URI: 
       # taz.de -- Untersuchung wegen Antisemitismus: Labour suspendiert Corbyn
       
       > Die britische Menschenrechtskommission wirft der Labour-Partei Duldung
       > von Antisemitismus vor. Corbyn bezeichnet dies als „übertrieben“ und
       > fliegt.
       
   IMG Bild: Jeremy Corbyn: von der britischen Labour-Opposition vorläufig aus der Partei ausgeschlossen
       
       London taz | Die britische Labour-Opposition hat ihren ehemaligen Führer
       Jeremy Corbyn vorläufig aus der Partei ausgeschlossen, nachdem er beleidigt
       auf einen mit Spannung erwarteten [1][Untersuchungsbericht der britischen
       Gleichberechtigungs- und-Menschenrechtskommission (EHRC) über
       Antisemitismus in der Labour-Partei] reagiert hatte.
       
       „Unser Gegner inner- und außerhalb der Partei ebenso wie von großen Teilen
       der Medien haben das Ausmaß des Problems aus politischen Gründen dramatisch
       übertrieben“, [2][so Corbyn am Donnerstag]. Sein Nachfolger [3][Keir
       Starmer] reagierte prompt und scharf: Wenn jemand die Vorwürfe gegen Labour
       für „übertrieben“ oder einen „Angriff“ hält, „bist du Teil des Problems und
       du solltest der Labour-Partei fernbleiben“.
       
       Ein Parteisprecher führte aus: „Unter Bezug auf seinen Kommentar und seine
       Weigerung, diesen zurückzunehmen, hat Labour Jeremy Corbyn aus der Partei
       suspendiert und die Fraktionsmitgliedschaft entzogen.“ Eine Untersuchung
       werde eingeleitet.
       
       So bricht nun mit Verspätung der [4][parteiinterne Krieg bei Labour] aus,
       den die Partei seit ihrer Wahlniederlage im Dezember 2019 und Starmers Wahl
       zum Vorsitzenden im vergangenen April bislang vermieden hatte. Mit der
       Maßnahme gegen Corbyn zeigt Labour unter Starmer das von der EHCR verlangte
       Durchgreifen.
       
       ## „Fehlende Bereitschaft, gegen Antisemitismus vorzugehen“
       
       Die Menschenrechtskommission, die rechtlich bindende Empfehlungen
       aufstellen darf, hatte 18 Monate lang eine Beschwerde der „Campaign against
       Antisemitism“ (CAA) gegen Labour wegen Drangsalierung und Diskriminierung
       untersucht. Drei Verstöße gegen die britischen Gleichberechtigungsgesetze
       werden im EHRC-Bericht spezifisch genannt.
       
       Labour mischte sich erstens politisch in Antisemitismusbeschwerden ein,
       versagte zweitens bei Antisemitismustraining und beteiligte sich drittens
       selbst an Drangsalierung und Entwürdigung von Juden und Jüdinnen. „Es
       schien an fehlender Bereitschaft zu liegen, gegen Antisemitismus
       vorzugehen, statt an fehlender Kompetenz“, heißt es im Bericht – trotz
       einer angeblichen Nulltoleranzpolitik.
       
       Trotz positiver Entwicklungen in der letzten Zeit müsse die neue
       Parteiführung unter Keir Starmer mehr tun, um ihre Glaubwürdigkeit
       gegenüber der jüdischen Gemeinschaft, der Öffentlichkeit und [5][vielen
       ihrer Parteimitglieder] wiederherzustellen. Hierzu setzt die Kommission
       Labour eine Frist bis zum 10. Dezember, um einen Plan vorzulegen.
       
       Unter 70 Fällen, welche die EHRC als Beispiele heraushob, konnte in 23
       Fällen direkte Einmischung aus dem Büro des Führungsstabs um Corbyn
       nachgewiesen werden, um Vorwürfe des Antisemitismus unter den Teppich zu
       kehren oder sie abzubügeln, nachdem sie Aufsehen erregt hatten.
       
       So habe die Parteiführung von einer „unberechtigten Klage“ gesprochen, als
       es darum ging, dass Jeremy Corbyn ein antisemitisches Graffiti gutgeheißen
       hatte, auf dem karikierte Juden mit Hakennasen Monopoly auf dem Rücken von
       Arbeitern spielten.
       
       ## Bei sexueller Belästigung wird besser reagiert
       
       [6][Mitglieder], die Beschwerden zu Antisemitismus in der Partei erhoben,
       wurden laut EHRC klar benachteiligt – ganz im Unterschied zum Umgang mit
       Beschwerden wegen sexueller Belästigung, welche der Bericht als direkten
       Vergleich heranzieht. Rechtliche Beratung, wie etwa bei sexueller
       Belästigung, wurden bei Antisemitismusbeschuldigungen nicht angewandt.
       
       Zum Teil wurde überhaupt nicht auf Klagen reagiert, selbst bei eindeutiger
       Sachlage. Der Beschwerdestelle fehlte zudem eine klare Arbeitsdefinition,
       wie sie vorzugehen und was sie zu beurteilen hatte, ebenso wie adäquates
       Training sowie ausreichendes und geschultes Personal. In 62 der
       obengenannten Fälle fehlten zudem signifikante Dokumente der Klage.
       
       Für Derek Spitz, einen der CAA-Anwälte, besteht einer der wichtigsten
       Aspekte des Berichts in der Feststellung, dass es widerrechtlich war,
       Menschen, welche [7][Antisemitismusvorwürfe] erhoben, als Lügner oder als
       Beteiligte an einem Komplott hinzustellen.
       
       Labourchef Keir Starmer nannte den EHRC-Bericht „umfassend, rigoros,
       tiefgehend und professionell“. Niemand habe für möglich gehalten, dass die
       EHRC, welche 2007 von einer Labour-Regierung in die Welt gesetzt wurde,
       einmal die Labour-Partei verurteilen würde.
       
       Es ist erst die zweite solche Verurteilung durch die
       Menschenrechtskommission überhaupt. Die erste, wegen Diskriminierung, galt
       der Londoner Polizei.
       
       29 Oct 2020
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.equalityhumanrights.com/sites/default/files/investigation-into-antisemitism-in-the-labour-party.pdf
   DIR [2] https://www.facebook.com/JeremyCorbynMP/posts/10158939532253872
   DIR [3] /Richtungswechsel-bei-der-Labour-Partei/!5673543/
   DIR [4] /Grossbritannien-und-die-Labour-Partei/!5695300/
   DIR [5] /Krise-in-Grossbritanniens-Arbeiterpartei/!5530014/
   DIR [6] /Antisemitismus-in-der-Labour-Partei/!5578949/
   DIR [7] /Labour-Partei-in-Grossbritannien/!5524919/
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Daniel Zylbersztajn
       
       ## TAGS
       
   DIR Großbritannien
   DIR Antisemitismus
   DIR Labour
   DIR Labour Party
   DIR Jeremy Corbyn
   DIR Keir Starmer
   DIR Großbritannien
   DIR Lesestück Recherche und Reportage
   DIR Wahlen in Großbritannien
   DIR Großbritannien
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Jeremy Corbyn in der Labourpartei: Erst draußen, dann wieder drin
       
       Ein parteiinterner Ausschuss hat den Ex-Vorsitzenden wieder aufgenommen. In
       die Parlamentsfraktion könne er aber nicht, so Labour-Chef Keir Starmer
       
   DIR Großbritannien und die Labour-Partei: Viel Arbeit für die Arbeiterpartei
       
       Der neue Labour-Chef Keir Starmer verspricht einen Neuanfang. Aber die
       schwersten Aufgaben kommen noch. Wie geht es weiter mit der britischen
       Linken?
       
   DIR Wahlkampf in Großbritannien: Labours Brennpunkt
       
       Die Labour-Partei versinkt in Antisemitismusvorwürfen. Im vergangenen
       Frühjahr trat Luciana Berger deswegen aus. Nun stellt sich sich selbst zur
       Wahl.
       
   DIR Labour-Parteitag in Großbritannien: Kampf um Herz und Seele der Partei
       
       Nach wie vor steht die britische Labour-Opposition im Schatten der
       Antisemitismus-Debatte. Manche jüdische Mitglieder haben bereits
       aufgegeben.