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       # taz.de -- Porträt über die Biontech-Chefs: Das Forscherpaar
       
       > Die Eheleute Şahin und Türeci sind die Gründer von Biontech, das den
       > Corona-Impfstoff produziert. Sie gehören jetzt schon zu den reichsten
       > Deutschen.
       
   IMG Bild: Dreamteam: Özlem Türeci (l.) und Uğur Şahin (r.) retten (vielleicht) die Welt!
       
       Von Iskenderun am östlichsten Ausläufer des Mittelmeers nach Mainz am
       nördlichen Rand der rheinhessischen Weinregion: Eigentlich sollte die
       Herkunft von Uğur Şahin gleichgültig sein, schließlich geht es hier vor
       allem um medizinische Forschung und ihre Anwendung. Doch wenn ein
       Einwanderer aus der Türkei in Deutschland ausgerechnet das Unternehmen
       gründet, das den weltweiten Kampf gegen Corona anführt, ist das auch
       politisch.
       
       Şahin und seine Frau Özlem Türeci sind die Gründer und Chefs von Biontech.
       Spätestens im Januar will das Unternehmen einen hochwirksamen Impfstoff
       gegen Sars-CoV-2 auf den Markt bringen.
       
       [1][Der Marktwert von Biontech] liegt seit den jüngsten Erfolgsmeldungen
       bei 21 Milliarden Euro. Das entspricht dem Wert des Nivea-Konzerns
       Beiersdorf und liegt deutlich über dem des etablierten Pharmaunternehmens
       Fresenius. [2][Dabei hat Biontech bisher noch keinen Gewinn gemacht.]
       
       Der Corona-Impfstoff ist das erste massentaugliche Produkt des
       Unternehmens. Er ist das Ergebnis eines festen Glaubens der Gründer an die
       Anwendbarkeit der Erkenntnisse aus der Grundlagenforschung. Denn beide
       Ehepartner sind in erster Linie Wissenschaftler und erst in zweiter Linie
       Unternehmer.
       
       ## Corona statt Krebs
       
       Türeci und Şahin haben sich 2001 das erste Mal zusammen aus der Welt der
       Uni-Labore herausgetraut, um ein Unternehmen zu gründen: Ganymed
       Pharmaceuticals, das sie 2016 gewinnbringend an die Japaner verkauft haben.
       Ab 2008 haben sie parallel Biontech betrieben. Der Zweck der Firma ist die
       Anwendung von Boten-Ribonukleinsäure (mRNA) zur Therapie und Verbeugung
       zahlreicher Krankheiten.
       
       Die mRNA speichert Baupläne für Moleküle. Damit lassen sich auch Heilmittel
       und Impfstoffe beschreiben. Die Lesemaschine für diese Baupläne befindet
       sich in den Körperzellen. Medikamente von Biontech enthalten also nicht den
       eigentlichen Wirkstoff, sondern nur seine Blaupause. Erst die Zellen des
       Patienten stellen die Zielsubstanz her.
       
       Der Trick – und das besondere Können von Biontech – besteht darin, die mRNA
       so zu verpacken, dass sie auch in der Zelle ankommt. Türeci und Şahin
       hatten ursprünglich erwartet, dass die erste Praxisanwendung eine
       maßgeschneiderte Krebstherapie sein würde. Jetzt ist es die Corona-Impfung.
       
       Die 53-jährige Türeci wurde als Tochter eines türkischen Arztes in
       Niedersachsen geboren. Şahin, 55, ist im Alter von vier Jahren mit seiner
       Familie nach Nordrhein-Westfalen gekommen: In den sechziger Jahren hat die
       deutsche Industrie Arbeiter aus der Türkei angeworben, und einer davon war
       sein Vater, der bei Ford in Köln arbeitete.
       
       ## Das Amazon der Biotechbranche
       
       Dort studierte Şahin nach dem Abi Medizin. Er blieb in der Forschung. Ende
       der neunziger Jahre wechselte er an die Uniklinik des Saarlandes in
       Homburg, wo er und Türeci sich kennenlernten. Sie hatte in Homburg Medizin
       studiert und interessierte sich ebenfalls für die Krebsforschung. Beide
       wechselten später nach Mainz, wo sie an gentechnischer Tumortherapie
       arbeiteten.
       
       Dem international eingestellten Forscherpaar fiel schnell auf, dass es in
       Deutschland ein Missverhältnis zwischen Wissenschaft und Anwendung gab. An
       den Unis sammelten sich Erkenntnisse auf weltweitem Spitzenniveau an. Die
       Firmen, die mit den Ideen dann Geld verdienen, sitzen dagegen meist in den
       USA oder in Asien. Die Idee zur eigenen Firmengründung reifte heran.
       
       Die Mischung aus global konkurrenzfähiger Forschung und Unternehmergeist
       zahlte sich letztlich aus, wie die Erfolge von Biontech zeigen. Bis dahin
       war der Weg aber mühsam. Es galt, Geldgeber für die aufwändige Entwicklung
       der Arzneimittel anzuwerben – und das ist traditionell in den USA einfacher
       als in Deutschland, wo die Kultur der Risikofinanzierung weniger ausgeprägt
       ist.
       
       Wichtiger Investor wurde der Pharmaunternehmer Thomas Strüngmann, einer der
       Gründer des Arzneimittelherstellers Hexal. „Biontech könnte zum Amazon der
       Biotech-Branche werden“, sagte Strüngmann Anfang vergangenen Jahres dem
       Magazin Wirtschaftswoche. Er meint damit, dass die Breite der möglichen
       Anwendungen der Techniken so groß ist, dass es einmal eine zentrale
       Stellung in der Medizin einnehmen kann.
       
       ## In Lichtgeschwindigkeit
       
       Şahin horchte Anfang des Jahres bereits auf, als er vom Auftreten eines
       gefährlichen Erregers in China hörte. Er trommelte seine Forscher zusammen
       und begann sofort mit der Arbeit an einem Impfstoff, Projektname:
       „Lichtgeschwindigkeit“.
       
       Tatsächlich liegt Biontech jetzt vorn, weil erste Tests von
       Wirkstoffkandidaten schon im April begonnen haben. Mit dem US-Pharmariesen
       Pfizer und der chinesischen Fosun-Gruppe holte Biontech organisatorisch und
       finanziell starke Partner für Erprobung und Vermarktung hinzu.
       
       Die Identität als Wissenschaftler zeigen Türeci und Şahin auch beim
       Management ihrer Firma. Sie investieren lieber jeden Cent in die
       Entwicklung, statt ihr Unternehmen für die Börse besonders aufzuhübschen.
       Die Kurssteigerungen kamen nun von ganz allein, weil Projekt
       Lichtgeschwindigkeit so glatt lief. Das Forscherpaar mit den türkischen
       Wurzeln gehört nun zu den reichsten Deutschen.
       
       10 Nov 2020
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.manager-magazin.de/unternehmen/tech/biontech-sammelt-512-millionen-dollar-fuer-neuen-impfstoff-ein-a-160ca226-e7d1-4e58-8394-2af65d250e6b
   DIR [2] https://www.dw.com/de/biontech-macht-keine-gewinne-noch-nicht/a-55554293
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Finn Mayer-Kuckuk
       
       ## TAGS
       
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