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       # taz.de -- Protest gegen Abtreibungsverbot: Nachbarinnenhilfe über Grenzen
       
       > Auch in Berlin protestieren Gruppen gegen die Abtreibungsgesetze in
       > Polen. Der Angriff auf weibliche Selbstbestimmung betreffe alle
       > gemeinsam.
       
   IMG Bild: Poland not Loland: Proteste gegen restriktive Abtreibungsgesetze in Berlin
       
       Der polnische Botschafter in Berlin und seine Frau sollen sich durchaus
       beobachtet fühlen: Auch für diese Woche ruft die Initiative Dziewuchy
       Berlin (Polnisch: Mädchen) zu Aktionen im Umfeld des Botschaftsgebäudes in
       Zehlendorf auf. Das könnten nach ihrem Vorschlag etwa Spaziergänger*innen
       sein, die – auch bei Sonnenschein – mit einem aufgespannten, schwarzen
       Regenschirm an der Botschaft entlangflanieren, langsam vorbeifahrende
       Autos, die auch mal länger hupen, Passant*innen, die dort wie versehentlich
       einen Metallbügel verlieren, den ein*e ander*e Passant*in aufhebt und an
       den Zaun der Botschaft hängt. Aktivist*innen wollen sich außerdem in
       Online-Webinare einloggen und dort mit den Logos des Protests sichtbar
       sein.
       
       Mit den Aktionen reagiert Dziewuchy Berlin auf die Entscheidung des
       polnischen Verfassungsgerichts, das im Oktober die restriktive Gesetzgebung
       zu Abtreibungen in Polen noch verschärft hatte. Demnach ist nun auch
       Frauen, deren Föten schwere Fehlbildungen haben, eine Abtreibung untersagt.
       Die Gerichtsentscheidung macht Abtreibungen in Polen damit rechtlich im
       Prinzip unmöglich.
       
       Und sie schürte die Wut auf den polnischen Botschafter in Berlin und seine
       Frau, sagt die Künstlerin Anna Krenz, die sich bei Dziewuchy engagiert.
       Denn die Frau des Botschafters, Julia Przyłębska, ist Präsidentin des
       Verfassungsgerichts in Polen, also jenes Gerichts, das über die neuerliche
       [1][Verschärfung des Abtreibungsgesetzes] entschieden hat.
       
       „Der Botschafter ist eine Marionette der PiS-Regierung in Polen und
       repräsentiert nicht uns alle“, sagt Krenz. Mit ihren Aktionen richten sie
       sich an Pol*innen in Berlin, aber auch an die Menschen im Nachbarland. „Wir
       wollen zeigen, dass sie nicht allein sind und nicht allein für ihre Rechte
       kämpfen“, sagt Krenz. „Die Proteste in Polen dauern schon seit dem 22.
       Oktober an, und wir müssen durchhalten, sonst waren die Wucht und die Wut
       bisher umsonst.“
       
       ## Auch in Deutschland nicht rosig
       
       Krenz kommt selbst aus Polen, sie findet den Protest aber gerade auch in
       Berlin wichtig. „Wir sind nicht so weit weg von der Grenze und haben enge
       Verbindungen nach Polen. Wir sind wie ein Lautsprecher für die Frauen
       dort“, sagt sie. „Und auch, wenn die Verschärfungen jetzt natürlich in
       Polen besonders schlimm sind, ist die Situation, was Abtreibungen betrifft,
       auch in Deutschland alles andere als rosig“, sagt sie. „Wir kämpfen also
       eigentlich für die Rechte der Frauen in Polen und in Deutschland.“
       
       In Polen hat der Protest auch kleinere Orte erreicht. Krenz erklärt das
       damit, dass inzwischen nötige Strukturen dort entstanden sind. „Seit fünf
       Jahren, seitdem die PiS an der Macht ist, erleben viele Menschen in Polen,
       wie die Dinge in allen Bereichen sich verschlimmern“, sagt sie. Dies
       betreffe Schule, Steuern, aber auch die Landwirtschaft, wo sich zuletzt
       auch Bauern mit ihrem Protest den Demonstrationen der Frauen angeschlossen
       hätten. „Inzwischen sind an vielen Orten Netzwerke entstanden, die Menschen
       haben jetzt den Mut, ihrer Wut Luft zu machen“, sagt sie.
       
       Denn nicht nur in [2][Warschau gab es große Proteste], zuletzt am
       vergangenen Freitag, als Zehntausende dort demonstrierten – und das in
       einer Situation, in der Versammlungen in Polen wegen der steigenden
       Coronavirus-Infektionen untersagt sind. Auch in kleineren Städten ist die
       Empörung sichtbar. So etwa in der Grenzstadt [3][Słubice], in der am Montag
       vor einer Woche rund 500 Menschen demonstriert hatten. Auch für Freitag
       hatten Gruppen zu Protesten dort aufgerufen, zu denen auch
       Unterstützer*innen aus Frankfurt (Oder) und Berlin auf die [4][Frankfurter
       Stadtbrücke] mobilisiert hatten. Teilnehmer*innen waren mit schwarzen
       Regenschirmen gekommen und schlossen sich – so es die Quarantänebedingungen
       zuließen – dem Protest in Słubice an, bei dem wieder Hunderte durch die
       Stadt zogen.
       
       ## Initiative unterstützt bei Abtreibungen
       
       Die Aktion auf der Brücke selbst fiel wegen technischer Probleme relativ
       klein aus. Urszula Bertin, Vertreterin der Berliner Initiative Ciocia Basia
       (Deutsch: Tante Barbara), richtete aber auch ohne Mikro ein paar Worte an
       die Demonstrant*innen: „Wir wissen, wie ihr euch fühlt, und ich hoffe, dass
       der polnische Staat uns sieht“, sagte sie.
       
       [5][Ciocia Basia] unterstützt Frauen aus Polen bei Abtreibungen. Sie
       vermittelt sie in Berliner Praxen oder hilft ihnen, in andere Länder wie
       etwa die Niederlande weiterzureisen, wenn in Deutschland aufgrund einer
       fortgeschrittenen Schwangerschaft ein Abbruch rechtlich nicht mehr möglich
       ist. „Pro Monat wenden sich etwa 20 bis 30 Frauen an uns“, sagt Bertin. Die
       Frauen kämen aus allen Schichten, viele seien jung, aber auch ältere oder
       verheiratete Frauen suchten bei ihnen Hilfe.
       
       „Was uns als Mitarbeiterinnen von Cocia Basia immer wieder empört und
       schmerzt, ist, in welchem psychischen und gesundheitlichen Zustand die
       Frauen bei uns ankommen“, sagt Bertin. So sei teils erkennbar, dass
       Kaiserschnitte nicht fachgerecht durchgeführt worden waren. „Oder es kommen
       Frauen zu uns, die vergewaltigt worden sind, das aber niemandem sagen, weil
       sie Angst haben, in Polen zur Polizei zu gehen“, sagt sie. Die Frauen
       würden alleingelassen.
       
       Bertin ist die Solidarität auch über die Grenze hinweg wichtig. Die
       Protestaktionen der vergangenen Wochen zeigten aus ihrer Sicht auch schon
       Effekte: So habe Cocia Basia von Organisationen aus Schweden gerade die
       Zusage bekommen, dass sie Frauen dorthin vermitteln könnten und teils sogar
       die Finanzierung gesichert sei.
       
       4 Nov 2020
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Abtreibungsrecht-in-Polen/!5723089
   DIR [2] /Konflikt-um-Abtreibungsverbot/!5724935
   DIR [3] https://www.rbb24.de/studiofrankfurt/politik/2020/10/slubice-polen-protest-abtreibung-gesetz-demo.html
   DIR [4] https://www.rbb24.de/studiofrankfurt/panorama/2020/10/proteste-gegen-abtreibungsgesetz-polen-slubice-frankfurt--oder-.html
   DIR [5] /Aktivistin-zu-Abtreibungsverbot-in-Polen/!5724288
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Uta Schleiermacher
       
       ## TAGS
       
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