URI: 
       # taz.de -- Hannover 96 holt zuhause nur Remis: Hinter den eigenen Idealen
       
       > Hannover 96 will mit jungem Team zurück in die Erste Liga. Die sportliche
       > Realität legt das nicht zwingend nahe, etwa beim 0:0 gegen Erzgebirge
       > Aue.
       
   IMG Bild: Viel Anstrengung, zu geringe Resultate: Hendrik Weydandt
       
       Hannover taz | Wie hätte sich dieses magere 0:0 wohl vor Tausenden, zum
       Teil pfeifenden Zuschauern angefühlt? Angesichts der Pandemie-Auflagen
       musste Hannover 96 am Samstag sein Heimspiel gegen Erzgebirge Aue ohne
       einen einzigen Zuschauer auf der Tribüne austragen. Entsprechend
       gespenstisch war die Atmosphäre in der riesigen Arena am Maschsee, die
       möglichst schnell wieder zur Bühne für Erstklassiges werden soll.
       
       „Wir sind mit unseren Torchancen kläglich umgegangen. Aber man darf auch
       nicht vergessen: Wir sind eine junge Mannschaft“, sagte Hannovers
       Cheftrainer Kenan Kocak. Er ist bei 96 für die Quadratur des Kreises
       zuständig – nämlich für das Vorhaben, mit einer stark veränderten
       Mannschaft die Rückkehr in die 1. Fußball-Bundesliga zu schaffen.
       
       Viele gewohnte und bekannte Namen waren in Hannover nicht mehr erwünscht.
       Von Torhüter Ron-Robert Zieler und Innenverteidiger Waldemar Anton über
       Mittelfeldspieler Edgar Prib bis hin zu Kapitän Marvin Bakalorz: Es war
       schon überraschend, wie grundlegend der Spielerkader eines chronisch
       unruhigen Vereins zuletzt verändert worden ist und wie viele etablierte
       Profis gehen mussten.
       
       Dabei war es eigentlich keine schlechte Idee, [1][sich nach turbulenten
       Jahren und zwei Abstiegen] grundlegend neu zu sortieren. Kocak ist seit
       mittlerweile einem Jahr im Amt. Er überzeugt als fleißiger und penibler
       Vordenker. Sein bisher größter Verdienst dürfte sein, dass er es lange Zeit
       geschafft hat, für Ruhe zu sorgen – in seinem Team, in den Medien [2][und
       bei Martin Kind, dem in Hannover alles entscheidenden Mäzen] und mehrfachen
       Geschäftsführer.
       
       ## Kein zwangsläufiger Aufstieg
       
       Der Blick auf die Tabelle lässt jedoch erahnen, dass es nicht mehr lange so
       ruhig bleiben kann. Zwar gehört Hannover 96 zu den heimstärksten
       Mannschaften der Liga. Daran kann auch das enttäuschende Remis gegen Aue
       nichts ändern. Dennoch stehen die Niedersachsen in der Gesamtabrechnung
       bisher nicht wie ein Verein da, der zwangsläufig für den Aufstieg infrage
       kommt.
       
       Kind hatte sich zuletzt nach längerem Schweigen mit der Forderung
       zurückgemeldet, dass die Partien gegen Aue und bei den Würzburger Kickers
       am 22. November unbedingt gewonnen werden müssen. Der ungeduldigen
       Mathematik des Martin Kind steht aber wie so häufig die sportliche Realität
       im Weg.
       
       „Es tut uns leid, dass wir der Forderung nicht gerecht geworden sind“,
       sagte Kocak am Samstag. Er sah sehr unglücklich aus, weil ihm klar sein
       dürfte, dass Kind mit ihm noch einmal genau nachrechnen möchte, wo Hannover
       96 eigentlich gerade steht.
       
       Im Grunde ist es fürchterlich ungerecht, von einer komplett umgekrempelten
       Mannschaft zu erwarten, dass sie nach dem Abstieg 2019 innerhalb kürzester
       Zeit für neue Heldentaten taugt. Kocak und Sportdirektor Gerhard Zuber
       haben sich für viele neue Spieler entschieden, die entweder mit
       überschaubaren Kosten verbunden sind oder die ein hohes
       Entwicklungspotenzial mit nach Hannover gebracht haben.
       
       Einen Routinier wie Mike Frantz (SC Freiburg), einen smarten Verteidiger
       wie den Schweden Niklas Hult (AEK Athen) oder den schnellen Außenspieler
       Kingsley Schindler (1. FC Köln) verpflichtet zu haben, war schlau. Hannover
       96 hat nicht, wie es Kocak formuliert, eine junge, sondern eine vor Kurzem
       neu zusammengestellte Mannschaft. Dass die sich erst finden und
       zusammenwachsen muss, ist normal. Ob Kind und das Umfeld die dafür nötige
       Geduld aufbringen, bleibt fraglich.
       
       ## Begrenzte Torgefahr
       
       Auffällig ist, dass im neuen 96-Team sehr viel Potenzial und begrenzte
       Torgefahr stecken. Gegen Aue durfte sich der vom heimischen Amateurspieler
       zum Profi aufgestiegene Hendrik Weydandt mit Marvin Ducksch als Sturmduo
       versuchen. Um es vorsichtig zu formulieren: Einer von beiden wird sich noch
       ein paar Tage lang vorhalten, das Unternehmen Wiederaufstieg torpediert zu
       haben.
       
       „Wir sind mit unseren Torchancen fahrlässig umgegangen“, sagte Kocak. Im
       Fall von Ducksch, der alleine vier bis fünf Tore hätte erzielen können,
       fiel die Vokabel „versemmelt“. Der Spieler hat unfreiwillig dazu
       beigetragen, dass sein Trainer gegenüber Kind in Erklärungsnot gerät. Im
       Grunde ist bei der Fußballfirma Hannover 96, deren Ego und Finanzen einen
       Wiederaufstieg unbedingt erforderlich machen, also doch alles wie immer.
       
       8 Nov 2020
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Hannover-96-nur-noch-zweitklassig/!5591380
   DIR [2] /Privatisierung-des-Fussballs/!5610816
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Christian Otto
       
       ## TAGS
       
   DIR Fußball
   DIR Hannover 96
   DIR 2. Bundesliga
   DIR Martin Kind
   DIR 50+1-Regel
   DIR Fußball-Bundesliga
   DIR Klaus-Michael Kühne
   DIR Neymar
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Machtverhältnisse bei Hannover 96: Tauziehen vor Gericht
       
       Fußball-Zweitligist Hannover 96 reibt sich chronisch an der Frage, wem der
       Verein eigentlich gehört – den Mitgliedern oder Geldgeber Martin Kind.
       
   DIR Bundesliga in Zeiten der Bayern-Dominanz: Der Trend geht zur Zweiten Liga
       
       HSV und Schalke machen vor: Es ist besser, Teil einer starken Liga zu sein,
       als immer gegen diesen einen übermächtigen Klub zu verlieren.
       
   DIR Geldnöte beim Hamburger SV: Mehr Macht für Kühne?
       
       Der HSV braucht Geld und überlegt daher, ein No-Go aufzuweichen: die
       24,9-Prozent-Regel, die verhindert, dass Aktionäre eine Sperrminorität
       erreichen.
       
   DIR Scheindebatte über Fußballer-Gehälter: Völlig verdient
       
       Im Zuge einer angeblichen coronabedingten Läuterung fordern
       Fußballfunktionäre Gehaltsobergrenzen für Profis. Dabei würde das nur wenig
       ändern.