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       # taz.de -- Ein Galerist zwischen Ost und West: „Das war keine Nischenkunst“
       
       > Vielen Künstlern aus der DDR hielt der Galerist Gunar Barthel auch im
       > Westen die Treue. Und arbeitet weiter an ihrer Sichtbarkeit und
       > Dokumentation.
       
   IMG Bild: Der Galerist Gunnar Barthel lebte gerne in der DDR – trotz Stasi-Überwachung
       
       3. Oktober 1987. Bis zur Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten
       sind es noch drei Jahre. Für Gunar Barthel, seine Frau Heidrun und seine
       Mutter Renate beginnt schon an diesem Tag ein neuer Lebensabschnitt.
       Ausreise aus der DDR nach Frankfurt am Main. Eine Mappe mit Grafiken von
       [1][Gerhard Altenbourg] und [2][Carlfriedrich Claus] hat er im Koffer
       versteckt über die Grenze geschmuggelt. Erst auf dem Boden der BRD erfährt
       er, dass er als ausgebürgert und somit als politischer Flüchtling gilt.
       Trotz des harten Cuts hat Gunar Barthel sehr gern in der DDR gelebt. Es war
       die Kunst, die ihn lange im Land hielt.
       
       Schon als Schüler im damaligen Karl-Marx-Stadt (Chemnitz) besuchte er die
       „Galerie oben“. Seit 1954 wurden in den Räumen Malereien und Grafiken von
       Mitgliedern der Verkaufsgenossenschaft bildender Künstler des Bezirks
       verkauft. Nach dem Studium der Germanistik und Literaturwissenschaft in
       Leipzig wurde Barthel ihr „Sekretär“. Vom pulsierenden Leipzig zurück nach
       Chemnitz zu gehen, das war damals wie heute eine ungewöhnliche
       Entscheidung. Ihn lockte die Aussicht auf eine vom Staat relativ
       unabhängige Aufgabe, noch dazu da die Genossenschaft finanziell autonom
       agierte. Künstler wie Michael Morgner und Thomas Ranft, Mitbegründer der
       [3][Künstlergruppe „Clara Mosch“] saßen im Vorstand, an jedem Mittwoch
       fanden Jazzkonzerte, Vorträge, Lesungen und Performances statt.
       
       „Was die Avantgarde betrifft, war diese Galerie wahrscheinlich wirklich die
       wichtigste im Osten“, sagt Barthel. „Alles, was mit nonkonformer Kunst zu
       tun hat, haben wir ausgestellt.“ Darunter waren Max Uhlig, [4][Strawalde
       (Jürgen Böttcher)], Peter Graf, Eberhard Göschel, Wolfram Adalbert
       Scheffler, Lutz Dammbeck, Hartwig Eberbach und Hans-Joachim Schulze. Mit
       gerade einmal 24 Jahren übernahm Barthel die Galerie. Er sorgte dafür, dass
       ihm wichtige Künstler einen kleinen Katalog bekamen.
       
       ## Bühne für Experimente
       
       Mit „beharrlichem Lavieren“ verhinderte er zwei Übernahmeversuche des
       Staatlichen Kunsthandels: „Da kamen Briefe eben auch einfach mal nicht an“,
       erklärt er. „Man musste die DDR mit ihren eigenen Waffen schlagen“. Barthel
       organisierte Auktionen und Ausstellungen, dazu sogenannte „plein airs“ in
       Mecklenburg-Vorpommern und Thüringen, die die Künstler für diverse
       Experimente nutzen. Einmal landete dabei ein Wimpel mit DDR-Fahne in einem
       Kuhfladen. Grund genug, Barthel 1983 zu entlassen.
       
       Die Künstler protestierten, er durfte bleiben und wurde nach der Vorlage
       seiner Texte und dank zwei prominenter Fürsprecher, dem Kunsthistoriker
       Klaus Werner und Werner Schmidt, Direktor des Kupferstichkabinetts Dresden,
       in den Verband Bildender Künstler aufgenommen. In der DDR eine Form der
       Versicherung gegen Staatswillkür.
       
       Leben in der DDR, das bedeutete für Gunar Barthel auch ein bewusstes Leben
       mit der Staatssicherheit. Sein Großvater saß vier Jahre in Bautzen, weil er
       sich systemkritisch geäußerte hatte, seine Mutter lehnte die
       Anwerbungsversuche der Stasi ab. Schon Barthels erste Freundin sollte ihn
       ausspionieren, auch sie lehnte ab, spätere taten es. Über 100 informelle
       Mitarbeiter hatten ihn und die Aktivitäten der Galerie über die Jahre
       observiert, machten vor seinen Privaträumen nicht Halt.
       
       ## Unter Beobachtung
       
       „Er hat eine Schreibmaschine und schreibt sehr viel. B. selbst hat
       verlauten lassen, dass er viel schreiben muesse... Aus Anlass von
       Staatsfeiertagen flaggte er nicht...“ steht in der Akte vom 27.12.1978.
       1990 gehört er zu den ersten, die ihre Unterlagen einsehen dürften: „Ich
       habe da stundenlang gesessen, gelesen und auch gelacht, so dumm waren viele
       Dinge.“ Bis heute kommen Unterlagen per Post.
       
       Die Aktivitäten der „Galerie oben“ wurden in den 80er Jahren zunehmend
       eingeschränkt oder verboten. 1987 beantragt Barthel die Ausreise und stellt
       sich auf jahrelanges Warten ein. Nur wenige Tage später wird er mit seiner
       Frau und seiner Mutter, die beide in der Galerie mitarbeiten, abgeholt und
       hinter dem monumentalen Karl-Marx-Kopf in einen Raum gesperrt. Über
       Lautsprecher bekommen sie mitgeteilt, dass sie die DDR noch am selben Abend
       verlassen müssen oder eingesperrt bleiben. Sie unterschreiben die Papiere
       und gehen.
       
       Verwandte in Bremen nehmen die Familie auf. „Ich wollte mit einem VW-Bus um
       die Welt reisen“. Doch seine gute Arbeit in der „Galerie oben“ hat sich bis
       in die Bremer Kunstszene herumgesprochen, er bleibt und leitet auch hier
       eine Galerie. Die Kontakte zu den Ost-Freunden hält er. In einer Nacht- und
       Nebelaktion holt er ihre Kunst aus der DDR in den Westen – 24 Stunden wird
       er an der Grenze festgehalten.
       
       ## Fasanenstraße 12 in Berlin-Charlottenburg
       
       Im Oktober 1989 eröffnet seine erste eigene Galerie in Charlottenburg.
       Während er in der Fasanenstraße 12 die Münchner Künstlergruppe Kollektiv
       Herzogstrasse ausstellt, wird die Grenze geöffnet. Erste Künstler aus der
       DDR kommen ihn besuchen. Weihnachten 1989 ist er wieder in Chemnitz und
       verabredet mit ihnen eine Zusammenarbeit auf dem westlichen Kunstmarkt.
       Nicht alle sind leicht vom neuen Joint-venture-Prinzip zu überzeugen: 50
       Prozent der Einnahmen gehen an die Künstler, 50 Prozent bleiben beim
       Galeristen.
       
       Während Barthel in Berlin erfolgreich Werke von Joseph Beuys verkauft,
       initiiert er in Chemnitz erste Ausstellungen westdeutscher Künstler.
       Wichtige Kunstmessen wie die Art Cologne und die Art Basel lassen den
       Ost-Galeristen ohne die übliche Wartezeit zu – die hohen Standmieten muss
       er trotzdem zahlen. „In den 90er hatte ich schon eine Art Ost-Bonus“, so
       Barthel. „Aber natürlich haben die Wessis nicht auf uns gewartet.“ Dass der
       „Aurora-Experimentalraum“ von Carlfriedrich Klaus heute vor der
       Abgeordnetenlobby des Reichstagsgebäudes hängt, auch dafür hat er intensiv
       die Fäden gezogen.
       
       Nach 16 Jahren Galeriegeschäft unter West-Bedingungen veränderte Gunar
       Barthel 2006 den Fokus seiner Arbeit. Die Räume in der Fasananenstraße sind
       heute vor allem Archiv- und Dokumentationszentrum für die nonkonforme Kunst
       in der DDR. Kästen voller Künstlerbücher, Mappenwerke, originalgrafische
       Plakate, Tausende Fotos. Gunar Barthel hat alles aufgehoben.
       
       In den Räumen stellt er weiterhin aus – derzeit den Fotografen Kurt
       Buchwald – und lädt zu öffentlichen Gesprächen. DDR-Kunst gibt es für Gunar
       Barthel nicht: „Es gibt nur Kunst in der DDR.“ Die wird für ihn museal noch
       immer nicht angemessen abgebildet: Allein die Ausstellung [5][„Hinter der
       Maske“ 2017 im Museum Barberini in Potsdam] habe den Schwerpunkt wieder auf
       der offizielle Staatskunst gelegt. Als Leihgeber nonkonformer Kunst war er
       zwar dabei, unter anderen mit Werken von Klaus Hähner-Springmühl, Hermann
       Glöckner, Michael Morgner und der Künstlergruppe „Clara Mosch“. „Es
       dominiert immer noch der narrative Realismus von Mattheuer, Sitte und
       Heisig“, bedauert Barthel.
       
       ## Geschichte sichern
       
       Die Anerkennung der Kunst aus der DDR läuft ihm zu einseitig: „Es gab die
       offizielle Staatskunst überall zu sehen.“ Aber auch Werke von Morgner oder
       Ranft waren an Orten wie der „Galerie oben“ öffentlich ausgestellt und
       konnten gekauft werden: „Das war keine Nischenkunst.“
       
       Dass sich Museen und Universitäten zunehmend differenziert mit der Kunst
       aus der DDR befassen, freut ihn. Und noch immer hat er dabei seine Finger
       im Spiel: Dem Leipziger Museumsdirektor Alfred Weidinger schickte er zum
       Amtsantritt eine E-Mail zum Autodidakten Klaus Hähner-Springmühl. Das
       Leipziger Museum widmete ihm 2018 eine Retrospektive. Gunar Barthel hatte
       ihn schon 1977 kennengelernt, in der „Galerie oben“ ausgestellt und im
       ersten Katalog über ihn geschrieben.
       
       Die nonkonforme Kunst der DDR fand keineswegs nur hinter geschlossenen
       Türen von Privatwohnungen statt. Und so wie die „Galerie oben“ ihr Programm
       von Beginn an die DDR-Öffentlichkeit richtetet, so gehört das Archiv von
       Gunar Barthel langfristig museal gesichert und der Öffentlichkeit
       zugänglich gemacht. Interessenten waren schon viele da, nur Geld und Raum
       braucht es eben auch, um dieses Stück Kunstgeschichte für die Nachwelt zu
       sichern.
       
       14 Oct 2020
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Sarah Alberti
       
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