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       # taz.de -- Boykott französischer Produkte: Kulturkampf in den sozialen Medien
       
       > Einige muslimische Länder fühlen sich von Frankreichs Präsident
       > angegriffen. Auf Twitter wird zum Boykott französischer Produkte
       > aufgerufen.
       
   IMG Bild: Supermarkt in Kuwait: Das Regal, in dem sonst französische Produkte sind, bleibt leer
       
       Kairo taz | Es sind die üblichen Verdächtigen, die aus den Äußerungen des
       französischen Präsidenten zu den Mohammed-Karikaturen versuchen in der
       islamischen Welt Nutzen zu ziehen. Der türkische Präsident Recep Tayyip
       [1][Erdoğan rief seine Landsleute dazu auf], keine französisch
       gekennzeichneten Waren zu kaufen. Muslime seien einer ähnlichen
       Lynchkampagne ausgeliefert wie früher die Juden in Europa, behauptete er.
       Erdoğan bezeichnete Emmanuel Macron als „Krankheitsfall“, dessen geistiger
       Zustand überprüft werden müsse.
       
       Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) bekräftigte am Montag Solidarität mit
       Frankreich und nannte Erdoğans Angriffe auf Macron einen „neuen Tiefpunkt“
       und „völlig inakzeptabel“. Frankreich berief als Reaktion [2][seinen
       Botschafter aus Ankara zu Konsultationen nach Paris].
       
       Hintergrund sind Aussagen Macrons vom Mittwoch als Reaktion auf [3][den
       Mord an dem Lehrer Samuel Paty], in denen er die kontroversen
       Mohammed-Karikaturen und die säkularen Werte Frankreichs verteidigte. Er
       forderte, gegen radikale Formen des Islam vorzugehen.
       
       Erdoğan nutzte die Gunst der Stunde, um viele offene Rechnungen mit Macron
       zu begleichen, wie etwa den [4][Streit um die Öl- und Gasvorkommen im
       Mittelmeer]. Bei diesem Konflikt hatte sich Frankreich am vehementesten
       gegen die Türkei auf die Seite Griechenlands gestellt.
       
       Andere muslimische Länder reagierten zwar nicht mit Boykottaufrufen, aber
       sie verurteilten die Worte Macrons. Pakistans Premierminister Imran Khan
       warf ihm Islamophobie vor. „Präsident Macron hat die Gefühle von Millionen
       von Muslimen in Europa und auf der ganzen Welt angegriffen und verletzt“,
       twitterte er und forderte ein Verbot islamophober Inhalte auf Facebook. Die
       Organisation Islamischer Staaten hat die „französischen Attacken gegen
       Muslime“ und „beleidigende Karikaturen“ gegen sie verurteilt.
       
       Ahmed al-Tajib, der Großscheich der Al-Azhar-Universität in Kairo, eine der
       wichtigsten Rechtsautoritäten des sunnitischen Islam, sprach von einer
       systematischen Kampagne, die den Islam in politische Kämpfe drängen solle.
       Zuvor hatte die Al-Azhar den Mord an dem französischen Lehrer Paty
       verurteilt, aber hinzugefügt, dass die Beleidigung von Religionen im Namen
       der freien Meinungsäußerung eine Einladung zum Hass darstelle. Die meisten
       dieser Erklärungen sind Verurteilungen der Karikaturen und deren
       Verteidigung.
       
       Der Rest des neu heraufbeschworenen Kulturkampfes findet vor allem in der
       Blase der sozialen Medien statt. Es ist sozusagen ein Sturm im
       Twitter-Glas, um präzise zu sein: im islamistischen Twitter-Glas. Da werden
       fleißig französische Flaggen durchkreuzt und zum Boykott der französischen
       Supermarktkette Carrefour aufgerufen. Irgendwo in Katar oder in Kuwait
       werden Videos gezeigt, in denen französische Käsesorten mit lachenden Kühen
       aus dem Regal genommen und Boykott-Zeichen am Regal angebracht werden.
       
       So wie westliche Medien gerne einen erneuten Kulturkampf an die Wand malen,
       wird dieses Bild von islamistischen Blasen in den sozialen Medien
       freundlich bedient. Ein kurzer Blick auf den vollen Parkplatz von Carrefour
       zeigt, dass das mit dem Leben der meisten Menschen in der arabischen Welt
       wenig zu tun hat. Da ist es wichtiger, dass die französische Kette
       billigere Produkte verkauft als die benachbarte amerikanische. Laut
       UN-Statistiken leben zwei Drittel der Araber unter der Armutsgrenze oder
       sind kurz davor, in diese abzustürzen. Sonderangebote sind allemal
       attraktiver als ein Kulturkampf.
       
       ## Macrons „Krise des Islam“ ist langweilig
       
       Und wenn es dann unter den gläubigen Muslimen immer noch wen kümmert, gibt
       es Stimmen wie die der Muslim World League, die das Pferd anders aufzäumen.
       „Karikaturen können den Propheten weder verletzen noch beleidigen, denn er
       ist größer und heiliger, als dass er beleidigt werden kann.“ Das
       Sekretariat hochrangiger saudischer islamischer Rechtsgelehrter hat eine
       Erklärung veröffentlicht, laut der „eine Beleidigung von Propheten diese
       nicht verletzen kann, sondern einzig und allein als Aufruf zur
       Radikalisierung dient“.
       
       „Macrons ‚Krise des Islam‘ ist langweilig“, twittert der ägyptische
       Soziologe Amro Ali. Die wirkliche Krise der muslimischen Welt werde dadurch
       verstärkt, „dass Macron den dortigen Diktatoren seine Waffen verkauft“,
       schreibt er. Tatsächlich gehörten die arabischen Autokraten in Katar,
       Saudi-Arabien und Ägypten im letzten Jahr zu den größten Kunden der
       französischen Waffenindustrie. Das gebe ihnen grünes Licht.
       
       26 Oct 2020
       
       ## LINKS
       
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