URI: 
       # taz.de -- Proteste in Belarus: Verhärtete Fronten in Minsk
       
       > In der belarussischen Hauptstadt Minsk demonstrieren wieder Tausende.
       > Oppositionsführerin Tichanowskaja droht Lukaschenko mit Generalstreik.
       
   IMG Bild: Minsk, am Sonntag: Tausende marschieren erneut gegen Diktator Lukaschenko
       
       Kiew taz | Auch an diesem Wochenende waren Zigtausende Protestierende in
       belarussischen Städten auf den Straßen. Sie forderten den [1][Rücktritt von
       Präsident Lukaschenko], die Freilassung aller politischen Gefangenen,
       Ermittlungen gegen Beamte, die Gefangene und Demonstranten misshandelt
       hatten. Erst am Sonntagvormittag wurde die Demonstrationsroute des Marsches
       in der Hauptstadt Minsk bekannt.
       
       Gegen 14 Uhr strömten aus allen Teilen der Hauptstadt Menschen, zum großen
       Teil mit weiß-rot-weißen Fahnen in den Händen oder um die Schultern
       übergeworfen, zum Partisanenprospekt im Industrieviertel. Kurz nach 14 Uhr
       begann dort „der Partisanenmarsch“, wie sich die Demonstration diesen
       Sonntag nannte. In einem Aufruf zur Demonstration wird an die Tradition der
       Belarussen als Partisanen erinnert. Immer wieder riefen die
       Demonstrierenden in Sprechchören „Streik“.
       
       Nicht sehr glücklich über die Marschroute ist Aktivistin Alexandra
       Kondratiewa. „Im Industrieviertel gibt es weniger Fluchtmöglichkeiten, wenn
       man einem Wasserwerfer oder Polizisten entfliehen will“, bemängelt sie.
       Außerdem seien dort streckenweise keine Hochhäuser. Und gerade von den
       Balkons der Hochhäuser hätten die Bewohner der Innenstadt bei den
       bisherigen Demonstrationen die Polizeigewalt fotografiert und sofort über
       das Internet verbreitet.
       
       Obwohl die Demonstration am Stadtrand stattfand, hatte die Polizei sechs
       U-Bahn-Stationen im Zentrum gesperrt und markante Punkte, Plätze und
       Kreuzungen in der Innenstadt hermetisch mit Stacheldraht abgeriegelt, so
       die Aktivistin am Telefon. „Wieder sind wir in Minsk über 100.000 gewesen“,
       resümiert sie. Dagegen schreibt die russische gazeta.ru, es seien 15.000
       Menschen gewesen, die belarussischen Portale charter97.org und tut.by
       sprechen von „einigen Zehntausend“.
       
       ## Gewalt gegen demonstrierende RentnerInnen
       
       Kurz nach 15 Uhr versperrten Polizeieinheiten auf dem Partisanenprospekt
       der Demonstration den Weg. Gleichzeitig machten Männer in schwarzen Masken
       gezielt Jagd auf Demonstranten. tut.by berichtet von brutalen Festnahmen
       einzelner Demonstranten durch die Polizei. Auch Blendgranaten, so berichtet
       Belsat, seien zum Einsatz gekommen.
       
       Schon unter der Woche hatten die Menschen in Minsk demonstriert. Bei zwei
       Demonstrationen von Frauen und Studierenden am Samstag waren nach Angaben
       des Menschenrechtszentrums Wjasna 29 Personen festgenommen worden. Unter
       den Festgenommenen waren auch drei Journalisten, die nun ebenfalls im
       berüchtigten Gefängnis Okrestina sitzen. Am Montag hatte die Polizei eine
       Demonstration von RentnerInnen mit Gewalt aufgelöst, am darauf folgenden
       Tag hatten Körperbehinderte in ihren Rollstühlen demonstriert.
       
       Am Samstag hatten Anhänger von Alexander Lukaschenko in einem Autokorso aus
       gut hundert Fahrzeugen von Minsk nach Witebsk ihre Unterstützung für den
       Präsidenten demonstriert. Die Teilnehmer dieser Kundgebung hatten keine
       Festnahme zu befürchten.
       
       In Brest hatten gut 100 Menschen gegen Lukaschenko demonstriert, in Gomel
       war das Zentrum so hermetisch abgeriegelt, dass eine dort geplante
       Kundgebung nicht möglich war. Zehn Personen, berichtet tut.by, seien in
       Gomel festgenommen worden. In Grodno waren gut hundert Menschen beim
       „Partisanenmarsch“ dabei.
       
       ## Tichanowskaja stellt Ultimatum
       
       Am Dienstag hatte [2][Oppositionsführerin Swetlana Tichanowskaja] Alexander
       Lukaschenko ein Ultimatum gestellt. Wenn dieser nicht bis zum 25. Oktober
       zurücktrete, die Gewalt auf den Straßen einstelle und alle politischen
       Gefangenen freilasse, beginne am 26. Oktober ein landesweiter
       Generalstreik. Gleichzeitig hatte Tichanowskaja noch einmal betont, dass
       der Protest in ihrem Land gewaltfrei bleiben werde.
       
       Am gleichen Tag erteilte Tichanowskaja allen Bemühungen von Alexander
       Lukaschenko, die Opposition in einen Dialog zu einer Verfassungsreform
       einzubeziehen, eine Absage. Für Lukaschenko sei die Verfassungsreform ein
       Propagandainstrument, mit dem er einen Dialog vortäuschen wolle.
       
       „Doch solange auf den Straßen geschossen wird, Menschen im Gefängnis
       sitzen, gibt es keinen Dialog“ zitiert das belarussische Portal Naviny.by
       die Oppositionspolitikerin. Am gleichen Tag ließ das belarussische
       Innenministerium verlauten, dass die Polizei auch [3][tödliche Waffen
       einsetzen] werde, wenn dies erforderlich sei.
       
       Am Donnerstag machte Tichanowskajas Mitstreiter Valerij Zepkalo, dessen
       Präsidentschaftskandidatur die Zentrale Wahlkommission im Juli nicht
       zugelassen hatte, über Twitter deutlich, dass er am Erfolg eines
       gewaltfreien Widerstands zweifle. „Zeigt diesen Jungs von der
       OMON-Sonderpolizei, dass ihr auch Männer seid und auch einen Schlagstock in
       die Hand nehmen könnt. Und der kann auf dem Kopf eines Bastards, der unsere
       Rentner, unsere Mütter und Väter schlägt, niedergehen.“
       
       18 Oct 2020
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Wiederwahl-von-Lukaschenko-in-Belarus/!5706071
   DIR [2] /Protestbewegung-in-Belarus/!5716072
   DIR [3] /Eskalation-in-Belarus/!5719604
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Bernhard Clasen
       
       ## TAGS
       
   DIR Schwerpunkt Krisenherd Belarus
   DIR Alexander Lukaschenko
   DIR Swetlana Tichanowskaja 
   DIR Polizeigewalt
   DIR Schwerpunkt Krisenherd Belarus
   DIR Kolumne Notizen aus Belarus
   DIR Schwerpunkt Krisenherd Belarus
   DIR Reporter ohne Grenzen
   DIR Kolumne Notizen aus Belarus
   DIR Schwerpunkt Krisenherd Belarus
   DIR Schwerpunkt Krisenherd Belarus
   DIR Kolumne Notizen aus Belarus
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Proteste in Belarus: Ultimative Demo in Minsk
       
       Lukaschenko lässt das Rücktrittsultimatum von Oppositionsführerin
       Tichanowskaja verstreichen. Hunderttausende drohen mit Streik.
       
   DIR Kunst in Belarus: Niemand nimmt „Eva“ weg
       
       Kann ein Kulturschaffender zu einem Teil der Politik werden? Janka Belarus
       erzählt von stürmischen Zeiten in Minsk. Folge 26.
       
   DIR Sacharow-Preis für Opposition in Belarus: „Wir sind an Ihrer Seite“
       
       Das Europäische Parlament verleiht den Menschenrechtspreis an zehn
       Regimegegner in Belarus. Im Kampf für die Demokratie sollen sie nicht
       aufgeben.
       
   DIR Festnahmen in Belarus: Bedrohliche Zustände
       
       Die Zahl der Verhaftungen von Medienschaffenden in Belarus nimmt dramatisch
       zu. Reporter ohne Grenzen fordert ihre umgehende Freilassung.
       
   DIR Dauerprotest in Belarus: Veränderungen sind schon bemerkbar
       
       Im Krankenhaus reicht eine Fahne in der Tasche als stummes Bekenntnis zur
       Opposition. Olga Deksnis erzählt von stürmischen Zeiten in Minsk. Folge 25.
       
   DIR Neue Proteste in Belarus: Dialog sieht anders aus
       
       Lukaschenko besucht politische Gefangene in der Haft, um über Auswege aus
       der Krise zu reden. Danach ist alles wie immer: Protest und Polizeigewalt.
       
   DIR Protest in Belarus geht weiter: Keine Angst vor dem Wasserwerfer
       
       Die Methoden der belarussischen Sicherheitskräfte machen den Demonstranten
       keine Angst. Sie nutzen vermehrt dezentrale Aktionen.
       
   DIR Polizeigewalt in Belarus: Vor Festnahme bewahrt
       
       Gibt es ein Recht der Sicherheitskräfte, auf Menschen zu schießen? Janka
       Belarus erzählt von stürmischen Zeiten in Minsk. Folge 11.