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       # taz.de -- Paritätsgesetz in Brandenburg gekippt: Parité ade
       
       > In Brandenburg sollten die Wahllisten künftig geschlechtsquotiert sein.
       > Nun hat das Verfassungsgericht das Gesetz gekippt.
       
   IMG Bild: Das „Abendland“ nun gerettet? Plenarsaal des Brandenburgischen Landtags, Potsdam im Februar 2020
       
       Potsdam taz | Das Paritätsgesetz des Landes Brandenburg ist
       verfassungswidrig. Das Gesetz verlangte, dass auf Wahllisten gleich viele
       Männer und Frauen kandidieren. Das Brandenburger Verfassungsgericht sah
       darin nun aber eine Verletzung von Parteirechten und Wahlgrundsätzen.
       Möglich wäre ein derartiges Gesetz nur nach einer Verfassungsänderung.
       
       Der Brandenburger Landtag hat im Februar 2019 das erste deutsche
       [1][Paritätsgesetz beschlossen]. Danach mussten auf den Wahllisten zur
       Landtagswahl im Reißverschlussverfahren abwechselnd Männer und Frauen
       platziert werden. Personen des dritten Geschlechts konnten frei
       entscheiden, ob sie auf einem Männerplatz oder auf einem Frauenplatz
       kandidieren wollen.
       
       Gegen das Gesetz klagten die Brandenburger Landesverbände von [2][NPD, AfD
       und Piraten sowie vier AfD-Mitglieder.] Erfolgreich waren die Organklage
       der NPD und die Verfassungsbeschwerden der AfDler. Dagegen war die
       AfD-Organklage unzulässig, weil verspätet. Über die Organklage der Piraten
       wird später noch entschieden.
       
       Nach Auffassung der Brandenburger VerfassungsrichterInnen verstößt das
       Paritätsgesetz gleich mehrfach gegen die Brandenburger Landesverfassung und
       ist daher nichtig. Die RichterInnen sahen Rechte der Parteien, aber auch
       der WählerInnen verletzt.
       
       ## NPD und AfD-Mitglieder klagen erfolgreich
       
       „Es ist der Wesenskern des Demokratieprinzips, dass die Willensbildung im
       Staat von unten nach oben verläuft“, sagte Markus Möller, der Präsident des
       Verfassungsgerichts, bei der Urteilsverkündung in Potsdam. Dem widerspreche
       es, wenn der Staat den Parteien verbindliche Vorgaben für die Besetzung der
       Wahllisten mache.
       
       Es sei auch eine Frage der politischen Ausrichtung, ob eine Partei ihre
       Listen paritätisch mit Männern und Frauen besetzt oder nicht, so Möller.
       Wenn alle Parteien mit quotierten Wahllisten antreten müssen, verwische das
       die Unterschiede zwischen den Parteien.
       
       Das Paritätsgesetz benachteilige aber auch Parteien mit geringen
       Frauenanteilen, so die RichterInnen. Nur 12,3 Prozent der NPD-Mitglieder in
       Brandenburg sei weiblich. Die NPD müsste also eventuell Kandidatinnen
       vorschlagen, von denen sie gar nicht überzeugt ist. Oder sie könnte Männer,
       die sie für geeignet hält, nicht auf die Wahlliste setzen, weil zu wenige
       Frauen kandidieren wollen.
       
       Nach Ansicht der RichterInnen ist das Paritätsgesetz aber auch ein Eingriff
       in die Rechte der BürgerInnen, die auf Landeslisten der Parteien
       kandidieren wollen. Wegen des Reißverschlussprinzips seien Kandidaturen nur
       auf jedem zweiten Platz der Liste möglich. Dies schränke auch die
       Möglichkeiten von Frauen ein, so Richter Möller. Männer und Frauen seien
       zudem gegenüber Personen des dritten Geschlechts benachteiligt, weil diese
       auf allen Plätzen kandidieren könnten.
       
       ## Gesetz sei Eingriff in die Rechte der BürgerInnen
       
       Dass es solche Folgen für Parteien und BürgerInnen geben könnte, ist
       unbestritten. Entscheidende Frage für die VerfassungsrichterInnen war aber,
       ob sich diese Eingriffe verfassungsrechtlich rechtfertigen lassen. Und hier
       war die Antwort der RichterInnen ganz klar: Nein.
       
       In der Brandenburger Landesverfassung steht zwar, das Land sei
       verpflichtet, für die „Gleichstellung von Frau und Mann“ zu sorgen – unter
       anderem „im öffentlichen Leben“. Diese Staatszielbestimmung genüge aber
       nicht als Rechtfertigung für grundlegende Änderungen im Wahlrecht. Solche
       „Modifizierungen“ des Demokratieprinzips müssten vielmehr per Änderung der
       Landesverfassung erfolgen, so die RichterInnen.
       
       Das Urteil der neun VerfassungsrichterInnen fiel einstimmig. Das heißt,
       auch die Schriftstellerin Juli Zeh und der Regisseur Andreas Dresen, die
       dem Gericht angehören, stimmten für die Verfassungswidrigkeit des Gesetzes.
       
       Damit ist das Brandenburger Urteil für die BefürworterInnen von
       Paritätsgesetzen ein [3][noch größerer Rückschlag] als das [4][Urteil des
       Landesverfassungsgerichtshofs in Thüringen] im Juli, der das dortige
       Paritätsgesetz aus ähnlichen Gründen für verfassungswidrig erklärt hatte.
       Dort aber stimmten immerhin drei der neun RichterInnen dagegen und gaben
       somit ein Minderheitsvoten ab.
       
       ## Nur 32 Prozent Frauen im Brandenburger Landtag
       
       Das Brandenburger Paritätsgesetz tritt nun also ohne jede Anwendung außer
       Kraft. Eine Verfassungsänderung, die es erlauben würde, ein neues
       Paritätsgesetz zu beschließen, ist derzeit wohl aussichtslos. SPD, Linke
       und Grüne haben zusammen nur 45 von 88 Sitzen im Landtag, sind also weit
       von der erforderlichen Zweidrittelmehrheit entfernt.
       
       Aktuell beträgt der Frauenanteil im Potsdamer Landtag 32 Prozent.
       Allerdings hätte ihn auch das Paritätsgesetz bei der nächsten Wahl nicht
       sicher auf 50 Prozent gehoben, weil nur die Hälfte der Mandate über
       Wahllisten vergeben werden. Auf die Direktmandate, die in den Wahlkreisen
       vergeben werden, hätte das Paritätsgesetz keine Auswirkungen gehabt.
       
       Der Bundestag ist an die Urteile der Landesverfassungsgerichte nicht
       gebunden. Er könnte also mit geeigneten Mehrheiten einen neuen Anlauf
       unternehmen und hoffen, dass das Bundesverfassungsgericht etwaige Klagen
       ablehnen würde. Doch auch darauf sollte niemand zu viel Hoffnungen
       verwenden. In der letzten Zeit sprach sich die frühere linke
       Verfassungsrichterin Gertrude Lübbe-Wolff vehement gegen Paritätsgesetze
       aus.
       
       Anhängig ist beim Bundesverfassungsgericht bereits eine
       Verfassungsbeschwerde von 15 Frauen und 5 Männern aus Thüringen. Die vom
       Thüringer Landesfrauenrat koordinierte Klage wendet sich gegen das Urteil
       des Thüringer Verfassungsgerichts. Hier könnten die Karlsruher RichterInnen
       bereits deutlich machen, wie sie zu Paritätsgesetzen stehen.
       
       23 Oct 2020
       
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