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       # taz.de -- heute in hamburg: „Kunst ermöglicht andere Ausdrucksmittel“
       
       Interview Paula Bäurich
       
       taz: Frau Karakaşoğlu, kann Kunst Machtstrukturen in der Gesellschaft
       umordnen? 
       
       Yasemin Karakaşoğlu: Kunst kann auf jeden Fall Hinweise darauf geben, wo es
       nötig ist, umzuordnen. Dazu kann sie uns zeigen, was wir mit unserem
       Verhalten im Alltag bewirken, was uns meistens gar nicht bewusst ist. Kunst
       ist also in einer demokratischen, pluralen Gesellschaft sehr wichtig, um
       uns auf Missstände aufmerksam zu machen.
       
       Wie macht sie das? 
       
       Kunst kann andere Ebenen der Wahrnehmung ansprechen, indem sie zum Beispiel
       erschüttert. Um sich tief verinnerlichte Haltungen oder Verhaltensweisen
       bewusst zu machen, braucht man künstlerische Mittel. Wenn Informationen nur
       aufgegriffen werden, heißt das nicht, dass das auch zur Reflexion anregt.
       Kunst hat durch Irritation und Erschütterung andere Möglichkeiten, uns zum
       Nachdenken anzuregen.
       
       Kunst erfüllt also die Aufgabe, auf bestehende politische Strukturen
       aufmerksam zu machen. 
       
       Ich glaube nicht, dass Künstler instrumentalisiert werden wollen für
       politische Botschaften oder Prozesse in der Gesellschaft. Es hängt vom
       jeweiligen Selbstverständnis des Künstlers ab, was die Intention ist, mit
       der er etwas macht, ob er sich eher als gesellschaftspolitisch motivierter
       Künstler versteht oder keine politische Botschaft vermitteln möchte. Ob und
       wie seine Kunst gesellschaftspolitisch gedeutet wird, hat allerdings kein
       Künstler in der Hand.
       
       Sie arbeiten als Erziehungswissenschaftlerin. Welche Rolle nimmt Kunst denn
       in der Schule ein? 
       
       Kunst ermöglicht den Kindern, in der Schule andere Ausdrucksmittel für das,
       was ihnen passiert, was sie denken, zu nutzen. Sie haben in der Kunst, sei
       es in der bildenden oder darstellenden Kunst, in Musik oder Literatur, die
       Möglichkeit, sich über verschiedenste Kanäle auszudrücken, indem sie zum
       Beispiel Theater spielen oder malen und sind nicht allein auf die Sprache
       beschränkt. So können Kinder verschiedene Formen der Selbstwirksamkeit
       erfahren, dadurch, dass sie merken, dass sie in der Lage sind, etwas zu
       schaffen, das andere begeistert.
       
       Schafft die Schule als Ganzes diese Möglichkeit nicht? 
       
       Die klassische Schule, wie sie auch heute noch überwiegend strukturiert
       ist, mit eng getakteten Zeitabschnitten, einem auf nationale Verwertung hin
       orientierten Kanon und traditionellen Vermittlungsformen bietet wenig Raum,
       um individuelle Entfaltung und demokratische Bewusstseinsprozesse bei den
       Schülern anzuregen.
       
       26 Oct 2020
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Paula Bäurich
       
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