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       # taz.de -- Künftige Vizepräsidentin Kamala Harris: Vorbild mit Haken
       
       > Zum ersten Mal wird eine Frau Vizepräsidentin in den USA. Doch Kamala
       > Harris steht auch für eine Leistungsideologie, die viele Menschen
       > ausschließt.
       
   IMG Bild: PoC, aber Symbol der Leistungsgesellschaft: Kamala Harris
       
       Ohne Zweifel: Der Einzug von Kamala Harris [1][als Vizepräsidentin ins
       Weiße Haus] neben Präsident Joe Biden ist ein doppelter Meilenstein. Sie
       ist die erste Frau in einem dieser beiden Ämter überhaupt – und die erste
       nichtweiße Person, die das zweitwichtigste Amt der USA besetzt. Die Wahl
       hat eine Signalwirkung für alle, die seit Jahrhunderten in den oberen
       Etagen der Politik unterrepräsentiert sind.
       
       Bemerkenswert ist, dass die Ernennung von Kamala Harris zur Running Mate im
       Sommer eigentlich nicht mehr überraschend kam. Vor wenigen Jahren wäre das
       noch anders gewesen: Als Barack Obama 2008 kandidierte, ging er auf die
       vermeintliche Nummer sicher und präsentierte einen Mann neben sich, der
       wohl die konservativen Wähler im Land nicht verschrecken sollte: Joe Biden.
       
       Es gibt allerdings einen Haken an der Wahl von Kamala Harris. Abgesehen von
       der wuchtigen und wichtigen Symbolik wird ihr Einzug in das Weiße Haus
       allein das Leben einer alleinerziehenden schwarzen Mutter aus Minneapolis,
       die bei Wendy’s arbeitet und noch einen zweiten Job hat, um über die Runden
       zu kommen, nicht verbessern.
       
       Im Gegenteil dürfte Kamala Harris mit ihrem auf Selbstoptimierung
       getrimmten Habitus und ihrer auf persönlichen Ehrgeiz fixierten
       Programmatik – „Dream with ambition!“ appellierte sie in [2][ihrer
       Siegesrede am Samstag] an junge Frauen – bei den Unterprivilegierten das
       Gefühl auslösen, dass der Wille zum Aufstieg sowieso zwecklos sei: weil sie
       nicht die nötige elaborierte Sprache sprechen, weil sie nicht in die
       „richtige“ Familie hineingeboren wurden (was bei Harris als Tochter eines
       Professors und einer Forscherin der Fall ist), weil ihnen die Ideologie des
       Leistungsdenkens und der ständigen Selbstoptimierung fremd ist, sie
       vielmehr unter Stress setzt.
       
       ## Joggen als ausgesuchtes Symbol
       
       Es war von ausgesuchter Symbolik, dass sich Kamala Harris nach der
       Siegesmeldung ausgerechnet [3][nach dem Joggen filmen ließ] („We did it
       Joe!“). Joggen ist in den USA vorzugsweise der Sport der effizienten
       Leistungsmenschen aus Kalifornien oder New York City.
       
       Als Generalstaatsanwältin von Kalifornien und Bezirksstaatsanwältin von San
       Francisco verfocht sie eine harte Linie bei der Verfolgung kleiner
       Vergehen. Eltern von notorischen Schulschwänzern – überproportional
       Schwarze – machte sie mit strafrechtlichen Drohungen Druck. Kamala Harris
       hat die Chance, als progressive Vizepräsidentin und Antreiberin des
       Präsidenten in die Geschichte einzugehen.
       
       Dafür ist aber eine Agenda nötig, die die strukturellen Ursachen der
       fatalen Ungleichheit im Land tatsächlich angeht und nicht nur den
       uramerikanischen, aber längst unrealistischen Traum, dass es jeder schaffen
       könne, der sich an die Regeln hält, nacherzählt.
       
       8 Nov 2020
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Erste-schwarze-US-Vizepraesidentin-Harris/!5724220
   DIR [2] https://www.youtube.com/watch?v=Xt8VvrdxzHo
   DIR [3] https://www.youtube.com/watch?v=H3lpFE19T78
       
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   DIR Gunnar Hinck
       
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