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       # taz.de -- Massenabschiebungen aus Algerien: In die Wüste und aus dem Land
       
       > Seit Ende September hat Algerien mehr als 5.000 Menschen abgeschoben.
       > Beobachter sprechen von einer „Kriegserklärung an Migrant*innen“.
       
   IMG Bild: In einem Durchgangslager in Laghouate. Algerien schiebt seit 2017 Menschen nach Niger ab
       
       Tunis taz | Das Dorf Assamaka in Niger nahe der algerischen Grenze ist zum
       Brennpunkt von Algeriens repressiver Abschiebepolitik gegen Geflüchtete
       geworden. Seit Ende September seien in nur 17 Tagen 5.291 Menschen aus 22
       afrikanischen Staaten und Pakistan in Assamaka angekommen, nachdem sie von
       algerischen Behörden in der Grenzregion in der Wüste ausgesetzt worden
       waren, berichtet das Aktivist*innen-Netzwerk Alarme Phone Sahara der taz.
       Ärzte ohne Grenzen spricht von 5.470 Menschen, die seither nach Niger
       abgeschoben worden seien, so die in Assamaka arbeitende Hilfs- und
       Menschenrechtsorganisation auf Nachfrage.
       
       Algerien schiebt zwar schon seit 2017 unter eklatanter Missachtung
       internationaler Flüchtlings- und Menschenrechtskonventionen wöchentlich
       hunderte Menschen nach Niger ab, hatte sein repressives Vorgehen gegen
       Geflüchtete aber angesichts der Covid-19-Pandemie im März stark
       eingeschränkt und seither nur sporadisch Abschiebungen durchgeführt.
       Nachdem sich die Gesundheitskrise in Algerien zuletzt entspannt hat, gehen
       algerische Behörden nun aber umso heftiger gegen im Land lebende
       Einwanderer*innen vor.
       
       Algeriens jüngste Abschiebekampagne hat dabei ein bislang beispielloses
       Ausmaß angenommen, machen algerische Behörden doch nicht einmal vor
       Asylbewerber*innen halt, deren Antrag beim UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR
       bearbeitet wird. Seit September seien mehr als 80 Asylbewerber*innen nach
       Niger abgeschoben worden, erklärt der Beauftragte für Außenbeziehungen beim
       UNHCR in Algier, Russell Fraser, gegenüber der taz.
       
       „Das UNHCR ist zutiefst besorgt über die Verhaftung und kollektive
       Ausweisung von Asylbewerber*innen und Migranten. Asylsuchende sollten nicht
       zurückgeschickt werden, wenn noch keine Entscheidung über ihren Asylantrag
       vorliegt“, so Fraser.
       
       ## Wochenlange Inhaftierung
       
       In der Tat verstoßen Algeriens Abschiebepraktiken systematisch gegen
       internationales Recht. In regelrechten Razzien lassen Sicherheitsbehörden
       regelmäßig hunderte Menschen willkürlich und unabhängig von ihrem
       Aufenthaltsstatus verhaften und ihre Besitztümer und ihr Bargeld
       konfiszieren. In Buskonvois werden sie dann in das 2.000 Kilometer südlich
       von der Hauptstadt Algier gelegene Tamanrasset gebracht. Nach teils
       wochenlanger Inhaftierung werden sie auf Militärlastwagen in die
       Grenzregion transportiert und nach Niger ausgewiesen.
       
       Grundlage von Algeriens systematischer Ausweisungspraxis ist ein
       bilaterales Rücknahmeabkommen mit der Regierung in Niamey von 2014, das
       allerdings nur die Abschiebung nigrischer Bürger vorsieht. Nachdem
       Algeriens Regierung zunächst nur sporadisch von dem Deal Gebrauch gemacht
       hatte, weitete sie ihre Abschiebepolitik drei Jahre später massiv aus und
       schiebt seither Menschen verschiedener afrikanischer Nationalitäten nach
       Niger ab. Selbst Menschen aus Syrien, Palästina, Jemen und Bangladesch
       wurden in den vergangenen Jahren auf diesem Wege des Landes verwiesen.
       
       ## Protest aus Niger
       
       Während Algerien im Rahmen sogenannter „offizieller“ Konvois tatsächlich
       meist nur nigrische Bürger abschiebt und diese der nigrischen Armee
       übergibt, werden seit 2017 im Zuge „inoffizieller“ Konvois vor allem
       Menschen nicht-nigrischer Nationalität abgeschoben. Diese Abschiebungen
       werden nicht mit Niger koordiniert.
       
       Algerien setzt regelmäßig hunderte Menschen rund 15 Kilometer von der
       Grenze entfernt in der Wüste aus und zwingt sie, zu Fuß nach Assamaka zu
       laufen. Wie viele Menschen sich dabei in der Wüste verlaufen und sterben,
       ist unklar. Die Regierung in Niamey hat mehrfach vehement gegen diese
       Praxis protestiert, doch Algier ignoriert derlei Kritik bisher beharrlich.
       
       Anfang Oktober kündigte Algeriens Regierung derweil eine neue
       Migrationsstrategie an, die ein verschärftes Vorgehen gegen
       Einwanderer*innen vorsieht. Alarme Phone Sahara bezeichnete die Ankündigung
       in einer Erklärung als „Kriegserklärung an Migrant*innen“, die rassistische
       Ressentiments in Algeriens Gesellschaft gegenüber Einwanderer*innen
       bediene. Zugleich positioniere sich Algerien damit indirekt als
       „verlässlicher Wächter“ des [1][EU-Grenzregime], so das Netzwerk.
       
       23 Oct 2020
       
       ## LINKS
       
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   DIR Sofian Philip Naceur
       
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