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       # taz.de -- Presse in Corona-Zeiten: Krise der Anzeigenblätter
       
       > Weil sie von Werbung abhängig sind, trifft die Coronakrise kostenlose
       > Anzeigenblätter besonders hart. Die geplante Presseförderung soll helfen.
       
   IMG Bild: Präsenz im Briefkasten: Kostenlose Anzeigenblätter hoffen auf eine Zustellförderung
       
       Es gibt Partnerschaften, die auf den ersten Blick überraschen. Das
       gemeinnützige Recherchezentrum Correctiv beispielsweise glänzte in der
       Vergangenheit vor allem mit investigativen Mammutprojekten wie den
       Cum-Ex-Files oder Recherchen zum lokalen Mietmarkt. Auf der Webseite der
       Wochenzeitung Altmühlfranken, einem kostenlosen Anzeigenblatt aus Bayern,
       wird dagegen auch schon mal die [1][Pressemitteilung eines
       Landtagsabgeordneten] unverändert als redaktioneller Artikel
       veröffentlicht.
       
       Unterschiedlichere Vorstellungen von journalistischer Arbeit könnte es also
       kaum geben. Und doch [2][kooperieren die beiden Medienhäuser derzeit unter
       dem edlen Banner des gemeinsamen Kampfes gegen Fake News] und
       Desinformation. Regelmäßig erscheinen in der Wochenzeitung nun Faktenchecks
       von Correctiv – genau wie in vielen anderen Titeln des Bundesverbands
       Deutscher Anzeigenblätter (BVDA). Aus Sicht des Verbands ist das nur
       konsequent: „Wir sind Teil der Presselandschaft und wichtig für den
       demokratischen Willensbildungsprozess“, sagt Geschäftsführer Sebastian
       Schaeffer.
       
       Im Zuge einer aktuellen Debatte bekommt dieses Selbstverständnis nun neue
       Relevanz. Denn wenn es um die geplante Presseförderung geht, sind
       Anzeigenblätter immer mitgemeint. Zur Erinnerung: 220 Millionen Euro vom
       Staat sollen den Verlagen in den kommenden Jahren dabei helfen, ihr
       veraltetes Geschäftsmodell endlich fit für die digitale Welt zu machen.
       Genaueres zu den Fördervoraussetzungen weiß man noch nicht. Durchaus
       wahrscheinlich ist aber, dass eine Zahlung an bestimmte objektive
       Qualitätskriterien wie etwa den Anteil des redaktionellen Inhalts gekoppelt
       sein könnte.
       
       Das demonstrative Selbstbewusstsein des BVDA mag da also erst einmal
       irritieren. Schließlich scheinen viele mit den kostenlosen Blättern vor
       allem biedere Werbewurfsendungen oder sogar analogen Spam, jedenfalls aber
       bestimmt keine journalistischen Qualitätsprodukte zu verbinden. Dieses
       Image kennt auch Schaeffer. Er beklagt allerdings, dass man die Branche zu
       sehr auf Negativbeispiele reduzieren würde. „Wir sind sehr
       unterschiedlich“, sagt der BVDA-Geschäftsführer über die etwa 1.200 Titel,
       die zusammen eine Auflage von fast 80 Millionen erreichen. Viele der
       Blätter würden mit Herzblut gemacht und seien vor Ort eine echte
       publizistische Konkurrenz für die Lokalzeitungen.
       
       ## Weit ausgelegter Pressebegriff
       
       Sowohl das deutsche Pressrecht als auch die Leser*innen sprechen jedenfalls
       für den BVDA. Immer wieder haben deutsche Gerichte den Pressebegriff sehr
       weit ausgelegt und dabei sowohl die kostenlosen Wochenzeitungen als auch
       die Anzeige als solche unter den Schutz der Pressefreiheit gestellt. Für
       die Leser*innen wiederum scheint der journalistische Qualitätsbegriff
       ebenfalls sehr viel facettenreicher zu sein, als es so manche Edelfeder in
       den Büros der renommierten Verlage aus Hamburg oder Berlin gerne hätte.
       Immer wieder werden die Anzeigenblätter in Umfragen als verlässliche,
       glaubwürdige und häufig genutzte Quelle für lokale Nachrichten bezeichnet.
       
       Aus Sicht des BVDA stellen sich aber vorerst sowieso ganz andere Fragen.
       Ähnlich wie die Zeitungsverleger sind sie nämlich überhaupt nicht glücklich
       darüber, [3][dass die ursprünglich geplante Zustellförderung nun offenbar
       dem Ziel der digitalen Transformation weichen muss.] Doch anders als bei
       den Zeitungen, die auch journalistische Inhalte im Netz verkaufen können,
       ist ihr Geschäftsmodell eben zu hundert Prozent von Anzeigen abhängig.
       
       „Wir leben davon, dass wir durch die Präsenz im Briefkasten eine große
       Werbewirkung erzeugen“, sagt Sebastian Schaeffer. Und das ließe sich im
       Netz schlicht nicht reproduzieren. „Die Digitalisierung ist bei uns deshalb
       vielleicht nicht der zwingende Weg der Innovation.“
       
       Die Coronakrise hat jedoch gezeigt, [4][dass die Verlage rasch gute Ideen
       brauchen]. Durch die Abhängigkeit vom Werbemarkt mussten die Blätter laut
       Schaeffer mit bis zu 90 Prozent Umsatzrückgang klarkommen – etwa 15 Prozent
       der Titel seien gemessen an der Auflage ganz eingestellt worden. Während
       das für die Beschäftigten tragisch ist, darf die damit einhergehende Klage
       über sterbende Medienvielfalt allerdings mit Vorsicht genossen werden:
       Schon jetzt gehören rund 80 Prozent der Auflage über Tochterfirmen zu den
       großen Regionalzeitungsverlagen.
       
       13 Oct 2020
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.wochenzeitung-online.de/mdl-hauber-in-weidenbach-und-ornbau/
   DIR [2] https://www.bvda.de/themen/kooperation-mit-correctiv/faktenchecks/kooperation-mit-correctiv-erster-faktencheck.html
   DIR [3] /Bundesregierung-will-Presse-foerdern/!5694306
   DIR [4] /Corona-und-Journalismus/!5681088
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Alexander Graf
       
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