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       # taz.de -- Generationskonflikte in Westafrika: Afrikanischer Herbst
       
       > Westafrika ist in Aufruhr. Nie schienen die Perspektiven der Jugend so
       > blockiert wie heute, in einer Ära greiser Herrscher und globaler
       > Abschottung.
       
   IMG Bild: Anfang letzten Jahres setzten noch viele junge NigerianerInnen die Hoffnung auf Präsident Buhari
       
       [1][Westafrika brennt. In Guinea] toben Straßenschlachten nach der
       umstrittenen [2][Wiederwahl von Präsident Alpha Condé]. In der
       Elfenbeinküste wächst die Angst vor einer Neuauflage des Bürgerkriegs, wenn
       am kommenden Samstag Präsident Alassane Ouattara ebenfalls für eine dritte
       Amtszeit kandidiert. [3][Nigeria] blickt mit Schrecken auf eine Woche der
       Gewalt zwischen der Armee und einer Jugendprotestbewegung zurück, die nach
       amtlichen Angaben 69 Tote forderte, und fragt sich, ob das erst der Anfang
       war.
       
       Und in [4][Mali hat die Armee vor zwei Monaten einfach selbst die Macht
       ergriffen]. Vor fast zehn Jahren fegte der Arabische Frühling in Tunesien,
       Ägypten und Libyen die Diktatoren hinweg, wenngleich mit drei sehr
       unterschiedlichen Ergebnissen: einer holprigen Demokratisierung, einer
       neuen Diktatur, einem Bürgerkrieg. Seit dieser Zeitenwende fragen sich
       afrikanische Kommentatoren bei jeder Gelegenheit, wann es denn in Afrika
       südlich der Sahara so weit sein könnte. Selten lag die Antwort so nahe wie
       heute.
       
       Die Gründe für die Unruhe in Mali, Guinea, der Elfenbeinküste und Nigeria
       sind unterschiedlich. In Guinea und der Elfenbeinküste geht es jeweils um
       eine von der politischen Opposition als illegal abgelehnte dritte Amtszeit
       der regierenden Präsidenten, und die Krisen entwickeln sich wie im
       Drehbuch:
       
       Der Präsident tritt trotzdem an, die Opposition sieht darin eine gezielte
       Kampfansage, Scharfmacher beider Seiten heizen das Klima an, und beim
       Wahlsieg des Präsidenten, egal wie er zustande gekommen ist, eskaliert die
       Situation. Dabei sind die beiden Präsidenten Condé und Ouattara keine
       Diktatoren alten Schlags, sondern sie sind einst als bejubelte Reformer
       gegen die Diktaturen ihrer Länder angetreten.
       
       ## Scharfmacher auf beiden Seiten heizen die Lage an
       
       Und gerade das macht sie nach zehn Jahren an der Macht zu Sturköpfen, die
       fest davon überzeugt sind, dass ohne sie ihr ganzes zerbrechliches
       Reformwerk zerbröseln würde. Nigeria und Mali hat seine Diktatoren schon
       lange abgeschüttelt, aber in beiden Ländern haben die Nachfolgeregierungen
       enttäuscht, und beide werden heute wieder von ehemaligen Generälen regiert.
       
       In Mali kann sich Übergangspräsident und [5][Ex-General Ba Ndaw] auf sehr
       viel mehr Respekt in der Bevölkerung stützen als der zwar gewählte, aber
       wenig geachtete zivile Präsident Ibrahim Boubacar Keita, der am 18. August
       von seinen eigenen Generälen verhaftet wurde.
       
       In Nigeria gewann [6][Muhammadu Buhari], ein Ex-Diktator aus den 1980er
       Jahren, die Wahlen 2015 nach sechzehn Jahren unfähiger ziviler Vorgänger
       mit dem Versprechen, endlich aufzuräumen mit islamistischem Terror und
       staatlicher Korruption, und 2019 wurde er wiedergewählt. Doch Buhari hat
       sich nicht als der zielstrebige Reformer erwiesen, den die Nigerianer sich
       gewünscht hatten, und jetzt sieht er sich mit der stärksten zivilen
       Protestbewegung seit den Zeiten des Widerstands gegen die Militärherrschaft
       konfrontiert.
       
       Nigerias Staat zeigt durch den Einsatz von schießwütigen Soldaten und
       bezahlten Schlägern erneut sein altvertrautes hässliches Gesicht aus
       finsteren Zeiten. Der Bruch zwischen alter Elite und junger Gesellschaft
       scheint in Nigeria irreparabel. Und wenn der 77-jährige Buhari in Nigeria
       auf seine alten Tage wieder zum verständnislosen Autokraten mutiert, was
       wird der 70-jährige Ba Ndaw machen, sollte Malis Jugend ihn irgendwann
       nicht mehr für einen Heilsbringer halten?
       
       Werden der 78-jährige Ouattara und der 82-jährige Condé, die sich für
       unfehlbar halten, jemals noch eine gemeinsame Sprache mit ihrer Jugend
       finden? Oder werden sie alle vier ständig ihren politischen Nachwuchs
       beschimpfen und gar nicht merken, dass ihre Völker ihnen längst
       davongelaufen sind – wenn nicht physisch, dann geistig, mit eigenen
       Strategien zum Überleben jenseits der Wahrnehmung der [7][Greise in den
       Palästen]? Und wie wird die Jugend darauf reagieren?
       
       Die Unruhe auf den Straßen von Lagos und Bamako, von Abidjan und Conakry
       ist ein Wetterleuchten vor einer strukturell unruhigen Zeit, die sehr
       gefährlich werden könnte. Westafrika ist die jüngste Region der Welt, das
       Durchschnittsalter seiner 400 Millionen Einwohner liegt bei 18 Jahren.
       Jedes Jahr kommen 10 Millionen dazu – zehnmal mehr als in der EU, in der
       440 Millionen Menschen leben.
       
       ## Arbeitslosigkeit und Armut nehmen dramatisch zu
       
       Das Bruttoinlandsprodukt aller Länder Westafrikas zusammengenommen ist
       allerdings kleiner als das der Schweiz. Die Volkswirtschaft Nigerias mit
       200 Millionen Einwohnern ist nur wenig größer als die Irlands mit vier
       Millionen. Nur eine Minderheit aller Schul- und Hochschulabgänger
       Westafrikas hat bezahlte Arbeit, von der man leben kann. Die
       Emigrationswege in den Rest der Welt sind versperrt, dafür hat die EU
       gesorgt.
       
       Und es ist sicher kein Zufall, dass Westafrikas politische Krise mit der
       schwersten Wirtschaftskrise dieses Jahrhunderts zusammenfällt,
       hauptsächlich – aber nicht ausschließlich – aufgrund der Coronapandemie.
       Obwohl Westafrika vergleichsweise wenig von diesem Virus betroffen ist, hat
       die faktische Aussetzung der Globalisierung zwecks Pandemiebekämpfung die
       Region voll getroffen.
       
       Grenzen sind geschlossen, Waren- und Personenverkehr kommen zum Erliegen,
       der Außenhandel stockt, die Wirtschaft erlahmt, Staatseinnahmen sinken, die
       Schuldenlast wächst, Preise steigen, Einkommen schrumpfen. Millionen von
       Menschen, die knapp über dem Existenzminimum lebten, rutschen nun darunter.
       Nigerias offizielle Arbeitslosenquote liegt bei 27 Prozent mit steigender
       Tendenz, die Mehrheit aller Menschen im arbeitsfähigen Alter hat keine oder
       nur sporadische Arbeit.
       
       Anderswo in Westafrika sieht es nicht besser aus. Was sollen diese Menschen
       machen? Mit Begeisterung jubeln, wenn ihnen uralte Staatschefs
       Moralpredigten halten?
       
       26 Oct 2020
       
       ## LINKS
       
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   DIR [6] /Nigerias-Praesident-beginnt-neue-Amtszeit/!5598694/
   DIR [7] /Praesidenten-in-Westfrika/!5711425&s=westafrika/
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Dominic Johnson
       
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