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       # taz.de -- Berlin als Drehort in „Das Damengambit“: Eine Stadt spielt die ganze Welt
       
       > In der neuen Netflix-Serie spielt Berlin laut Drehbuch keine Rolle.
       > Tatsächlich ist die Stadt aber dauerpräsent, auch wenn man es nicht immer
       > sieht.
       
   IMG Bild: Wandeln unter der Pergola: Beth Harmon (Anya Taylor-Joy) in Moskau (Karl-Marx-Allee, Berlin)
       
       Berlin taz | Am Ende – so viel kann man verraten, ohne zu viel zu verraten
       –, also ganz am Ende spaziert die Schauspielerin Anya Taylor-Joy durch den
       [1][Rosengarten an der Karl-Marx-Allee] in Berlin-Friedrichshain. Da, wo
       auf Höhe des U-Bahnhofs Weberwiese die in Berlin weltberühmten Prachtbauten
       der einstigen Stalinallee kurz mal in die zweite Reihe zurücktreten. Um ein
       wenig Luft zu lassen. Für eine Promenade unter der blumenberankten Pergola.
       
       Taylor-Joy spielt hier natürlich nicht sich selbst, sondern die Hauptfigur
       der neuen Netflix-Serie „Das Damengambit“, die Andreas Rüttenauer in der
       taz sehr zu Recht schon als [2][“heimlichen Hit dieses Pandemieherbsts“
       gelobt hat]. Es geht um Elisabeth „Beth“ Harmon, die als Kind vom
       Hausmeister eines Waisenhauses in Kentucky so gut Schach lernt, dass sie …
       kurz gesagt: es geht hoch hinaus. Taylor-Joy spielt das junge Genie
       zwischen Emanzipation und Delirium so überzeugend, dass man sich glatt
       fragt, ob die Story auf Tatsachen beruht.
       
       (Tut sie nicht. Und wer die Serie möglichst unbeeinflusst sehen will,
       sollte an dieser Stelle den Text abschalten und erst nach Episode 7
       weiterlesen).
       
       Mindestens ebenso gut an ihrer Seite zeigt sich Berlin. Auch die Stadt
       spielt in dieser Szene wie jede gute Schauspielerin nicht sich selbst –
       sondern Moskau am Ende der 1960er Jahre. Nun, wer ein Gesicht hat wie die
       Karl-Marx-Allee, dem fällt eine Rolle als Moskau nicht schwer. Berlin
       bleibt zu sehr Berlin. ZuschauerInnen mit Ortskenntnis wird das irritieren.
       Aber diese Schlussszene der Serie ist ja auch – wie erst später klar wird –
       nur der schwächste Auftritt der Stadt.
       
       Denn wer sich fragt, wieso Berlin in „Das Damengambit“ das Schlussbild
       setzten durfte, stößt bald auf die Webseite [3][atlasofwonders.com], die
       sich auf Filmlocations spezialiert hat. Und dort auf [4][eine lange Liste
       weiterer Berliner Orte, die in „Damengambit“ auftauchen].
       
       Doch anders als in [5][“Unorthodox“, der anderen in diesem Jahr viel
       gelobten Netflix-Serie], in der Berlin sich selbst spielen durfte, schlüpft
       die Stadt diesmal in ein schier unerschöpfliches Rollenrepertoire.
       
       Da spielt die wunderbare Lounge des Kinos International, die sich mit rosa
       Tischdecken verkleidet hat, ein Restaurant in Moskau. Der
       Friedrichstadtpalast glänzt als Hotel in Mexiko-Stadt. Die Monbijoubrücke
       an der Museumsinsel hat einen überzeugenden Auftritt als Paris. Das Palais
       am Funkturm darf – nur leicht durch Computerretusche ergänzt – ein Hotel in
       Las Vegas darstellen. Jede Menge weiterer Orte vom Rathaus Spandau bis zu
       einem Second-Hand-Laden an der Frankfurter Allee haben Auftritte als
       Cincinatti in Ohio oder Lexington in Kentucky.
       
       Selbst das idyllisch in der Pampa gelegene Waisenhaus wurde tatsächlich in
       einer mittlerweile alles andere als idyllischen Gegend gefilmt: in Schloss
       Schulzendorf, [6][dessen bewegte Geschichte eigentlich selbst Stoff für
       eine eigene Serie hergeben könnte] und das nun in der Einflugschneise
       [7][des gerade eröffneten Flughafens BER] liegt. Mit all diesem Wissen
       möchte man die Serie gleich noch mal anschauen.
       
       Gedreht wurde „Das Damengambit“ im Herbst 2019 fast vollständig in Berlin,
       berichtet Marcus Loges, einer der Produzenten der Serie. Sogar die
       Innenaufnahmen des Hauses, in dem die Hauptfiguren wohnen, entstanden in
       Berlin – allerdings in einem Studio in Haselhorst.
       
       Ursprünglich war laut Loges auch Prag als Drehort im Rennen. Aber Berlin
       habe die größere Bandbreite an Motiven geboten. Und außerdem habe die Stadt
       [8][seit „Berlin Bayblon“] einen gut Ruf in der Branche.
       
       So schauen die Völker dieser Welt mal wieder auf diese Stadt. Allerdings
       ohne es zu merken. Und das ist auch gut so. Denn Berlin glänzt als
       großartige, sich gleichzeitig aber sehr zurücknehmende Actrice in einer
       Mehrfachrolle. Gibt es gibt eigentlich eine Oscarkategorie für Städte?
       
       Der Begriff „Weltstadt“ bekommt dank „Damengambit“ jedenfalls eine völlig
       neue Bedeutung. Gerade in Coronazeiten ist das von unschätzbarem Wert. Denn
       bis nach Kentucky, Mexiko, Paris oder Moskau gelangt man in Berlin jetzt
       schon mit dem Fahrrad. Und man will ja trotz Pandemie nicht immer nur vor
       dem Fernseher hängen.
       
       13 Nov 2020
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://de.wikipedia.org/wiki/Rosengarten_(Berlin-Friedrichshain)
   DIR [2] /Netflix-Serie-ueber-Schachgenie/!5722650
   DIR [3] http://atlasofwonders.com
   DIR [4] https://www.atlasofwonders.com/2020/10/where-was-the-queens-gambit-filmed.html?m=1
   DIR [5] /Serie-Unorthodox-auf-Netflix/!5670815
   DIR [6] http://scottyscout.com/brandenburg/schloss-schulzendorf/
   DIR [7] /Flughafen-BER-ist-eroeffnet/!5724816
   DIR [8] /Neue-Staffel-Babylon-Berlin/!5654275
       
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