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       # taz.de -- Räumung des Dannenröder Forsts: Der Baumhäuserkampf
       
       > Der Dannenröder Forst in Hessen wird für den Bau einer Autobahn geräumt.
       > Aktivist*innen und Polizei liefern sich ein Katz-und-Maus-Spiel.
       
   IMG Bild: Ausharren im Baumhaus
       
       Guten Morgen, schön, dass ihr da seid!“, ruft eine Frau aus einer
       Astgabelung in etwa vier Meter Höhe. „Feiert ihr Karneval? Ihr seid ja alle
       als Polizisten verkleidet!“ Aus einem anderen Baum schallt Lachen herüber.
       Am Waldboden sammeln sich Spezialeinheiten der Polizei, Höhenkletterer,
       Beweis- und Festnahmeeinheiten, insgesamt hundert Beamt*innen. Es ist 8.30
       Uhr und seit knapp anderthalb Stunden hell, noch hängt der Nebel der Nacht
       über den Feldern.
       
       Am nördlichen Rand des Dannenröder Waldes haben sich zwölf Menschen auf
       über hundert Metern verteilt in Bäumen befestigt. In der Dunkelheit sind
       sie hergekommen, um wieder neu zu besetzen, was am Dienstag geräumt wurde.
       
       Vor 24 Stunden hat das begonnen, worauf sich beide Seiten monatelang
       vorbereitet haben: Die Polizei hat angefangen, den Dannenröder Wald, das
       momentane Epizentrum der Klimabewegung, zu räumen. „Tag X ist da, kommt
       alle in den Wald“, riefen die Aktivist*innen am Dienstagmorgen in den
       sozialen Netzwerken auf. Schon am Mittag fiel das erste Baumhaus im
       Baumhausdorf „Drüben“, am nördlichen Waldstück nahe der Ortschaft
       Niederklein.
       
       Die Polizei räumte am ersten Tag dieses nun begonnenen Marathoneinsatzes
       ein Baumhaus, zwei Barrikaden und einen Tripod. An der gleichen Stelle
       stehen heute zwei neue Barrikaden und zwei neue Tripods. So läuft es jeden
       Tag, so lief es auch schon im Herrenwald, durch den sich mittlerweile eine
       auf Satellitenbildern gut zu erkennende Schneise zieht.
       
       ## Alice schmiert sich Sekundenkleber auf die Fingerkuppen
       
       Gegen 9.30 Uhr rückt die Polizei mit einer Hebebühne an, Klettereinheiten
       holen die Aktivist*innen nach und nach aus den Bäumen. Ein Harvester reißt
       im Auftrag der Autobahnfirma Deges Bäume und Hütten ab. Am nächsten Morgen
       wird sich das Spiel wiederholen, die Polizei kalkuliert es ein. Ein
       Sprecher bezeichnet den Einsatz am Mittwochvormittag als Erfolg – die
       Erwartungen, dass irgendwas schnell geht, sind offenbar gering. Für beide
       Seiten ein zäher Prozess, und er wird viele Wochen dauern.
       
       In einer Netzhängematte, etwa sieben Meter über dem Waldboden, schmiert
       sich Alice Sekundenkleber auf die Fingerkuppen. Neben ihm in einer blauen
       Stoffhängematte liegt Luna – beide heißen eigentlich anders, aber hier im
       Wald sprechen sich alle mit Fantasienamen an, auch wenn niemand zuhört.
       Viele wissen gar nicht voneinander, wie sie heißen, wo sie herkommen und
       was sie im Leben außerhalb des Waldes machen. Auch Zuschreibungen von
       männlich und weiblich vermeiden sie, sprechen sich stattdessen als „Mensch“
       an. „Wir sind entspannt und gut vorbereitet“, sagt Luna. Seit drei Uhr
       seien sie vor Ort, es habe etwas gedauert, die Stelle auszuwählen, die
       Seile zu spannen und die Hängematten sicher zu befestigen. Es gehe ihnen
       sehr gut.
       
       Fingerkuppen abzukleben, mit Nagellack zu bemalen oder gar mit einer
       Rasierklinge Hautschichten abzutragen, ist im Wald gängige Praxis. Es soll
       der Polizei erschweren, die Identitäten der Aktivist*innen festzustellen.
       Die Gangart des Vorgehens zwischen Staatsmacht und Besetzerszene hat sich
       in den letzten Wochen verschärft. Bis vor Kurzem brachten die
       Polizist*innen die aus dem Wald Geräumten lediglich in einen
       abgesperrten Bereich, erteilten Platzverweise und ließen sie auch ohne
       Personalienfeststellung gehen. Mittlerweile bringen sie die Aktivist*innen
       in Gefangenensammelstellen. Wer auch dort standhaft bleibt, gibt der
       Polizei trotzdem nur Angaben wie die Körpergröße, Gewicht, Augenfarbe, aber
       keine Namen und Fingerabdrücke.
       
       Ein paar Dinge haben sich geändert, seit die Polizei in den Dannenröder
       Wald vorgerückt ist. Flutscheinwerfer beleuchten jetzt nachts einen Acker,
       auf dem die Polizei ihr Logistikzentrum aufbaut. Es ist nur zwei Felder vom
       Hauptcamp des Widerstands entfernt, am südlichen Waldeingang, wo die
       Aktivist*innen ihren zentralen Anlauf- und Koordinierungspunkt
       eingerichtet haben. Von hier aus wird die Polizei wohl den erwarteten
       Großangriff starten, auf dem Acker sollen Maschinen dafür parken und
       Materialien lagern, Catering und Dixi-Klos für die Beamt*innen aufgebaut
       werden. Vermutlich wird sie den Wald dann von zwei Seiten stürmen.
       
       ## Bis die Polizei vordringt, wird es Wochen dauern
       
       „Natürlich sind wir gestresst, wir werden bald unsere Häuser verlieren“,
       sagt eine Aktivistin, die sich „Alles“ nennt. Sie steht in einem Baumhaus
       in sieben Meter Höhe im Barrio „Nirgendwo“, etwa zwanzig Minuten Fußweg vom
       Baumhaus „Drüben“ kommend, immer den Barrikaden nach. Zehn Personen chillen
       auf der 35 Quadratmeter großen Fläche, teils vermummt, teils mit schwarz
       angemalten Gesichtern. Eine kocht Kaffee, eine putzt Zähne, eine jongliert
       mit Kegeln.
       
       „Es ist hektischer geworden“, sagt ein Aktivist, der sich „Du Da“ nennt.
       Man müsse jetzt mehr aufpassen, dürfe nichts am Boden herumliegen lassen,
       weil die Polizist*innen es sonst klauen könnten, aus Sicherheitsgründen
       schlafe auch niemand mehr am Boden.
       
       Bis die Polizei zum „Nirgendwo“ vordringt, wird es noch mehrere Tage, wenn
       nicht sogar Wochen dauern. 13 gut ausgebaute Barrios mit je rund 10
       Baumhäusern liegen entlang der zu rodenden Trasse. Die Beamt*innen
       können sich nur von beiden Enden heranarbeiten. Rund 400 Barrikaden werden
       sie aus dem Weg räumen müssen.
       
       „Klar hat man Angst“, sagt „Du Da“. Auch davor, in den Knast zu müssen wie
       sieben ihrer Gefährt*innen, die seit einer Abseil-Aktion an einer
       Autobahnbrücke in Untersuchungshaft sind. „Kein Tag, den du mit Cops
       verbringen musst, ist ein schöner Tag“, wirft „Alles“ ein. Sie schnürt ihre
       Wanderschuhe fest: „Aber ich glaube, die meisten Leute hier wissen ziemlich
       genau, was sie tun.“
       
       11 Nov 2020
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Katharina Schipkowski
       
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