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       # taz.de -- Gewichtheberin Sabine Kusterer über Skandale: „Ich glaube an das Gute“
       
       > Die deutsche Gewichtheberin Sabine Kusterer erklärt, was sich im
       > korrupten Weltverband ändern muss. Wichtig ist ihr ein Mitspracherecht
       > der Athlet*innen.
       
   IMG Bild: Hat auch bei der Olympia-Qualifikation im Gewichtheben ihren Spaß daran: Sabine Kusterer
       
       taz: Frau Kusterer, Korruption, Doping, mafiöse Strukturen, der Sturz
       [1][des autokratischen IWF-Präsidenten Tamás Aján] und dann noch der Putsch
       gegen die Interimspräsidentin Ursula Papandrea durch die alte Aján-Garde:
       es ist ein Jahr der Skandale für das internationale Gewichtheben. Was muss
       man sich derzeit als Gewichtheberin für Sprüche anhören? 
       
       Sabine Kusterer: Dadurch, dass ich wegen der Pandemie meine Außenkontakte
       beschränke, halten sich Sprüche in Grenzen. Das IOC hat jetzt eine ganz
       klare Ansage gemacht. Wenn sich in den Strukturen nichts ändert, kann es
       sein, dass noch mehr Plätze für 2024 gestrichen werden oder wir sogar ganz
       aus dem olympischen Programm fallen. Das alles ist aber kein neues Problem.
       Wenn man die Re-Analyse von den Spielen von 2008 und 2012 anschaut, fallen
       erschreckende Ergebnisse auf. Es waren mehr als 50 positive Dopingfälle,
       darunter waren viele Medaillengewinner. Für Gewichtheber ist das Phänomen
       nicht unbekannt.
       
       Haben Sie in Ihrer Karriere selbst etwas davon mitbekommen? 
       
       Mir wurde etwas von russischsprachigen Deutschen erzählt, die mal in der
       Nationalmannschaft waren. Die hatten sich mit russischsprachigen Athleten
       unterhalten, und von diesen Athleten kam die Frage: Wie, du bringst die
       Leistung und machst kein Doping? Dann ist es echt ’ne krasse Leistung.
       Manche wussten, dass sie es weiter machen können, weil Kontrolleure
       bestochen werden und den Pass nicht ganz genau angucken.
       
       Auch Wahlmanipulationen waren üblich. Es scheinen sich verkrustete und
       korrupte Strukturen über Jahrzehnte durchzuziehen. Welche Reformen wären
       aus Ihrer Sicht nötig? 
       
       Interimspräsidentin Ursula Papandrea hatte erste Reformen eingeleitet,
       indem sie zum Beispiel eine Athletenkommission eingeführt hat. Im Moment
       haben Athleten noch kein Stimmrecht, das prangert auch das IOC an. Das wäre
       wichtig. Außerdem hat der Weltverband IWF bis 2018 selbst die
       internationalen Dopingkontrollen durchgeführt. Das läuft jetzt immerhin
       unabhängig, aber die Aufsicht ist noch nicht gut. 2019 waren wieder
       dieselben Kontrolleure wie bei der IWF da, von der ungarischen Testagentur
       Hunado. Es ist sehr verstrickt. Es braucht insgesamt ein transparenteres
       System.
       
       [2][Ihr Kollege Jürgen Spieß wünscht sich komplette Neuwahlen] im
       Exekutivkomitee mit Leuten aus unbelasteten Nationalverbänden. 
       
       Das sehe ich ähnlich, und da spreche ich für den ganzen deutschen
       Gewichtheberverband. Im Exekutivkomitee der IWF sind Länder vertreten, die
       im Moment sanktioniert sind. Das zeigt schon, dass Doping geduldet wird.
       Und wenn sich nicht mal unser Weltverband dran hält, wie soll es sich in
       den nationalen Verbänden verbessern? Ich komme aus einer schlimmen
       Sportart, was Doping angeht. Ein Land, das im Moment sanktioniert ist, hat
       im Exekutivkomitee nichts zu suchen.
       
       Was am Gewichtheben begünstigt solche Strukturen? 
       
       Es ist eine sehr spezifische Sportart, wo eine Komponente sehr gefragt ist,
       nämlich Kraft. Ausdauer spielt gar keine Rolle, im Radsport ist es dagegen
       das andere Extrem. Die haben dasselbe Dopingproblem. In komplexen
       Sportarten wie Kampfsport- und Ballsportarten, wo man mit einem direkten
       Gegner zu tun hat, machen illegale Substanzen wesentlich weniger
       Unterschied.
       
       Gibt es dann überhaupt eine realistische Aussicht auf Veränderung? Was
       macht all das mit einem, was in den letzten Jahren enthüllt wurde? 
       
       Ich mache Gewichtheben, weil ich die Sportart liebe. Ich brenne dafür und
       kann mir keine Zeit ohne Gewichtheben vorstellen. Ich mache das für mich
       selbst, und ich bin gut darin. Deswegen gehe ich auf Wettkämpfe. Ich hoffe
       jedes Mal, dass es faire Wettbewerbe sind, und glaube an das Gute.
       
       Ist das nicht etwas naiv? Macht Sie der Betrug nicht wütend? 
       
       Es macht mich wütend, wie die Situation ist. Aber ich kann dagegen wenig
       tun. Ich kann nur öffentlich sprechen und für sauberen Sport eintreten. Ich
       würde nicht um jeden Preis gewinnen wollen. Aber ich bin selbst auch
       indirekt betroffen. Als ich in Rio den zehnten Platz geholt habe, hat die
       Thailänderin Sukanya Srisurat Gold geholt. Sie wurde 2011 des Dopings
       überführt und ist aktuell wieder gesperrt. Die Kontrollen von Rio sind noch
       nicht ausgewertet.
       
       Das Thema Doping scheint Sie in diesem Komplex ja sehr zu bewegen. Die
       autokratischen Strukturen, verschwundenen Gelder, Wahlbetrug und Korruption
       beschäftigen Sie nicht? 
       
       Mich als Athletin tangiert vor allem Doping. Aber wenn mehr verlässliche
       Leute im Exekutivkomitee vertreten wären, [3][der deutsche
       Verbandspräsident Christian Baumgartner zum Beispiel], der im
       Exekutivkomitee Reformen anstoßen wollte, oder Antonio Urso aus Italien,
       der bei den letzten Wahlen gegen das System Aján angetreten ist, wäre ein
       anderer Wind in der IWF. Das IOC hat klare Veränderungen gefordert.
       
       Das IOC hat aber auch dem Treiben jahrelang tatenlos zugesehen, obwohl es
       informiert war, und einige Mitglieder oder Ex-Mitglieder waren selbst
       verstrickt in die Machenschaften der IWF. Hat das Olympische Komitee als
       Kontrollinstanz versagt? 
       
       Die Athletenkommission fordert unabhängige Beobachter. Das wäre
       wünschenswert. Die Frage ist, wie man das in die speziellen Strukturen des
       organisierten Sports integriert. Man müsste außerdem offen darlegen, an
       welchen Prozessen gerade gearbeitet wird. Ich wünsche mir eine bessere
       Kommunikation. Wir sind die, die den Sport ausüben, ohne uns gäbe es den
       Verband gar nicht. Die Athleten brauchen ein Stimmrecht.
       
       Es ist auffällig, dass in den letzten Jahren in vielen Sportarten Athleten
       lauter geworden sind, Gewerkschaften gegründet wurden. Warum? 
       
       Vor allem wegen Social Media. Die Kommunikation ist wesentlich einfacher
       geworden. Wenn man sich anschaut, wie schnell die britische Gewichtheberin
       und seit September Vorsitzende der neu geschaffenen Athletenkommission,
       Sarah Davies, mit ihrer Petition für den Rücktritt des gesamten
       Exekutivkomitees Stimmen gesammelt hat, das ist schon beeindruckend. Vor
       dem Internet konnte man sich nur auf Wettkämpfen austauschen und hat
       weniger über Strukturen gesprochen, eher über das Leben allgemein. Die
       schnelle Kommunikation macht es einfacher. Die Leichtathleten waren unter
       den Ersten gegen Korruption. Wenn Sportler sich in ihrer Sportart
       benachteiligt fühlen, fordern sie ein Mitspracherecht.
       
       Haben Sie die Petition auch unterzeichnet? 
       
       Ja.
       
       Sie sind eine der besten deutschen Gewichtheberinnen, ein Sport, zu dem die
       meisten Menschen wenig Zugang haben. Was ist das Schöne daran, was
       fasziniert Sie? 
       
       Auch, wenn der Schwerpunkt auf Kraft liegt, sind mentale Stärke und
       technische Perfektion sehr wichtig. Ohne Technik ist man weniger effizient.
       Das Bestmögliche physisch und mental aus dem Körper raus zu holen finde ich
       sehr spannend. Mein Vater ist Amateur-Gewichtheber, da bin ich auch etwas
       vorbelastet. Ich war früher auch erfolgreiche Judoka, aber irgendwann hat
       beides parallel zu viel Zeit gekostet, ich musste mich entscheiden.
       
       Was gab den Ausschlag für Gewichtheben? 
       
       Es war etwas einfacher, erfolgreich zu sein, auch weil es wenige
       Gewichtheberinnen gibt. Es ist vom Zeitaufwand her weniger. Man hat größere
       Regenerationszeiten und darf sich etwas auf andere Sachen einlassen. Erst
       Gewichtheben, dann hat man Ruhe.
       
       Sie sprachen gerade die geringe Zahl der Frauen an. Hat sich etwas über die
       Jahre geändert? Gibt es vielleicht sogar Frauen, die Ihretwegen mit
       Gewichtheben angefangen haben? 
       
       Das wäre schön, aber das ist bis jetzt nicht der Fall gewesen. Das wäre ein
       Ritterschlag. Aber durch Cross Fit ist Gewichtheben unter Frauen populärer
       geworden, weil es eine Teildisziplin ist. Da schwenken doch einige Frauen
       um. Die technische Arbeit gefällt ihnen, diese Detailverliebtheit. Ich bin
       im Bundesverband Referentin für Frauensport und beschäftige mich vermehrt
       mit dem Thema; letztes Jahr bei den Deutschen Meisterschaften war die
       Anzahl der Teilnehmerinnen tatsächlich zum ersten Mal höher als die der
       Teilnehmer.
       
       [4][Das IOC hat nun damit gedroht, Gewichtheben vielleicht sogar zu
       streichen für Olympia 2024.] Was ist Ihr Gegenplädoyer, warum sollte der
       Sport olympisch bleiben? 
       
       Das IOC hat sich immer mehr an der Frage orientiert: Wo können wir am
       meisten Geld verdienen? Deswegen kommen immer mehr Trendsportarten ins
       Programm, wo es schwieriger ist, die Leistung zu messen. Da isst mehr das
       Auge mit. Beim Surfen kann man doch bei Profis keinen großen Unterschied
       sehen. Im Gewichtheben ist das ganz klar: Wer am meisten hebt, hat
       gewonnen. Es ist eine Ursportart, ein Kräftemessen. Ich finde, das gehört
       zum olympischen Geist dazu.
       
       Sie sind jetzt 29 Jahre alt. Wären diese Spiele von 2024 überhaupt für Sie
       noch Thema? 
       
       Ja. Aber wenn Gewichtheben gestrichen wird, wäre es für mich ein Grund,
       ganz mit dem Leistungssport aufzuhören. Ich profitiere von der Förderung in
       der Sportfördergruppe der Bundeswehr, die könnte dann wegfallen. Da sich
       Geld nicht von selbst verdient, müsste ich meine Trainingszeit für Arbeit
       opfern. Dann wären die Resultate nicht mehr so gut. Es hängen auch
       persönliche Karrieren an dieser Entscheidung.
       
       23 Oct 2020
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Korruption-und-Betrug-im-Gewichtheben/!5688529
   DIR [2] https://www.deutschlandfunk.de/welt-gewichtheberverband-sehen-was-noch-zu-retten-ist.1346.de.html?dram%3Aarticle_id=485997
   DIR [3] /Korruption-im-Gewichtheben/!5651688
   DIR [4] https://www.sportschau.de/hintergrund/Gewichtheben-Skandal-IOC-droht-mit-Olympia-Ausschluss-100.html
       
       ## AUTOREN
       
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