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       # taz.de -- Öffentliches Zeigen von Reichsfahnen: Verbieten für Profis
       
       > Das Bremer Verbot, öffentlich Reichsfahnen zu zeigen, hat das
       > Oberverwaltungsgericht kassiert. Nun fordern die Grünen ein
       > gerichtsfestes Gesetz.
       
   IMG Bild: Erkennungszeichen für Rechte: Schwarz-Weiß-Rot, hier bei einer Demo am 3. Oktober 2018 in Berlin
       
       Bremen taz | Das öffentliche Zeigen von Reichsfahnen und Reichskriegsfahnen
       soll ein Mitte September beschlossener Erlass des Bremer Senats
       einschränken. Andere Bundesländer sind dem gefolgt. Seit Anfang Oktober
       gibt es einen ähnlichen Erlass in Niedersachsen, diesen Donnerstag forderte
       nun auch die Schleswig-Holsteiner SPD-Fraktion eine Regelung nach Bremer
       Vorbild.
       
       Am vergangenen Samstag aber demonstrierten in Bremerhaven Rechtsextreme
       gegen den Erlass – und durften dabei schwarz-weiß-rote Reichsfahnen
       schwenken. Das Oberverwaltungsgericht hob ein entsprechendes Verbot der
       Versammlungsbehörde mit Verweis auf die Meinungsfreiheit auf. Die
       öffentliche Ordnung werde durch das Zeigen der Fahnen, die ja nicht
       verboten seien, nicht gefährdet. Eine Beschwerde der Stadt lehnte das
       Gericht ab und betonte, der Erlass des Innensenators habe keine
       Gesetzesqualität.
       
       Deshalb fordert die Fraktion der Grünen in Niedersachsen jetzt ein
       gesetzliches Verbot der Fahnen. Doch würde das überhaupt etwas nützen? Der
       Soziologe Wilhelm Heitmeyer hält ein solches Gesetz zwar für sinnvoll, weil
       es „eine symbolische Handlung zugunsten der Opfergruppen“ darstelle, sagt
       er, man dürfe sich aber nicht der Illusion hingeben, dass ein Verbot die
       rechtsextreme Bewegung schwächen würde, so der Professor am Institut für
       interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung in Bielefeld: „Ein Verbot
       ist sinnvoll, wird aber nicht erfolgreich sein.“
       
       Ein Gesetz böte mehr Handlungsspielraum, die im Grundgesetz
       festgeschriebene Meinungsfreiheit einzuschränken, als ein Erlass. „Es
       handelt sich bei dem Erlass nicht um ein Verbot von Reichsflaggen, sondern
       um eine Auslegungshilfe zur Anwendung der betreffenden
       Ordnungswidrigkeitsvorschrift“, betont das Bremer Innenressort.
       
       Das heißt: Der Erlass ist als Handreichung für die Polizei zu verstehen.
       „Das Zeigen der entsprechenden Fahnen soll laut Erlass eine Gefahr für die
       öffentliche Ordnung darstellen. Die Polizei darf gegen eine solche Gefahr
       einschreiten“, erklärt die Anwältin Lea Voigt. Man dürfe erwarten, dass der
       Erlass zu einer gewissen Sensibilisierung bei der Polizei führt, so Voigt.
       Ob die Maßnahmen vor Gericht Bestand hätten, hinge aber vom Einzelfall ab:
       „Im Zusammenhang mit Demonstrationen, die unter dem besonderen Schutz der
       Versammlungsfreiheit stehen, haben die Bremischen Verwaltungsgerichte
       entschieden, dass ein pauschales Verbot nicht zulässig ist“, erläutert
       Voigt die Entscheidung über die Bremerhavener Kundgebung.
       
       Das SPD geführte Innenministerium in Niedersachsen verweist darauf, dass
       dem Bremer Urteil „eine sehr enge Auslegung“ zugrunde liege. Daher gehe man
       weiterhin davon aus, dass mit dem bereits verabschiedeten Erlass „gerade
       besonders provokative und schwer erträgliche Verwendungen von Reichs- und
       Reichskriegsflaggen wirksam unterbunden werden können“, so die Pressestelle
       des Ministeriums.
       
       Ob Gesetz oder Erlass – die Frage, ob eine kontrollierende Intervention die
       rechtsextreme Szene überhaupt stören würde, bleibt. Heitmeyer, der zu
       rechten Bedrohungen in Deutschland forscht, geht nicht davon aus:
       „Staatliche Repression ruft immer rechtsextreme Innovation hervor“, sagt
       er. Ehemalige Kameraden verbotener rechtsextremer Strukturen hätten sich
       etwa in anderen Organisierungen erneut zusammengeschlossen. Das sei auch
       mit Symbolen nicht anders, so Heitmeyer: „Faktisch wird es die Bewegung
       nicht tangieren. Der Erfindergeist für neue Symbole schlägt dann zu.“
       
       Grundsätzlich, sagt Juristin Voigt, sei der Ruf nach Verboten mit Vorsicht
       zu genießen. Weil die Erfahrung zeige, dass Verbote gegen rechte Umtriebe
       wenig wirksam seien, müsse man gut abwägen, ob der Nutzen eines Verbots
       mögliche Kollateralschäden für die Meinungsfreiheit rechtfertige, so die
       Anwältin.
       
       Auch Helge Limburg von den Grünen in Niedersachsen, der die Forderung nach
       einem gesetzlichen Verbot mit auf den Weg gebracht hat, betont, dass es
       zwar wichtig sei, die Fahnen zu verbieten, um zu zeigen, dass deren
       Botschaft nicht toleriert werde, dennoch sei ein Verbot nur ein kleiner
       Baustein im Kampf gegen Rechtsextremismus. „Die Politik muss zeigen, dass
       sie hinter denen steht, die durch Rechtsextreme bedroht werden. Insgesamt
       kann unsere Demokratie diese Auseinandersetzung nur mit einer aufgeklärten
       Zivilgesellschaft gewinnen“, so Limburg.
       
       Beflügelt vom Erfolg in Bremerhaven will die rechtsextreme Partei „Die
       Rechte“ am Samstag in Bremen gegen das Verbot der Fahnen demonstrieren. Das
       Innenressort hat die Versammlung verboten, weil sie „einen das friedliche
       Zusammenleben bedrohenden Charakter“ habe und rechtsextremistisches
       Gedankengut inszenieren wolle. Dagegen hat „Die Rechte“ am Mittwoch einen
       Eilantrag und eine Klage beim Verwaltungsgericht eingereicht.
       
       23 Oct 2020
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Marie Gogoll
       
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