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       # taz.de -- Femizide in Indien: Fall „Manisha“ erschüttert Indien
       
       > Immer wieder misshandeln und vergewaltigen Männer in Indien Frauen. Eine
       > hat nun ihren Fall publik gemacht – inzwischen ist sie tot.
       
   IMG Bild: DemonstranTinnen versammeln sich in Mumbai für Manisha
       
       Mumbai taz | Gott schütze Indiens Töchter“, steht auf einem Schild neben
       der St.-Michael-Kirche in Mumbai. Keine zwei Kilometer entfernt haben sich
       etwa 200 Menschen versammelt. Sie erinnern an die jüngsten Femizide an zwei
       jungen Frauen, die den Folgen von Misshandlung und Vergewaltigung erlagen.
       Dass beide nicht überlebten, war bereits eine Woche zuvor bekannt geworden,
       doch die Proteste sind seither trotz der Pandemie nicht abgeebbt. Besonders
       groß ist die Empörung über den Fall der 19-jährigen Manisha aus dem
       nordindischen Hathras. 
       
       „Wir müssen das Patriarchat durchbrechen“, sagt eine Frau in gelbem Kleid
       ins Mikrofon. „Wir müssen unsere Stimme gegen diese Grausamkeit erheben.“
       Um sie herum stehen Menschen mit Plakaten mit der Aufschrift „Dalit Lives
       Matter“. Als Dalit (früher Unberührbare) – bezeichnen sich Menschen, die
       der niedrigsten Kaste in hinduistischen Gesellschaften angehören.
       
       Die Demonstrierenden befinden sich vor der Chaitya-Bhoomi-Gedenkstätte am
       Arabischen Meer, die dem Dalit-Vordenker Dr. Ambedkar gewidmet ist – ein
       Ort, der bekannt ist für Proteste gegen Diskriminierung. 
       
       Die Vergewaltigung von Manisha sollte, wie so oft, vertuscht werden. Doch
       die Frau, die erst später im Krankenhaus starb, machte die Tat öffentlich.
       Seit ihrem Tod Ende September ist kaum ein Tag vergangen, an dem nicht
       öffentlich ihrer gedacht wurde. Manishas Fall unterscheidet sich von einer
       [1][Gruppenvergewaltigung einer jungen Frau in Delhi 2012], die
       beispiellose Proteste auslöste. Damals waren es Männer, die ihr sozial
       niedriger gestellt waren. Der Fall von Manisha, einer Dalit, ist anders.
       Vier Männer aus oberen Kasten missbrauchten sie.
       
       Deshalb ist es nicht selbstverständlich, dass Manisha so viel Solidarität
       erfährt. Der Fall ist längst zu einem Politikum geworden. Manche fordern
       den Rücktritt des Politikers Yogi Adityanath von der hindunationalistischen
       Volkspartei BJP, der den Bundesstaat Uttar Pradesh regiert.
       
       Die Kolumnistin Arati R. Jerath [2][wirft] ihm vor, unter seiner Führung
       habe sich eine Kultur der Gewalt und Straflosigkeit etabliert, in der auch
       willkürliche Machtausübung durch die Polizei zugenommen habe. Ein Beispiel
       ist, dass die Behörden Manishas Leiche nachts unter Ausschluss ihrer
       Familie verbrannten. Ein letzter Abschied blieb der Familie verwehrt; auch
       eine weitere Untersuchung ist nicht mehr möglich.
       
       ## „Das hässliche Gesicht des Kastensystems“
       
       „Die entmutigende Wahrheit ist, dass Vergewaltigungen in Indien in keinem
       Teil des Landes ungewöhnlich sind“, sagt Sophie Roy aus Mumbai. „Die
       Dalit-Gemeinschaft ist mit immenser Unterdrückung konfrontiert und wird von
       der Mehrheitsgesellschaft immer noch gemieden“, sagt sie, „aber diesmal hat
       die Betroffene ihren Missbrauch und die Täter benannt, was in solchen
       Fällen selten ist.“
       
       Fälle wie der von Manisha würden zu einem Zeugnis für schlechte
       Regierungsführung, sagt Roy. „Das hässliche Gesicht des patriarchalischen
       Kastensystems kann sich nicht länger vor Mainstream-Medien verbergen.“
       
       Manisha ist ein Name von vielen, der deutlich macht: Solange das Leben von
       Frauen aller sozialen Schichten nicht gewürdigt wird, werden sich solche
       Fälle wiederholen. Die Auswechslung eines Politikers allein würde daran
       wohl kaum etwas ändern. Das Traurige ist, dass kurz nach dem Protest in
       Mumbai am Mittwoch [3][bekannt wurde], dass es zu einer weiteren
       Vergewaltigung mit Todesfolge kam: an einem Mädchen aus Hathras; der Täter
       war ein minderjähriger Verwandter.
       
       10 Oct 2020
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Kommentar-Proteste-in-Indien/!5076557
   DIR [2] https://indianexpress.com/article/opinion/columns/up-cm-yogi-adityanath-crime-hathras-rape-6705791/
   DIR [3] https://theprint.in/india/6-year-old-hathras-girl-raped-held-captive-by-relative-dies-at-delhi-hospital/517944/
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Natalie Mayroth
       
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   DIR Schwerpunkt Femizide
   DIR Indien
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