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       # taz.de -- Spiegel-Interview mit Sandra Ciesek: Das Dilemma mit kritischen Fragen
       
       > Der „Spiegel“ hat die Virologin Sandra Ciesek im Interview „Quotenfrau“
       > genannt und später relativiert. Dabei sollte er die Kritik als Gewinn
       > sehen.
       
   IMG Bild: Die Virologin Sandra Ciesek war wenig amüsiert über die Fragen
       
       Twitter kann die Hölle sein. Scharf, zynisch, platt. Aber Twitter kann auch
       eine Bühne für interessantes Denken sein, klug, nuanciert, auf den Punkt.
       Es ist nicht immer einfach zu unterscheiden, wo die Denkarena endet und die
       Hölle anfängt. Dass klassische Medien damit schwer umgehen können, zeigte
       gerade der Spiegel.
       
       Der veröffentlichte ein [1][Interview mit der Virologin Sandra Ciesek].
       Ciesek ist Professorin für Virologie und Direktorin des Instituts für
       Medizinische Virologie in Frankfurt. Sie tritt im Wechsel mit Christian
       Drosten im Corona-Podcast des NDR auf. Im Spiegel-Interview ging es aber
       erst einmal um ihr Geschlecht: „Frau Professor Ciesek, seit September sind
       Sie alle zwei Wochen im Wechsel mit Christian Drosten im NDR-Corona-Podcast
       ‚Coronavirus Update‘ zu hören. Ihnen ist klar, dass Sie die Quotenfrau
       sind?“
       
       „Christian Drosten hat sich im Laufe der letzten Monate zu einem Popstar
       entwickelt, dem jetzt auch noch das Bundesverdienstkreuz 1. Klasse
       verliehen wurde. Sie hingegen sind ‚die Neue an Drostens Seite.‘“ Und:
       Cieseks erste Folgen klängen „nach Volkshochschule“, ob das demnächst
       spannender werden würde?
       
       Kein Mann würde in Interviews so auf sein Geschlecht reduziert,
       kritisierten Twitter-NutzerInnen. Die Spiegel-RedakteurInnen verteidigten
       ihre Fragen als „kritisch“, „frech“ und „provokant“. Dagegen wäre auch
       nichts einzuwenden, wenn sie das wirklich wären. Nur zeigt ein anderes
       Interview, wie „kritisch“ und „provokant“ Cieseks männliche Kollegen
       befragt werden. Im Mai interviewten dieselben Redakteurinnen, die jetzt
       Ciesek interviewt haben, Christian Drosten. [2][Die ersten Fragen damals
       waren]: „Herr Professor Drosten, Ihr Podcast wird millionenfach abgerufen,
       auf Twitter folgen Ihnen mehr als 300.000 Menschen, jeder Tweet wird
       hundertfach geteilt und tausendfach gelikt – wie gefällt Ihnen Ihre neue
       Berühmtheit?“, „Werden Sie auf der Straße angesprochen?“ und: „Wäre
       Deutschland ohne Sie schlechter vorbereitet in die Pandemie geschlittert?“
       
       ## Das Drosten-Interview klingt wie Heldenverehrung
       
       Da ist wenig Provokantes, Freches, Kritisches drin. Das liest sich eher wie
       Heldenverehrung. Der Spiegel konkretisierte nach der aktuellen Kritik eine
       Frage an Sandra Ciesek in der Onlineversion des Interviews. Eine der
       Interviewerinnen schob die Verantwortung für die Fragen dennoch Ciesek
       selbst zu, die doch bitte im Interview hätte deutlich machen sollen, dass
       sie mit den Fragen nicht einverstanden sei.
       
       Klar, es ist anstrengend und nervig für JournalistInnen, dass auf Twitter,
       Facebook und Instagram jedeR Medienkritik äußern kann. Wofür man früher
       Briefpapier, einen Füller und eine Briefmarke brauchte, braucht es heute
       nur einen schnell getippten Tweet. Aber genau das ist auch ein Gewinn, weil
       es ermöglicht, dass wir transparenter und offener über unsere Arbeit und
       ihre Fehler sprechen könnten. Beim Spiegel allerdings richten sie die
       „kritischen Fragen“ diesmal lieber an die anderen statt an sich selbst.
       
       18 Oct 2020
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.spiegel.de/wissenschaft/sandra-ciesek-ueber-corona-massnahmen-ein-gutes-beispiel-ist-daenemark-a-00000000-0002-0001-0000-000173548967
   DIR [2] https://www.spiegel.de/wissenschaft/medizin/christian-drosten-in-meinem-alltag-kommt-die-bild-zeitung-nicht-vor-a-00000000-0002-0001-0000-000171168292
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Anne Fromm
       
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