# taz.de -- Nach der Parlamentswahl in Neuseeland: Ardern will Koalition mit Grünen
> Trotz des deutlichen Wahlsiegs will die sozialdemokratische
> Ministerpräsidentin Jacinda Ardern mit den Grünen über eine Koalition
> verhandeln.
IMG Bild: Das sind keine Koalitionsgespräche, sondern ein Labour-Kaffeekränzchen am Sonntag nach der Wahl
Canberra taz | Es schien fast, als ob Ministerpräsidentin Jacinda Ardern
das [1][Wahlergebnis] selbst kaum glauben konnte. Den Tränen nahe wandte
sie sich Samstagnacht an ihre Anhänger, sichtlich gerührt von der enormen
Unterstützung, die sie und ihre Labourpartei an der Wahlurne erfahren
hatten. „Das Ergebnis von heute Abend gibt Labour ein sehr starkes und
klares Mandat“, sagte sie. Ein Mandat für den deutlichen Ausbau ihrer
ohnehin schon progressiveren Politik.
Der bisherige Hemmblock ist weg: die Partei NZ First, die mit den Grünen
seit 2017 in einer Koalition mit Labour regiert hatte, scheiterte an der
Fünfprozenthürde. Die nationalistische sozial konservative Partei unter
Winston Peters war von Kommentatoren dafür verantwortlich gemacht worden,
dass Ardern wichtige Versprechen nicht einhalten konnte: eine Reduktion der
Kinderarmut, den Bau von tausenden Sozialwohnungen und eine entschiedene
Politik gegen den Klimawandel.
Labour bekam 64 der 120 Sitze im Einkammerparlament. Die konservative
Nationalpartei erreichte nur 35. Dieses stärkste Wahlergebnis seit 50
Jahren ermöglicht Labour politisch umzusetzen, was immer Ardern will. Es
steht der Partei frei, ohne Koalitionspartner zu regieren – erstmals seit
Einführung eines neuen Wahlsystems 1996. Trotzdem kündigte Ardern am
Sonntag an, mit den Grünen über eine Koalition sprechen zu wollen. Die
kamen auf 10 Sitze.
[2][Judith Collins], Chefin der Nationalpartei, hatte Ardern noch am
Samstagabend gratuliert und ihre Niederlage eingestanden. Umfragen hatten
schon länger auf einen Sieg von Labour und Ardern schließen lassen, einer
der populärsten Politikerinnen der Welt.
## Großes Kommunikationstalent
Selbst ihre schärfsten Kritiker loben das Kommunikationstalent der früheren
Imbissverkäuferin und studierten Politologin, ihren Zugang zu den Menschen
auf der Straße und ihre „Normalität“.
Ardern hat aber nicht nur Charisma, sondern hat sich vor allem in
Krisenzeiten profiliert. Neuseeland ist heute praktisch coronafrei. Bei
fast 5 Millionen Einwohnern gab es bisher nur rund 1.500 Infektionen und 25
Todesfälle.
Experten führen dies darauf zurück, dass es der 40-Jährigen gelungen war,
das Volk von der Notwendigkeit eines frühen und harten Lockdowns zu
überzeugen.
Ihre Worte der Versöhnung nach dem [3][Attentat in Christchurch] 2019, bei
dem ein rechtsextremer Rassist 51 Muslime erschossen hatte, sind ein
Paradebeispiel für eine Politik des Mitgefühls. Spätestens seitdem ist
Ardern auch international bekannt.
## Viele sind von wirtschaftlicher Existenz bedroht
Sie wird jetzt ihr gesamtes Talent brauchen, um die Menschen des
Antipodenstaates weiter zusammenzuführen. Die Coronakrise hat auch
Neuseeland in eine Rezession gestürzt. Der Tourismus als wichtiger
Wirtschaftszweig ist als Folge der Schließung der Landesgrenzen praktisch
stillgelegt.
Arbeitslosigkeit, kombiniert mit anhaltend bitterer Armut in Teilen der
Bevölkerung, und der extreme Mangel an bezahlbarem Wohnraum – diese
Faktoren bedrohen die wirtschaftliche Existenz und die Lebensqualität von
Millionen Menschen.
Beobachter rechnen damit, dass Ardern nicht nur Programme zur Verbesserung
der sozialen Situation vorantreiben wird. Wichtig ist ihr auch der Kampf
gegen die globale Erwärmung. Sie hat angekündigt, Neuseeland werde bis 2050
kohlenstoffneutral sein.
Das Land steht damit in Konflikt zum Nachbarn Australien. Die dortige
konservative Regierung unter Premierminister Scott Morrison hat jüngst
klargemacht, den Abbau von klimagefährdenden fossilen Treibstoffen wie
Kohle und Gas nicht nur weiterzuführen zu wollen, sondern sogar auszubauen.
18 Oct 2020
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## AUTOREN
DIR Urs Wälterlin
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