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       # taz.de -- Abtreibungsrecht in Polen: Noch restriktiver
       
       > Das Verfassungsgericht kippt die Möglichkeit, eine Schwangerschaft im
       > Falle eines unheilbar erkrankten Fötus abzubrechen.
       
   IMG Bild: Frauen protestieren gegen die Auferlegung weiterer Beschränkungen des Abtreibungsrechts in Stettin
       
       Warschau taz | Der [1][Protest zehntausender Polinnen] hat es nicht
       verhindern können: Am Donnerstag verschärfte das polnische
       Verfassungsgericht das ohnehin überaus restriktive Abtreibungsrecht in
       Polen. Vor knapp einem Jahr hatte eine Gruppe von 119
       nationalpopulistischen und nationalistischen Abgeordneten den Antrag auf
       Überprüfung des Familienplanungs-Gesetzes von 1993 auf Verfassungsmäßigkeit
       gestellt.
       
       Bislang waren in Polen Abtreibungen legal, wenn Gefahr für Leib und Leben
       der Mutter drohte, der Fötus schwerst geschädigt war, der Säugling
       unheilbar krank oder kaum überlebensfähig zur Welt kommen würde oder die
       Schwangerschaft auf eine Vergewaltigung oder Inzucht zurückging. Im letzten
       Jahr wurden in Polen bei einer Bevölkerungszahl von 38 Millionen Menschen
       gerade mal 1.100 legale Abtreibungen vorgenommen, die meisten aufgrund der
       medizinischen Indikation eines schwerstgeschädigten Fötus.
       
       In Zukunft werden Polinnen kein Recht mehr auf eine eigene Entscheidung
       haben, wenn sie die Diagnose „fehlendes Gehirn“ oder „offenes Rückgrat“ bei
       ihrem noch im Bauch heranwachsenden Baby bekommen.
       
       Die zumeist männlichen Richter stimmten den ebenfalls zumeist männlichen
       Antragsstellern zu, dass den betroffenen Frauen eine Zwangsgeburt dieser
       schwerst behinderten Kinder zuzumuten sei. Das Recht auf Leben stehe über
       dem „psychischen Komfort“ der Frauen.
       
       ## Strafen festlegen
       
       Die Mehrheit der Verfassungsrichter – 13 von 15 – stimmte den
       Antragstellern zu, dass es sich bei dem Familienplanungsgesetz von 1993 um
       die „Legalisierung eugenischer Praktiken an noch nicht geborenen Kindern“
       handle. Mit diesem Gesetz werde „diesen Kindern“, also den Föten, „die
       Anerkennung des Schutzes der Menschenwürde“ genommen.
       
       Nach diesem Urteil des Verfassungsgerichts muss der Gesetzgeber diesen
       Passus des Familienplanungsgesetzes neu formulieren und insbesondere die
       Strafen für die Frauen festlegen, die sich der Zwangsgeburt widersetzen und
       illegal einen Abbruch vornehmen lassen.
       
       Ob sich in Zukunft Ärzte strafbar machen, wenn sie werdenden Müttern
       mitteilen, dass ihr Kind schwerstbehindert oder nicht überlebensfähig sein
       wird, wird ebenfalls Polens Parlament entscheiden müssen. Dort aber haben
       seit 2015 die Nationalpopulisten von der [2][regierenden Recht und
       Gerechtigkeit (PiS)] und Nationalisten die absolute Stimmenmehrheit.
       
       Der Streit um das sehr restriktive Abtreibungsrecht zieht sich schon seit
       Jahren hin. Umfragen zufolge wollen die meisten Polen und Polinnen keine
       Verschärfung des Abtreibungsrechts. Dennoch übten katholische
       Fundamentalisten immer wieder massiven Druck auf die Abgeordneten aus.
       
       ## Termin abgesprochen
       
       Der PiS-Parteichef Jaroslaw Kaczynski ist vor allem daran interessiert, das
       Thema zu instrumentalisieren. Viele politische Beobachter in Polen gehen
       davon aus, dass er mit seiner „gesellschaftlichen Entdeckung“, der
       Vorsitzenden des polnischen Verfassungsgerichts Julia Przylebska, den
       Termin für die Verhandlung des Abtreibungsrechts abgesprochen hat.
       
       Denn sein Versagen in der aktuellen politischen Situation sei nur zu
       deutlich: Die Covid-19-Zahlen wachsen explosionsartig, ohne dass die
       Regierung eine Strategie für die zweite Corona-Welle entwickelt hätte.
       
       Wichtiger waren für die PiS im Sommer der Kampf gegen sexuelle Minderheiten
       (LGBT), die Präsidentschaftswahlen, innerparteiliche Querelen und die
       erneute Frontstellung gegen die EU. Das Kalkül sei, so die
       Regierungskritiker, dass das Urteil der Verfassungsrichter, die bis auf
       einen allesamt von der PiS-Mehrheit im Parlament ernannt wurden, großes
       Aufsehen erregen und damit vom Versagen Kaczynskis und der PiS-Regierung
       ablenken werde.
       
       22 Oct 2020
       
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