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       # taz.de -- Die Wahrheit: In der Einflugscheiße
       
       > Die Wahrheit ist dieser Tage zu Besuch bei einem krass mit den Wahlen
       > befassten US-Bürger im äußersten Westen von Nevada.
       
   IMG Bild: Kackte schon Kolumbus auf den Kopf: Brieftaube in Aktion
       
       Überall Filterkaffeeflecken, die Luft steht. Wie in einem Taubenschlag geht
       es zu. Und tatsächlich – von oben und unten, von rechts und von links und
       ja, auch von draußen auf der Straße, ist ein vielstimmiges Gurren und
       Scharren zu vernehmen. Sekündlich, minütlich, stündlich und täglich
       überschlagen sich die Ereignisse. Unfassbar. „Mir fällt dazu nichts mehr
       ein“, sagt Dan Milestone und nimmt noch einen Schluck Filterkaffee. „Alles
       verkacken die Viecher, es ist wirklich furchtbar.“
       
       Milestone geht leicht gebückt, eigentlich ist er ein echtes amerikanisches
       Mannsbild in stonewashed Jeans und aus dem äußersten Westen von Nevada.
       Aber unter der Last Abertausender an- und abfliegender Brieftauben gerät
       auch er ans Limit seiner bärenstarken Kräfte. „Erst trudelten die Tiere
       wochenlang mit Wahlumfragenteilnahmebögen im Schnabel ein. Was da alles für
       Fragen dabei waren! Und jetzt kommen noch ständig Briefwahlumschläge mit
       Briefwahlunterlagen angeflogen!“
       
       Milestone ist 94. Mit den allermeisten der 487 nordamerikanischen
       Meinungsforschungsinstitute sowie den 50 Wahlbehörden der US-Bundesstaaten
       hat er seit der Amtszeit von Dwight D. Eisenhower lukrative
       Zulieferverträge abgeschlossen. Jetzt zieht er die obere mittlere Schublade
       eines knarzenden Sekretärs auf. Eine leicht übergewichtige Brieftaube
       knabbert ihm dabei fast zärtlich am Ohrläppchen.
       
       ## Wiedereinführung der Sklaverei?
       
       „Hier, lesen Sie mal, das haben die Meinungsforscher von ‚Gone with the
       wind‘ letzte Woche gefragt: ‚Halten Sie die Wiedereinführung der Sklaverei
       nicht nur in ländlichen, sondern auch in städtischen Ballungsräumen für
       wünschenswert?‘“ Wir schütteln mit dem Kopf, dabei waren wir ja gar nicht
       gefragt, sondern die Umfrageteilnehmer, die fürs Antworten Gutscheine für
       Kentucky Fried Chicken bekamen.
       
       Dan Milestone wedelt triumphierend mit den Wahlumfragebögen herum.
       „Natürlich haben die Leute nicht für die Wiedereinführung der Sklaverei wo
       auch immer gestimmt! Sondern sie haben angegeben, angekreuzt oder
       angetippt, dass ihnen stattdessen bessere Fernbusverbindungen und endlich
       mehr Tierarztpraxen wichtiger sind.“
       
       Was wir daraus lernen? „Well“, kommt es von Milestone wie aus einer
       halbautomatischen Schreckschusspistole geschossen, „well, daraus haben alle
       bis auf zwei Meinungsforschungsinstitute hierzulande geschlossen, dass Joe
       Biden und die Demokraten 10,1 bis 10,4 Prozent bei den
       Präsidentschaftswahlen vor Donald Trump und seiner republikanischen Kombo
       liegen.“ – „Und was ist mit Trumps Fox News?“, fragen wir munter weiter.
       „Die haben ihre eigenen Brieftauben, dazu kann ich Ihnen nichts sagen“,
       antwortet Milestone wahrheitsgemäß.
       
       Dann nimmt er einen allerletzten Schluck Filterkaffee, guckt hektisch auf
       seine rotblau angelaufene Armbanduhr. „Ein Geschenk von Bill Clinton“,
       erklärt er ein bisschen verlegen. „Eigentlich bin ich ja unbestechlich.“
       Milestone rauft sich plötzlich das altersmild weißblond glänzende Haar.
       „Ich brauche Wahlergebnisse, so kann ich nicht arbeiten!“ Doch bevor wir
       den Brieftaubengreis weiter seiner tierisch fäkalen, aber für die
       amerikanische Demokratie so zentralen Arbeit nachgehen lassen, wollen wir
       von ihm, Dan Milestone, noch eine wichtige Sache wissen.
       
       Wie eigentlich ist es jetzt um die Einflussnahme Russlands bei der Chose
       bestellt? Der 94-Jährige fasst sich lebhaft an den Kopf. „Bingo! Good
       question! Zu der Frage schick ich glatt noch mal ein Täubchen los!“
       
       6 Nov 2020
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Harriet Wolff
       
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