URI: 
       # taz.de -- Corona-Folge für Hamburgs Bürgerschaft: Comeback der Hinterzimmer-Politik
       
       > Die Pandemie beschädigt die demokratische Partizipation: Ausschüsse tagen
       > nicht nur kürzer, sondern meist auch unter Ausschluss der Öffentlichkeit.
       
   IMG Bild: Dafür ist Live-Stream nicht zu teuer: Bürgermeister Peter Tschentscher auf der Landespressekonferenz
       
       Hamburg taz | Mal waren es wütende Jugendamtsmitarbeiter, die schnell ihre
       Protestplakate in den Taschen versteckten, mal pensionierte Schulleiter,
       die kopfschüttelnd den Worten eines neuen Senators lauschten, mal Vetreter
       von Vereinen, Initiativen, Betroffene und Politik-Nerds aller Art – es gab
       sie, die Menschen, die sich in vergangenen Jahrzehnten auf die
       Zuschauerstühle in den Räumen des Rathauses setzten und zuhörten, wenn ein
       Fachausschuss tagt.
       
       Seit Ende der Sommerpause finden diese Sitzungen wieder statt. Doch in den
       Einladungen steht nun als Fuß, die fänden „derzeit ohne Besucherinnen und
       Besucher“ statt. Journalisten, die sich bei der Pressestelle erkundigen,
       erfahren, dass sie zugelassen sind. Sie dürfen sich an einen der mit
       Plexiglas abgetrennten Tische im Kaisersaal setzen und den Sitzungen
       folgen. Und sie sind überraschend schnell wieder raus. Denn es gibt seit
       Juli noch eine Änderung. Die Sitzung soll in der Regel nur zwei Stunden
       dauern. An den beiden Hauptsitzungstagen beginnt die erste um 14 Uhr und
       die zweite um 17 Uhr.
       
       Das ist Teil eines einjährigen Testlaufs für eine Reform, damit „Familie
       und Mandat“ oder „Wahlkreisarbeit und Mandat“ vereinbar sind. Zufällig
       fällt er mit den Corona-Einschränkungen zusammen. Die Tagesordnungen werden
       dadurch kürzer. Und auch, wenn die zwei Stunden keine strikte Zeitgrenze
       sein sollen und Sitzungen auch länger dauern dürfen, wird die Folge sein,
       dass „Nischenthemen“ es schwerer haben, in einen Ausschuss zu gelangen.
       
       Es gibt durchaus Ausschüsse, die als Livestream übertragen werden, um
       Öffentlichkeit herzustellen – etwa kürzlich der Haushaltsausschuss [1][zum
       Cum-Ex-Skandal]. Auch die Sitzung des Innenausschusses, in der Innensenator
       Andy Grote (SPD) zu seiner nicht coronakonformen Feier angehört wurde, lief
       im Internet. Der Familienausschuss – es ging um Kinderschutz und mögliche
       [2][Pläne für ein geschlossenes Heim] – dagegen nicht. Offenbar haben
       „harte“ Themen bessere Chancen als „Gedöns“.
       
       ## Mit Glück gibt es für Bürger ein Wortprotoll
       
       Darüber entscheiden die Fraktionen. „Wenn etwas von außergewöhnlichem
       Interesse ist, gibt es eine Übertragung, darauf haben wir uns im
       Ältestenrat verständigt“, berichtet Linken-Fraktionschefin Sabine
       Boeddinghaus. Live-Übertragungen seien nur im großen Festsaal möglich. „Das
       ist ein räumliches und auch ein finanzielles Problem.“
       
       Der personelle und technische Aufwand für Livestreams sei „erheblich“, sagt
       Bürgerschaftssprecherin Barbara Ketelhut. In manchen Räumen sei eine
       Übertrag gar nicht möglich. Zudem sehe die Geschäftsordnung der
       Bürgerschaft dies „nur in absoluten Ausnahmefällen“ vor. Etwa bei
       Anhörungen von Volksinitiativen. Transparenz sei aber dadurch gegeben, dass
       die Bürgerschaftssitzungen übertragen werden. Auch stehe es jedem Ausschuss
       frei, ein Wortprotokoll zu erstellen, das einige Tage später in der
       Parlamentsdatenbank zu finden sei. Also: lesen statt zuhören, liebe
       Politik-Nerds.
       
       Dabei werden wir gerade zu Hause auf dem Sofa an andere Livestreams aus dem
       Rathaus gewöhnt. Der Senat gibt fast jeden zweiten Tag so eine
       Pressekonferenz, um Coronabeschlüsse zu verkünden – fast schon
       Regierungsfernsehen.
       
       ## Linke fordert Corona-Rat
       
       Um dem Übergewicht der Exekutive etwas entgegenzusetzen, fordert die Linke
       neuerdings einen „Corona-Rat“. Denn vieles werde „nicht gut kommuniziert
       vom Senat“, kritisiert Sabine Boeddinghaus. Menschen seien desorientiert,
       weil die Maßnahmen nicht immer sinnvoll erscheinen. Da drohe etwas zu
       kippen. „Statt dass der Senat seine Beschlüsse nur über Pressekonferenzen
       verkündet, brauchen wir eine systematische Beteiligung des Parlaments und
       der Zivilgesellschaft“, sagt sie. Im dem Rat sollten zum Beispiel Verbände
       und Gewerkschaften vertreten sein. Ob der dann Livestream-öffentlich ist,
       „müsste noch geklärt werden“.
       
       Auch die Grünen beteuern, Corona gehöre im Parlament debattiert. „Wir
       werden zur weiteren Intensivierung der parlamentarischen Debatte gerne
       beitragen“, sagt Grünen-Fraktionschefin Jennifer Jasberg. Die Schaffung
       eines neuen Gremiums halten sie allerdings „nicht für zielführend“.
       
       ## Es gibt doch neue Räume mit Live-Stream-Technik
       
       SPD-Gesundheitspolitikerin Claudia Loss sagt, ihre Fraktion habe sich noch
       keine Meinung zum Linken-Antrag gebildet. Sie wendet aber ein, in der
       Pandemie sei es wichtig, „schnell Entscheidungen zu treffen“. Auch befänden
       sich Senat und Regierungsfraktionen „im ständigen Austausch mit
       gesellschaftlichen Gruppen“. Um Probleme zu thematisieren, böten sich die
       Fachausschüsse an. Nur sind die eben ohne Publikum.
       
       Immerhin sagt Sprecherin Ketelhut, man habe die Pandemie im Blick und
       kümmere sich um eine „Optimierung der Abläufe“. So miete die Bürgerschaft
       neue Räume am Adolphsplatz 6 an, die ab dem 30. Oktober für
       Ausschusssitzungen genutzt werden können. Und die würden derzeit „technisch
       für Livestreams ausgestattet“. Da geht noch was.
       
       Anmerkung der Redaktion: Der Artikel wurde aktualisiert. Im dritten Absatz
       haben wir eingefügt, dass zwei Stunden keine strikte Zeitgrenze sein
       sollen.
       
       24 Oct 2020
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Ausschuss-zur-Hamburger-CumEx-Affaere/!5717463
   DIR [2] /Neue-Jugend-Einrichtung-in-Hamburg/!5711489
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Kaija Kutter
       
       ## TAGS
       
   DIR Parlamentarismus
   DIR Schwerpunkt Coronavirus
   DIR Transparenz
   DIR Demokratie
   DIR Hamburgische Bürgerschaft
   DIR Hamburger Bürgerschaft
   DIR Transparenz
   DIR Parlamentarismus
   DIR Parlamentarismus
   DIR Schwerpunkt Coronavirus
   DIR Peter Tschentscher
   DIR Andy Grote
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Neue Parlamentsräume in Hamburg: Wie durch ein Guckloch
       
       Hamburgs Bürgerschaft benutzt für ihre Ausschussarbeit einen neuen Saal. In
       dem können Publikum und Journalisten die Senatoren nicht sehen.
       
   DIR Corona-Schutz in Hamburger Bürgerschaft: Pressefreiheit darf nicht leiden
       
       Laut Grundgesetz entscheiden die Medien selber, was sie spannend finden.
       Das ist nicht die Aufgabe von Ausschussvorsitzenden oder Präsidentinnen.
       
   DIR Corona-Schutz in Hamburger Bürgerschaft: Parlament bleibt lieber unter sich
       
       In Hamburg tagen Fachausschüsse vermehrt per Videokonferenz. Die Presse hat
       nur Zugang, wenn die Gremien ein „öffentliches Interesse“ annehmen.
       
   DIR Parlamentarische Arbeit in Hamburg: Radio aus dem Rathaus?
       
       Unter Corona leidet auch die Demokratie, denn Fachausschüsse tagen ohne
       Publikum. Eine Lösung wäre ein Radio, wie es Schleswig-Holstein seit 2014
       hat.
       
   DIR Ausschuss zur Hamburger CumEx-Affäre: Opposition jagt die Bürgermeister
       
       CDU und Linke initiieren Untersuchungsausschuss zu Steuerverzicht gegenüber
       der Warburg-Bank. Nahmen Olaf Scholz und Peter Tschentscher Einfluss?
       
   DIR Hamburger Innensenator unter Beschuss: Coronaparty noch folgenlos
       
       Das Bußgeld gegen Innnensenator Andy Grote wird seit Wochen geprüft, aber
       noch nicht verhängt. Bei anderen Hamburgern geht das schneller.
       
   DIR Hamburger Debatte ums Feierabendparlament: Grüne fordern Vollzeit
       
       Beruf und Abgeordnetenmandat – das lässt sich schwer miteinander
       vereinbaren. Deshalb verlässt die grüne Schulpolitikerin Stefanie von Berg
       die Bürgerschaft.