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       # taz.de -- Pressefreiheit in Kolumbien: Druckmittel Visum
       
       > Freien Korrespondent*innen wird in Kolumbien durch Änderungen bei der
       > Visumvergabe zunehmend die Arbeit erschwert. Das könnte Taktik sein.
       
   IMG Bild: Journalist*innen müssen in Kolumbien immer wieder um Freiheit kämpfen, wie hier 2016
       
       Bogotá/taz | Ein Anarchist, der über die Rettung der Pressefreiheit
       spricht: Das hat es wohl noch nie gegeben im kolumbianischen Kongress. Doch
       die pandemiebedingte Videobotschaft des niederländischen Journalisten
       Adriaan Alsema hat einen ernsten Grund: Änderungen im Visumsrecht könnten
       die Arbeit ausländischer Journalist*innen im Land weiter erschweren.
       
       „Wir können nicht frei sein, solange wir das Ziel von Screenings,
       Einschüchterungen, [1][Diskriminierung und Spionage] sind“, sagt der
       Direktor und Gründer des englischsprachigen Nachrichtenportals [2][Colombia
       Reports in dem Video], in dem er stellvertretend für ausländische
       Kolleg*innen spricht. „Wir müssen frei von der Unsicherheit arbeiten
       können, durch konsularische Willkür unser Eigentum, unsere Freunde und
       unsere Lebenspartner zu verlieren.“
       
       Das Video und der Artikel von Alsema haben nicht nur in den kolumbianischen
       Medien für ungewohnt große Resonanz gesorgt. Auch namhafte kolumbianischen
       Kollegen, wie [3][die Investigativjournalisten Daniel Coronell], der aus
       Sicherheitsgründen in Miami lebt, und [4][Julián Martínez solidarisierten
       sich].
       
       Hintergrund des Video-Appells sind Fälle von ausländischen
       Journalist*innen, die Probleme mit ihren Visa-Anträgen hatten. Details aus
       dem Schriftverkehr hatten bei ihren Kolleg*innen die Alarmglocken schrillen
       lassen. Denn wenn stimmt, was die Visumsabteilung da schreibt, erfüllt wohl
       kaum eine*r der Korrespondent*innen künftig mehr die Bedingungen, um
       dauerhaft aus Kolumbien zu berichten. Fatal in einem Land, das mehr als 50
       Jahre bewaffneten Konflikt hinter sich hat und wo Korrespondent*innen oft
       Themen angepackt haben, die einheimische Medien meiden. Es bliebe nur noch
       das Besucher-Journalisten-Visum für Kurzrecherchen.
       
       ## Die meisten sind Freiberufler*innen
       
       Für das Arbeitsmigranten-Visum bräuchten sie einen Arbeitsvertrag und einen
       Studienabschluss in Journalismus. Letzteres ist verfassungswidrig, weil
       kolumbianische Journalist*innen ebenfalls keinen brauchen, wie die Stiftung
       für Pressefreiheit (Flip) eigentlich schon 2018 klarstellte. Viele
       Korrespondent*innen haben studiert, aber nicht unbedingt Journalismus.
       Immer weniger Medien leisten sich ein Netz aus Korrespondent*innen, noch
       weniger mit Verträgen, weshalb die meisten Freiberufler*innen sind. Dass
       sie sich wie bisher fürs Arbeitsmigranten-Visum bewerben können, schließt
       die Behörde explizit aus.
       
       Journalist Adriaan Alsema sieht darin Taktik: „Die Regierung will komplett
       kontrollieren, was in Kolumbien publiziert wird. Wenn jemand schlecht von
       ihr redet, folgen Bedrohungen.“ Viele kolumbianische Journalist*innen seien
       eingeschüchtert und schutzlos. „Uns Ausländer können sie nicht umbringen,
       weil das das Bild von dem Land ohne Gewalt im Ausland stören würde. Sie
       können uns aber das Leben schwermachen, vor allem bei den Visa.“
       
       Egal ob Taktik oder nicht: Sollten sich die Spielregeln geändert haben,
       könnte der Aufenthalt für Korrespondent*innen zu teuer werden. Einige
       Journalist*innen schilderten der taz, was künftig wieder blühen könnte.
       Ihre Namen wollen sie dazu aber nicht in der Zeitung lesen. Eine
       Korrespondentin berichtet, dass sie der Diplom-Anerkennungsprozess
       umgerechnet über 600 Euro gekostet habe. Ein Korrespondent mit einem
       Journalismusdiplom einer renommierten Uni gab nach mehr als einem halben
       Jahr Kampf mit dem Bildungsministerium auf. „Ich habe gemerkt, das wird nie
       etwas.“ Er reiste aus und als Tourist wieder ein – doch als Tourist darf er
       eigentlich nicht arbeiten.
       
       Die FIip hat aus aktuellem Anlass das Außenministerium in einer Petition
       [5][zu einer Klarstellung aufgerufen]. Die Antwort steht noch aus, sagt
       Flip-Anwältin Raissa Carillo. Die Stiftung wusste zuletzt von neun Fällen
       von Korrespondent*innen, die sich im Einzelfall sehr unterscheiden. Die
       Gemeinsamkeit: „Sie sind freie Journalisten.“ Das Außenministerium hat die
       Anfrage der taz bis Redaktionsschluss nicht beantwortet. In einer in der
       Zeitung[6][El Tiempo zitierten Stellungnahme] nannte es fehlende Dokumente
       als Grund für die Probleme. Auf die Themen Freiberuflichkeit und Abschlüsse
       ging das Amt nicht ein: „Kolumbien ist offen für Journalisten aller
       Nationalitäten, welche uneingeschränkt ihrer Arbeit im Staatsgebiet
       nachgehen können.“
       
       23 Oct 2020
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Spionageaffaere-in-Kolumbien/!5679985/
   DIR [2] https://colombiareports.com/colombia-blocking-journalist-visas-in-ongoing-assault-on-press-freedom/
   DIR [3] https://twitter.com/DCoronell/status/1317795123955224576?s=20
   DIR [4] https://twitter.com/JulianFMartinez/status/1318076161210068993?s=20
   DIR [5] https://twitter.com/FLIP_org/status/1316135715827220480?s=20
   DIR [6] https://www.eltiempo.com/politica/gobierno/cancilleria-se-pronuncia-tras-denuncia-de-censura-de-prensa-extranjera-542324
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Katharina Wojczenko
       
       ## TAGS
       
   DIR Schwerpunkt Pressefreiheit
   DIR Kolumbien
   DIR Bogotá
   DIR Visum
   DIR Julian Assange
   DIR Luftverschmutzung
   DIR Bogotá
       
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