselbaren Sound, den ihr Album „Hafenwind“
       enthält: [2][Oldschool-HipHop-Referenzen] treffen auf Neue Deutsche Welle,
       Popsongs werden zu Shanties. Wie eine Wundertüte eben. Die norddeutsche
       Rau-aber-herzlich-Haltung ist ebenfalls ein roter Faden, der sich durch
       alle ETR-Songs zieht. „Es ist gerade eine schwierige Phase für uns, weil
       wir viel Aufmerksamkeit bekommen und gucken müssen, dass wir unsere
       individuellen Stile gebündelt bekommen“, sagt Luka. Das sei schön. Aber
       eben auch schwierig: „Für Fans und für uns.“
       
       Mehr als ein Jahr hat Erotik Toy Records an „Hafenwind“ gearbeitet. Es
       stand längst schon ein Konzept fest, doch dann kam – wie auch für die
       Konkurrenz in diesem Jahr – alles anders: Corona, persönliche
       Schicksalsschläge, die Fertigstellung verzögerte sich. „Es war eine harte
       Zeit“, sagt Till. Doch jetzt sind alle Rapper zufrieden mit dem Ergebnis.
       
       Unzufrieden sind sie hingegen mit dem „Sweetness“-Stempel, den viele Medien
       Erotik Toy Records aufdrücken: Weil sie nicht über Bitches und Geld rappen
       und sich „sensitive“, nachdenklich, geben. Zu Recht. Auf Sweetness dürfen
       die Bremer Reimemonster und ihr Album keinesfalls reduziert werden.
       
       ## Hanseatische Raubatzigkeit
       
       Zwar geht es in den Texten von „Hafenwind“ auch um Liebe – zum Beispiel,
       wenn Tightill und Jay Pop von einem „Sterngirl“ singen und die Crew im Song
       „Original“ von Nostalgie rappt, wenn es um den Hafen und ihren Stomping
       Ground Bremen geht. Übersehen wird dabei aber gerne, wie tight die Beats
       programmiert sind und dass die hanseatische Raubatzigkeit von ETR sich
       keineswegs mit „sweet“ charakterisieren lässt.
       
       „Es gibt viele andere Dinge, für die wir stehen. Ich finde es seltsam, dass
       es besonders sein soll, wenn wir in unseren Songs Emotionen zeigen. Ich
       will nicht der Vorzeigemann dafür sein“, sagt Till. Auch Luka betont, dass
       Erotik Toy Records zwar „sensitive Rap“ auszeichne, aber eben nicht ihre
       Musik definiert. „Das schließt doch nicht aus, dass wir auch straßenaffin
       sind und Texte über Drogen rappen. Wir können auch harte Mucke: Wer das
       mag, soll das Soloalbum von Doubtboy hören“, sagt Luka.
       
       Und dennoch kann man die Crew als Botschafter von Emotionen im
       Deutschrap-Zirkus bezeichnen – sie lassen Gefühle zu, jedenfalls mehr als
       die Deutsch-Rapper*innen-Konkurrenz. Softness ist in der hiesigen Rap-Szene
       immer noch ein Tabu. „Natürlich ist es schön, wenn wir andere Künstler
       motivieren, mehr Gefühl in der Rap-Welt zuzulassen“, sagt Till. Generell
       wünsche er sich viel mehr „Freaks, die sich was trauen, die
       unkonventionelle Kunst machen und in ihren Tracks auch mal Verlierer sein
       können, nicht nur harte Winner.“
       
       Produzent Luka möchte erst gar nicht zur Deutschrap-Szene gezählt werden.
       „Ich bin echt kein Fan davon! Viele Tracks haben zu simple, stumpfe
       Messages, das ist mir zu langweilig“, sagt er. Es gehe quasi nur ums
       [3][Saufen und Ficken.] Eine Frage bleibt jedoch offen: Als was möchte
       Erotik Toy Records denn jetzt wahrgenommen werden? „Wir sind nicht nur süß,
       wir sind auch street“, sagt Till. Richtig so.
       
       30 Sep 2020
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Tasnim Rödder
       
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