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       # taz.de -- Überraschungssieg beim Giro d'Italia: Am Ende ist es Hart
       
       > Forsche Jungprofis, eine nicht ganz dichte Sportlerblase und aufmüpfige
       > Fahrer. Der Giro d’Italia 2020 wird in Erinnerung bleiben.
       
   IMG Bild: Im Goldregen: Giro-Sieger Tao Geoghegan Hart in Mailand
       
       Der 103. Giro d’Italia wird in Erinnerung bleiben. Aus gleich mehreren
       Gründen. Er stand im Zeichen eines [1][Generationswechsels]. „Die Jungen
       sind da. Und wir Alten können nicht mehr mithalten“, konstatierte
       melancholisch Vincenzo Nibali, fast 36 Jahre alt und das erste Mal seit
       zehn Jahren nicht mehr auf dem finalen Giro-Podium.
       
       Ins Rosa Trikot schlüpften Männer wie Joao Almeida (22 Jahre jung), Filippo
       Ganna und Jai Hindley (beide 24). Vor dem abschließenden Zeitfahren lagen
       die ersten beiden – Hindley und der nur ein Jahr ältere Tao Geoghegan Hart
       – lediglich 86 Hundertstel Sekunden auseinander. Am Ende gewann der Brite
       mit 39 Sekunden Vorsprung die Rundfahrt. So viel Spannung war noch nie, so
       viel Jugend auf den vorderen Rängen ebenso wenig.
       
       In Erinnerung bleiben wird der Giro aber auch als Katastrophen-Fernfahrt.
       Trotz sogenannter Hygieneblase infizierten sich elf Teilnehmer mit dem
       Coronavirus. Vier Fahrer waren darunter und sieben Teambetreuer. Zwei
       Rennställe zogen sich komplett zurück. Wie viel Begleitpersonal jenseits
       der Teams noch betroffen war, wurde nicht bekannt gegeben. Die Runde machte
       nur der eklatante Fall von gleich 17 Polizisten der Begleiteskorte des
       GiroE. Das ist ein Nebenrennen auf E-Bikes, dessen Etappen eine Stunde vor
       denen der Muskelkraftradler enden. Veranstalter RCS versicherte, diese
       Motorradpolizisten des GiroE gehörten zu einer komplett anderen Blase.
       
       Recht glauben mag man das nicht. Wiederholt berichteten Fahrer des
       richtigen Giro, dass sie im Hotel nicht nur mit anderen Teams, sondern auch
       mit Gästen außerhalb des Giro untergebracht waren. Manch Fahrer staunte,
       dass sich von seinem Frühstücksbüfett auch Privatgäste bedienten.
       
       ## Positive und Falsch-Positive
       
       Das wiederum verblüffte manch Außenstehenden, galt es doch schon länger als
       State of the Art im Profizirkus, dass jedes Team [2][seinen eigenen
       Küchentruck] dabeihat und die Fahrer dort grammkorrekt auf eigenen
       Kochplatten nach den jeweiligen Anweisungen des Chief Nutrition Officers
       beköstigt wurden. Offenbar leistet sich das aber nicht jeder Rennstall. Und
       wegen der manchmal lax gehandhabten Regeln der Unterbringung war die
       Hygieneblase dann eben auch nicht dicht.
       
       Die vier positiv getesteten Fahrer bilden ein Abbild der gesamten
       Infiziertengemeinde. Einer, der Brite Simon Yates, klagte über Symptome.
       Bei einem anderen, dem Australier Michael Matthews, zeigten Tests
       unmittelbar danach negative Ergebnisse. Das legte den Verdacht eines
       falsch-positiven Resultats nahe. Der Kolumbianer Fernando Gaviria wiederum
       war bereits zum zweiten Mal positiv, nach einer ersten Erkrankung im März.
       
       Das zeigt die Dimension der Probleme auch für die nahe Zukunft auf. Wie
       schädlich für den Leistungssport ist eine Covid-19-Erkrankung eigentlich?
       Wie schädlich gar beim zweiten Mal? „Hierüber wissen wir noch viel zu
       wenig, es ist ein wichtiger Fall für die Sportmedizin“, meinte Paolo
       Slongo, Trainer von Nibali und auch des von Covid-19 bereits genesenen, vom
       Giro aber wegen einer Erkältung abgereisten Giulio Ciccone, zur taz.
       
       Zweites Problemfeld sind die falsch-positiven Fälle. „Das bleibt eine
       Lotterie. Ich habe Angst davor, dass auf der Basis von nicht
       hundertprozentig sicheren Tests so gravierende Entscheidungen wie der
       Ausschluss eines Fahrers oder gar eines ganzen Rennstalls getroffen
       werden“, meinte Ralph Denk, Chef von Bora hansgrohe, zu taz. Er forderte,
       dass die Gesundheitsbehörden der Austragungsländer von Rennen systematisch
       Nachtests akzeptieren – und das auch genügend große Zeitfenster für die
       Nachtests bleiben.
       
       ## Grenzverkehr unerwünscht
       
       Die Gesundheitsbehörden der Austragungsländer sind das nächste Problemfeld.
       Gegenüber den jeweils als kulturelles Erbe anerkannten großen einheimischen
       Rennen zeigen sie sich – vermutlich durch die Politik gedrängt –
       nachsichtig. Die Tour de France wurde komplett in Frankreich durchgeführt.
       Der Giro d’Italia hatte in Italien wenig Probleme mit Genehmigungen. Den
       Ausflug des Giro in die französischen Alpen untersagten die dortigen
       Behörden aber.
       
       Und auch der für Sonntag geplante Ausflug der Vuelta a Espana auf die
       französische Pyrenäenseite wurde abgesagt. Das ist angesichts erhöhter
       Infiziertenzahlen auch begründet. Größere Besuchermassen zieht aber
       traditionell die Tour de France an. Wenige Wochen zuvor fanden in den jetzt
       für Giro und Vuelta verbotenen Zonen aber Tour-de-France-Etappen statt. Ein
       regulatorisches Durcheinander.
       
       Immerhin setzte dieser Giro – neben der Jugendwelle – noch einen anderen
       positiven Akzent. Erstmals besannen sich die Radprofis ihrer Kraft. Mit
       einem Streik setzten sie die Verkürzung der auf 260 Kilometer – inklusive
       der Paradestrecke vor dem offiziellen Start – geplanten 9. Etappe auf etwa
       die Hälfte durch. „Ich habe es in meinen sieben Profijahren noch nie
       erlebt, dass sich so viele Fahrer einig waren“, freute sich Radprofi Rick
       Zabel gegenüber der taz. Er sah darin hoffnungsvolle Signale für die
       Entstehung einer echten Fahrergewerkschaft, „einer, die von den Fahrern
       selbst kommt und nicht von der UCI gelenkt ist“, wie Zabel betonte.
       
       Leitet der Giro eine Renaissance autonomer Gewerkschaften ein, wäre diese
       2020er Edition endgültig eine ganz besondere.
       
       26 Oct 2020
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Tom Mustroph
       
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