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       # taz.de -- Gescheiterte Rekommunalisierung: Vom Leuchtturm zum Reinfall
       
       > Der Bund der Steuerzahler kritisiert die hohen Kosten für die Abwicklung
       > der Stadtwerke Aurich. Schuld ist der Traum vom Ökostrom aus der Region.
       
   IMG Bild: Stammt auch aus fetteren Jahren: Aurichs schickes EEZ (Energie-, Bildungs- und Erlebniszentrum)
       
       Hannover taz | Der Eintrag ins diesjährige Schwarzbuch des
       Steuerzahlerbundes hat es nun auch bundesweit publik gemacht: Die
       Geschichte der Stadtwerke Aurich dauerte zehn Jahre und ist ziemlich bitter
       – vor allem für diejenigen, die Fans der Idee von regionalem Ökostrom in
       kommunaler Hand sind.
       
       „Natürlich sind wir Grünen anfangs dafür gewesen – wie eigentlich alle
       Parteien im Stadtrat“, sagt Gila Altmann, die das gesamte Drama als Rats-
       und Kreistagsmitglied von Anfang bis Ende verfolgt hat. Entstanden ist die
       Idee allerdings auf Betreiben der SPD und ihres Bündnispartners GAP
       (Grün-Alternative Politik), unterstützt selbst von der lokalen CDU.
       
       Das war 2010 – in der Phase, die Altmann, aber auch die lokalen Medien,
       „die fetten Jahre“ nennt. Damals überwies der [1][Windanlagenhersteller
       Enercon] der Stadt Aurich noch zweistellige Millionenbeträge an
       Gewerbesteuern.
       
       Zusammen mit [2][Enercon] wollte die Stadt dann auch ins Energiegeschäft
       einsteigen. 2010 wurden die Stadtwerke Aurich gegründet, 2014 die
       Muttergesellschaft Stadtwerke [3][Aurich] Holding GmbH, an der Enercon 40
       Prozent der Anteile hielt. Ein „Leuchtturm für die Energiewende“ sollte das
       werden, bekundeten die Partner damals. Von einem Modellprojekt mit
       bundesweiter Ausstrahlung träumte die lokale Politik.
       
       ## Kampf um die Konzession
       
       Allerdings mussten die Stadtwerke erst noch die Konzessionen für das
       [4][Strom- und Gasnetz] gewinnen, die bis dahin bei der EWE lagen. Und der
       fünftgrößte Energieversorger Deutschlands dachte gar nicht daran, die
       kampflos aufzugeben.
       
       Zweimal scheiterte die Stadt vor Gericht mit dem Versuch, die auslaufenden
       Konzessionsverträge an die Stadtwerke zu vergeben. Beim ersten Mal wegen
       Fehlern bei der Ausschreibung. Beim zweiten Mal daran, dass man allzu
       hemdsärmelig versucht hatte, die Ausschreibungskriterien und deren
       Bewertung zugunsten der Stadtwerke zurechtzubiegen.
       
       Einen weiteren Versuch wagte die Stadt dann nicht mehr – da kam der
       Kommunalwahlkampf dazwischen, den der aktuelle Bürgermeister Horst
       Feddermann (parteilos) unter anderem mit dem Versprechen gewann, die
       Stadtwerke abzuwickeln.
       
       Die haben in den Jahren des schwelenden Konzessionsstreites allerdings eine
       Menge Geld ausgegeben. Der Aufbau einer eigenen Vertriebsinfrastruktur, der
       Erwerb und Neubau von Immobilien, der Einkauf von externem Know-how haben
       einen nicht geringen Teil der Summe verschlungen, die eigentlich für den
       Ankauf der Netze eingeplant war.
       
       Ungefähr 4.000 Verträge soll das Unternehmen zuletzt betreut haben – und
       beständig Verluste gemacht haben, weil ja weiterhin Netzentgelte entrichtet
       werden mussten. Gelohnt hätte sich das Geschäft eben nur, wenn man die als
       Netzinhaber für die eigenen Kunden eingespart – und stattdessen von den
       anderen Stromanbietern kassiert hätte.
       
       Auf rund 3,3 Millionen Euro beliefen sich die Verluste, die die Stadt
       Aurich seit 2014 als Mitgesellschafterin ausgleichen musste, rechnet Jan
       Vermöhlen im Auftrag des Bundes der Steuerzahler vor. Wahrscheinlich wird
       die Summe im Zuge der weiteren Abwicklung noch wachsen. „Dieser Fall zeigt
       einmal mehr, dass der Staat nicht der bessere Unternehmer ist“, schreibt
       Vermöhlen im Schwarzbuch.
       
       Das ist eine Schlussfolgerung, der sich nicht jeder anschließen mag. „Im
       Nachhinein muss man einfach sagen, dass wir mit der Stadtwerkegründung halt
       zwanzig bis dreißig Jahre zu spät dran waren“, sagt Kalle Altmann (Grüne).
       Ein kleiner regionaler Anbieter, der gerade erst im Aufbau ist, werde doch
       niemals die jetzt anstehenden Investitionen in die Netze – etwa zur
       Ertüchtigung fürs Smart Grid, also das intelligente Stromnetz, stemmen
       können.
       
       An großzügige Investitionen ist in Aurich in der Tat in vielen Bereichen
       gerade nicht zu denken: Enercon kämpft nach massiven Umsatzeinbrüchen ums
       Überleben. Die Gewerbesteuereinnahmen fließen nur noch spärlich. Einen
       Käufer für die Stadtwerke konnte Aurich bisher auch nicht finden. Im Sommer
       beschloss der Rat nun endgültig die Abwicklung. Aus dem Leuchtturm ist ein
       Reinfall geworden.
       
       29 Oct 2020
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Schwerer-Schlag-fuer-Ostfriesland/!5637118
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   DIR [3] http://www.aurich.de/
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       ## AUTOREN
       
   DIR Nadine Conti
       
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