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       # taz.de -- Prozess um Brandstiftung in Neukölln: Ex-NGO-Mitarbeiter freigesprochen
       
       > Ein Ex-Mitarbeiter der Amadeu-Antonio-Stiftung wurde vor Gericht
       > freigesprochen. Er war wegen Brandstiftung an dem Auto eines Neonazis
       > angeklagt.
       
   IMG Bild: Solidaritäts-Kundgebung für die Betroffenen der rechtsextremen Anschlagsserie in Neukölln
       
       Berlin taz | Der Neukölln-Komplex ist um eine Skurrilität reicher. Ein
       wegen gemeinschaftlicher Brandstiftung angeklagter Mann wurde am Donnerstag
       vor dem Amtsgericht Tiergarten freigesprochen. Nach mehreren vernommenen
       Zeugen sah es das Gericht als nicht erwiesen an, dass er am 30. Januar 2019
       das Fahrzeug des Neuköllner Rechtsextremisten und ehemaligen AfDlers Tilo
       P. angezündet haben soll. P. ist seinerseits einer der Hauptverdächtigen in
       der unaufgeklärten [1][rechtsextremen Neuköllner Terrorserie].
       
       Die Brandstiftung war einer von zwei Anklagepunkten gegen den nun
       freigesprochenen Mann: Wegen mutmaßlicher Widerstandshandlungen bei seiner
       Festnahme in der Brandnacht wird allerdings noch weiterverhandelt. Ein
       Folgetermin ist für den 5. November angesetzt.
       
       Besondere Brisanz hatte der Fall, weil die Brandstiftung unter anderem
       [2][von der AfD politisch instrumentalisiert worden war]. Der nun
       Freigesprochene hatte in der Vergangenheit bei antirassistischen NGOs
       gearbeitet. Medien hatten breit darüber berichtet, dass ein Autor der
       Bundeszentrale für politische Bildung und ehemaliger freier Mitarbeiter der
       Amadeu-Antonio-Stiftung und der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus
       mutmaßlich das Auto eines AfDlers angezündet habe.
       
       Nach anderthalb Jahren offenkundig halbherzig geführter Ermittlungen gegen
       den Mann durch Staatsschutz und Staatsanwaltschaft blieb von dem Vorwurf
       allerdings nicht mehr viel übrig.
       
       ## Anklage fiel in sich zusammen
       
       Denn vor Gericht stellte sich heraus, dass die Anklage wegen Brandstiftung
       wenig mehr als heiße Luft war. Die Staatsanwaltschaft stützte sich darauf,
       dass einige Zivilbeamte den Freigesprochenen mit zwei Unbekannten am 30.
       Januar spätabends auf Fahrrädern in der Nähe des Tatorts gesehen hatten.
       
       Die drei Männer seien ihnen verdächtig vorgekommen, weswegen sie ihnen
       gefolgt seien. Die drei Männer hätten sich daraufhin zu dritt in der Nähe
       eines Autos in der Straße vor der Wohnung von P. aufgehalten. Eine
       Brandstiftung habe ein im Busch lauernder Polizist allerdings nicht
       beobachtet. Auch fanden sie bei der anschließenden Festnahme nach kurzer
       Verfolgung eines der Männer keine Tatmittel.
       
       Weil aber kurz darauf der rote Ford Focus von Tilo P. brannte, wurde der
       Festgenommene sowie die geflohenen Unbekannten als Verdächtige gehandelt.
       Vor Gericht stellte sich allerdings anhand von Fotos heraus, dass der
       Zivilpolizist den Angeklagten vor einem anderen Fahrzeug als dem von P.
       beobachtet hatte. Auch hat das Auto, vor dem der Angeklagte sich laut dem
       Polizisten aufgehalten habe, an einem anderen Ort gestanden und sei
       „dunkel“ statt rot gewesen.
       
       Selbst die Staatsanwaltschaft plädierte nach den Zeugenvernehmungen auf
       Freispruch. Die Richterin sprach den Angeklagten frei, weil er an einem
       anderen Fahrzeug beobachtet worden sei und die Spurenlage unzureichend sei.
       
       ## Die Verteidigung kritisierte die Ermittlungen
       
       Die Verteidigung des Angeklagten kritisierte die schlampigen Ermittlungen
       von Staatsanwaltschaft und Polizei, aber auch Vorverurteilungen in der
       Presse. Ihr Mandat sei gebrandmarkt worden und NGOs wie die
       Antonio-Amadeu-Stiftung gleich mit. Es sei übel, wie die AfD versuche,
       zivigesellschaftliche Initiativen zu diskreditieren, sagte die Anwältin
       Martina Arndt.
       
       Im November sollen noch Zeugen zur Festnahme und dem anderen Anklagepunkt
       Widerstand gehört werden. Aber auch hier deutete sich bereits an, dass die
       Beweislage eher dünn ist: Wahrscheinlich erscheint, dass der Angeklagte
       davon ausging, dass es sich bei den Zivilbeamten um Neonazis handele. So
       habe er laut nach der Polizei gerufen, während diese ihn festnehmen wollte.
       
       Selbst ein befragter Polizist räumte ein, dass er sich vorstellen könne,
       dass der Verfolgte sie für Nazis gehalten hätte. Die seien in Südneukölln
       ja schließlich sehr aktiv. Nachdem ihm bei der Festnahme schließlich
       Handschellen angelegt wurden und ihm ein Dienstausweis gezeigt wurde, gab
       es keinen Widerstand mehr. Verletzt wurde bei der Festnahme niemand.
       
       Offen bleibt die Frage, warum das Auto von Tilo P. brannte. Im
       Zuschauerraum wurde bereits darüber spekuliert, ob es sich um
       Versicherungsbetrug gehandelt habe. Während der Verhandlung wurde klar,
       dass der ältere Ford Focus für 2.500 Euro bei der DEVK versichert war.
       
       Auch ließ aufhorchen, dass P. bei seiner Vernehmung als Geschädigter davon
       berichtete, dass er mit einer Brandstiftung bereits gerechnet hätte und
       normalerweise woanders parke. Emotional besonders betroffen sei er von der
       Brandstiftung nicht gewesen, wie ein Polizist berichtete, der ihn noch in
       derselben Nacht vernahm.
       
       Zudem habe P. erzählt, dass ihn das LKA vor einen möglichen Anschlag auf
       sein Auto gewarnt habe – als einen möglichen linksextremistischen Racheakt
       – nachdem ein Jahr zuvor unter anderem das Auto vom Linken-Politiker Ferat
       Kocak gebrannt hatte.
       
       15 Oct 2020
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Gareth Joswig
       
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