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       # taz.de -- Neue Proteste in Belarus: Dialog sieht anders aus
       
       > Lukaschenko besucht politische Gefangene in der Haft, um über Auswege aus
       > der Krise zu reden. Danach ist alles wie immer: Protest und
       > Polizeigewalt.
       
   IMG Bild: Straßensperre der Polizei in Minsk, Sonntag
       
       Kiew taz | „Ich habe zuerst gedacht, das Foto, das Alexander Lukaschenko im
       KGB-Gefängnis mit einem Dutzend inhaftierter Oppositioneller im Gespräch
       zeigt, sei ein Fake“, berichtet Irina Krawez von der belarussischen
       Menschenrechtsorganisation Nasch Dom (Unser Haus) telefonisch der taz.
       
       Doch [1][der Machthaber von Belarus] hat sich wirklich am Samstag mit
       führenden inhaftierten Oppositionellen getroffen. Die Bilder des völlig
       unerwarteten Treffens zeigen einen ganz in Schwarz gekleideten Lukaschenko,
       der wie ein Dozent auf eine Gruppe von Personen einredet, die selbst nicht
       so ganz zu wissen scheinen, was da gerade abläuft.
       
       Viereinhalb Stunden habe das Gespräch gedauert, berichtet die staatliche
       belarussische Nachrichtenagentur belta.by. Über die Inhalte will die
       Agentur nichts preisgeben. Ein 60-Sekunden-Video zeigt einen Lukaschenko,
       der die Bedeutung einer Verfassungsreform beschreibt.
       
       Unter den zwölf Anwesenden waren außer Lukaschenko vor allem der
       inhaftierte Bankmanager Viktor Babariko und dessen Weggefährten. Ebenfalls
       am Samstag durfte die exilierte [2][Swetlana Tichanowskaja] zum ersten Mal
       seit vier Monaten mit ihrem inhaftierten Mann Sergej telefonieren.
       
       ## „Lukaschenko will nur Eindruck machen“
       
       Man solle sich von diesem Gespräch nicht beeindrucken lassen, warnt Irina
       Krawez gegenüber der taz. „Lukaschenko macht das nur, weil er auf das
       Ausland und seine kleine Anhängerschaft Eindruck machen will. Was mich
       freut, ist, dass er wohl gemerkt hat, dass er in einer Falle sitzt. Und
       dies zwingt ihn zu für ihn sehr ungewöhnlichen Schritten.“
       
       Immerhin, meint die Menschenrechtsaktivistin, habe er über die Zukunft des
       Landes mit Menschen gesprochen, die er noch vor Kurzem als Verbrecher
       bezeichnet hatte. Da Lukaschenko vor allem mit Personen aus dem Umfeld von
       Babariko gesprochen hat, vermutet sie, er wolle einen Kompromiss mit dem
       Teil der Opposition, dem Babariko zugerechnet werde. „Doch wenn Babariko
       sich darauf einlässt, ist er schon nicht mehr einer von uns,“ warnt sie.
       
       Auch bei anderen Stimmen dominiert Skepsis. Mit diesem Treffen habe
       Lukaschenko Unterstützung für seine Idee einer Verfassungsreform gesucht,
       meint der Direktor des Forschungszentrums EAST, Andrej Elisejew.
       
       Wer fest im Sattel sitze, habe es gar nicht nötig, mit vermeintlichen
       Verbrechern zu verhandeln, kommentiert der belarussische Politologe Artjem
       Schraibman in seinem Telegram-Kanal.
       
       Das sei doch kein gleichberechtigter Dialog, analysiert der russische
       Politologe Maxim Kaz: Auf der einen Seite politische Gefangene und auf der
       anderen Seite der Mann, der darüber entscheidet, ob seine Gegenüber den
       nächsten Tag noch erleben.
       
       Andrej Kasakajewitsch, Direktor des Politikinstituts Politische Sphäre,
       indes sieht das „historische Ereignis“ in einem positiven Licht. „Faktisch
       haben die Machthaber eingestanden, dass es eine politische Kraft gibt, ohne
       die sich eine angekündigte politische Reform nicht umsetzen lässt“, so
       Kasakajewitsch gegenüber dem Portal Naviny.by.
       
       ## Wieder Massenproteste in Minsk
       
       Von Lukaschenkos neuer Nachdenklichkeit, die er noch am Samstag bei seinem
       Gespräch mit den politischen Gefangenen im KGB-Gefängnis zur Schau gestellt
       hatte, war indes am Sonntag nichts mehr zu spüren, als wieder Zehntausende
       gegen den „ehemaligen Präsidenten Alexander Lukaschenko“ [3][auf die
       Straße] gingen – über 100.000 allein in Minsk, so berichtet die Aktivistin
       Alexandra Kondratiewa der taz.
       
       Zahlreiche russische und einheimische Journalisten, so Kondratiewa, seien
       bei der Demonstration festgenommen worden. Gezielt hätten Gruppen von
       schwarz gekleideten Männern Jagd auf Demonstranten gemacht, so die
       Aktivistin am Telefon.
       
       Auch Wasserwerfer, die orange gefärbtes Wasser versprühten, seien
       eingesetzt worden. Das Internetportal tut.by berichtet von
       Kopfverletzungen, die Demonstrierende durch Polizeiknüppel erlitten hätten.
       
       Einen regionalen Schwerpunkt hatten die sonntäglichen Proteste in Ostrowez
       unweit der litauischen Grenze. Dort protestieren Hunderte von Bewohnern der
       Stadt gegen das neue Atomkraftwerk, in dem man am Freitag die erste
       kontrollierte Kettenreaktion eingeleitet hatte.
       
       Auch die Repressalien dauern an. Am Freitag wurde der Gomeler Journalist
       Alexander Welitschenko zu 10 Tagen Arrest verurteilt. Ebenfalls am Freitag
       wurde in Gomel die Chefredakteurin des Portals Starke Nachrichten, Anna
       Jakschtas, verhaftet. Bereits am Donnerstag war die Umweltaktivistin und
       Leiterin des Ökohauses, Marina Dubina, zu dreizehn Tagen Arrest verurteilt
       worden.
       
       11 Oct 2020
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Bernhard Clasen
       
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