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       # taz.de -- Verbot von Reichskriegsflaggen: Die Fahne der Bösen
       
       > Die demokratischen Parteien haben mit der Reichskriegsflagge ein Objekt
       > für rustikale Symbolpolitik gefunden – ohne Rücksicht auf die
       > Grundrechte.
       
   IMG Bild: Schon am 3. Oktober 1990 bei manchen eine beliebte Kombination: Reichskriegsflagge und Hitlergruß
       
       Auch das größte Bundesland ist jetzt dabei. Vorigen Donnerstag forderte der
       Landtag von Nordrhein-Westfalen mit überwältigender Mehrheit, die
       Reichskriegsflagge zu verbieten. Der Antrag für einen Erlass der
       Landesregierung kam von einer ganz großen Koalition aus SPD, CDU, Grünen
       und FDP. Nur die AfD war dagegen.
       
       [1][Zuvor hatten bereits Bremen] und Niedersachsen die Polizei angewiesen,
       Reichskriegsfahnen sicherzustellen und gegen die Nutzer ein Bußgeld zu
       verhängen. Am Freitag folgte dann Rheinland-Pfalz. Pläne gibt es auch schon
       in Bayern. Und Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) setzte das Thema
       auf die Tagesordnung der Innenministerkonferenz im Dezember. Dort soll über
       ein bundeseinheitliches Vorgehen diskutiert werden. Bis dahin wird es nun
       wohl so weitergehen. Mal kommt der Vorstoß von der SPD, mal von der Union.
       Und die Liberalen von FDP und Grünen marschieren brav mit.
       
       „Reichskriegsflaggen werden regelmäßig von rechtsextremen Organisationen in
       der Öffentlichkeit zur Schau gestellt und sind damit zu einem
       Identifikationssymbol dieser Gruppierungen geworden“, heißt es in NRW zur
       Begründung.
       
       Dabei geht es gar nicht um echte Nazifahnen. Das Zeigen der
       Reichskriegsflagge, die im Dritten Reich ab 1935 benutzt wurde, ist schon
       lange strafbar, da in ihrer Mitte ein Hakenkreuz prangt. Bei den
       derzeitigen Verboten geht es ausschließlich um die Vorläufer ab 1867: die
       Kriegsflaggen des Norddeutschen Bunds, des Kaiserreichs und der
       demokratischen Weimarer Republik. Die Fahnen sollen verboten werden, weil
       sie von Rechtsextremisten als Symbol benutzt werden.
       
       ## USA: Rechtsextreme und Hawai-Hemden
       
       Will man aber reflexhaft alles verbieten, was Nazis gerade zur
       Selbstdarstellung einsetzen? In den USA nutzen Rechtsextreme derzeit
       Hawaii-Hemden und Iglus als Erkennungszeichen. Gibt es bald einen
       Hawaiihemd-Erlass? Man muss eben unterscheiden: Es ist zwar zu Recht
       verboten, NS-Symbole zu verwenden, weil sie als solche für die Gewalt- und
       Willkürherrschaft stehen. Es ist aber nicht verboten, dass heutige Nazis
       irgendwelche Symbole benutzen.
       
       Das Bundesverfassungsgericht sieht sogar „die Verbreitung
       nationalsozialistischen Gedankenguts“ und die „radikale Infragestellung der
       geltenden Ordnung“ im Schutzbereich der Meinungsfreiheit. Verbote seien nur
       zu rechtfertigen, wenn konkrete Rechtsgüter gefährdet sind.
       
       Doch bisher haben die Verbotsbefürworter außer Empörung über die
       Provokation wenig zu bieten. Im Bremer Erlass wird das Zeigen der
       Reichskriegsflagge als „Gefahr für ein geordnetes staatsbürgerliches
       Zusammenleben“ bezeichnet. Die Benutzung soll als „Belästigung der
       Allgemeinheit“, als „grob ungehöriges Verhalten“ geahndet werden. „Wenn die
       Reichskriegsflagge genutzt wird, um zu provozieren, dann ist eben Schluss“,
       sagt NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU).
       
       ## Provokation als Maßstab
       
       Was provoziert und belästigt, wird verboten, so kann man wohl die Haltung
       der Länder zusammenfassen. Ein Grundrechtsverständnis, das die Haltungen
       und die Provozierbarkeit der Mehrheit zum Maßstab macht, das findet man
       sonst aber eher in osteuropäischen Staaten. In Deutschland würde solches
       Denken normalerweise auf große Empörung stoßen – wenn es nicht gerade gegen
       Rechtsextremisten geht.
       
       Statt Zahlen vorzulegen, wird meist nur auf einen Vorfall Ende August
       verwiesen, [2][als am Rande einer Coronademo die Treppen des Berliner
       Reichstags gestürmt wurden]. Fotos zeigen zwar, dass dort vor allem
       schwarz-weiß-rote Reichsflaggen geschwenkt wurden. Trotzdem ist heute meist
       von „Reichskriegsflaggen“ die Rede – vermutlich weil es verwerflicher
       klingt. Allerdings wollen Bremen und Rheinland-Pfalz sogar das Zeigen der
       alten Reichsflagge unterbinden, wenn sie provozierend eingesetzt wird, in
       NRW beschränkt man sich dagegen auf die Reichskriegsflagge. In der Praxis
       spielen solche Feinheiten keine Rolle. In den drei Wochen nach
       Inkrafttreten des Bremer Erlasses wurde keine einzige Fahne sichergestellt,
       weder Reichs- noch Reichskriegsfahne. Es geht hier wohl eh nur um ein
       „Flaggezeigen“ gegen Flaggen, also eine Art doppelter Symbolpolitik.
       
       „Reichsflaggen vor dem Parlament sind beschämend“, twitterte Außenminister
       Heiko Maas nach dem Reichstagssturm Ende August. Der Deutschlandfunk
       kommentierte: „Diese Bilder hätte es nie geben dürfen“. Die Bestürzung
       erinnert an eine Diskussion vor 20 Jahren, als die Bundespolitik verhindern
       wollte, dass Nazis mit Fackeln am Brandenburger Tor demonstrieren. Rechte
       Aufzüge an „symbolträchtigen Orten“ würden dem „Ansehen der Bundesrepublik
       Deutschland im Ausland erheblich schaden“, hieß es damals.
       
       ## Beispiel Brandenburger Tor
       
       Doch die Angst um das Ansehen Deutschlands ist weder ein zulässiger Grund,
       bestimmte Demonstrationen zu verbieten, noch kann sie eine Rechtfertigung
       dafür sein, bestimmte Flaggen zu untersagen. Um eine Niederlage in
       Karlsruhe zu vermeiden, wurde auf gesetzliche Demonstrationsverbote am
       Brandenburger Tor verzichtet. Beim Verbot der Reichskriegsflagge fehlt
       dagegen noch jede verfassungsrechtliche Einsicht.
       
       Stattdessen begründet NRW-Minister Reul das Verbot der Reichskriegsflagge
       auch mit dem Schutz der Coronademonstranten und ihrer Anliegen. Das ist nun
       aber völlig verdreht. Lag der Skandal nicht darin, dass die
       [3][Coronaskeptiker gar kein Problem damit hatten, dass bei ihnen
       Rechtsextremisten mit sichtbaren Symbolen mitliefen]? Die „Querdenker“
       hätten ja durchaus solche Fahnen von ihren Demos verbannen können.
       
       Es ist doch eher gut, wenn jeder sieht, mit welchen Kreisen sich Impf- und
       Maskengegner zusammentun. Rechtsextremisten sollten auch deshalb mit ihren
       selbstgewählten Symbolen weiter sichtbar demonstrieren können. Für die
       Zwecke von Antifa und Verfassungsschutz wäre eine staatlich verordnete
       Zwangstarnung sogar kontraproduktiv.
       
       13 Oct 2020
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
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