# taz.de -- Kriminalisierung eines Journalisten: Polizei kann nicht lesen
> Der Journalist Benjamin Bigger filmte eine Protestaktion am Lübecker
> Flughafen. Die Polizei hinderte ihn daran und lädt ihn nun als
> Verdächtigen vor.
IMG Bild: Eindeutig als Journalist erkenntlich: Benjamin Bigger bei der Protestaktion am Lübecker Flughafen
Lübeck/Hamburg taz | Benjamin Bigger begleitet als Videojournalist öfter
Protestaktionen von Klimaschützer*innen. Seine Rolle als unabhängiger
Beobachter kennt er gut. Eine Protestaktion von Extinction Rebellion (XR)
am Flughafen Lübeck, über die er berichten wollte, könnte für Bigger nun
aber Konsequenzen haben. Dabei steht die Frage im Raum, ob die Polizei die
Pressefreiheit eingeschränkt hat.
Es war noch dunkel am Morgen des 17. August, als in den Zelten ein Wecker
nach dem anderen zu klingeln begann. Reißverschlüsse wurden geöffnet,
verschlafene junge Leute stolperten zur Waschstelle des Protestcamps, das
Extinction Rebellion auf einer Kuhweide südlich von Lübeck aufgebaut hatte.
Zwei dutzend Aktivist*innen liefen im Gänsemarsch los.
Nur eine Straßenbreite entfernt lag das Ziel ihrer Aktion: Der Lübecker
Flughafen, von dem in wenigen Stunden ein Flieger nach München abheben
sollte. Die Klimaschützer*innen waren dagegen, dass der Regional-Airport an
diesem Tag nach vier Jahren wieder eröffnete. Ihr Motto: „Kurzstreckenflüge
nur für Insekten!“
Um kurz nach halb sechs wurden fünfzehn Aktivist*innen in Gewahrsam
genommen, die das Rollfeld blockiert hatten – und mit ihnen drei
Journalist*innen, die die Aktion mit drei Kameras dokumentierten [1][(taz
berichtete)]. Und das, obwohl sie als Pressevertreter*innen deutlich
gekennzeichnet waren. Bigger trug seine schwarze Weste mit der weißen
Aufschrift „Presse“. Die Journalist*innen hatten Presseausweise dabei und
sie wiesen die Polizist*innen darauf hin, dass sie nach dem Presserecht
nicht an ihrer Arbeit gehindert werden dürften (siehe Kasten).
Bigger musste trotzdem knapp sechs Stunden in Gewahrsam der Polizei
verbringen. Er verpasste seine Deadline für den Videobericht, den er für
Telenews Network, die Videosparte der Deutschen Presseagentur, machen
sollte.
Was noch schwerer für ihn wiegt: In einer Pressemitteilung erklärten die
XR-Aktivist*innen später, drei von ihnen hätten sich mit Sekundenkleber am
Rollfeld fixiert. Daraufhin sei „das Ablösen vom Betonboden mit
Kreditkarten und Öl“ erfolgt, was „teilweise für Schmerzen“ gesorgt habe.
Ein Rettungssanitäter habe einer von ihnen sogar gedroht, die Haut mit
einem „Skalpell unter Betäubung vom Boden loszuschneiden“. „Diese Vorwürfe
können wir jetzt nicht nachweisen“, sagt Bigger. Denn zu diesem Zeitpunkt
waren die Journalist*innen bereits von Einsatzkräften mitgenommen worden.
Bigger wandte sich nach dem Vorfall an den Deutschen Journalisten-Verband
(DJV), der sich beim schleswig-holsteinischen Innenministerium über die
Behandlung durch die Polizist*innen beschwerte. Das Ministerium
rechtfertigt die Arbeit der Staatsdiener*innen in einem Antwortschreiben,
das der taz vorliegt. „Die Anwesenheit von Pressevertretern war für die
Einsatzkräfte nicht erkennbar, vielmehr wurde das Filmen als
Solidaritätsaktion unter den Versammlungsteilnehmern wahrgenommen“, heißt
es darin.
Statt auf die geäußerte Kritik einzugehen, droht der Brief indirekt ein
juristisches Vorgehen gegen Bigger an: Es bestehe der Verdacht, Bigger habe
die Ordnungswidrigkeit des unerlaubten Aufenthalts im Sicherheitsbereich
des Flughafens sowie die Straftaten Hausfriedensbruch, Gefährdung des
Luftverkehrs, Sachbeschädigung und Nötigung begangen. „Besonders die
letzten beiden sind absurd“, sagt Bigger. „Wir werden mit den
Aktivist*innen gleichgesetzt.“ Er fordert, „dass das Innenministerium sich
mit der Rolle der Pressevertreter hier auseinander setzt“.
Kurz nach der Antwort des Innenministeriums bekamen Bigger und eine der
anderen beiden Journalistinnen, die von der Flughafen-Aktion berichtet
hatten, einen weiteren Brief: eine polizeiliche Vorladung. Zu dem Termin
erschien Bigger auf Anraten seines Anwaltes nicht. „Meine Videoaufnahmen
und Fotos, die zum Teil auch veröffentlicht sind, widerlegen die Vorwürfe
ja schon“, sagt er.
Ob ein Verfahren gegen die Journalsit*innen eingeleitet wurde, ist bislang
nicht klar. Die Lübecker Polizei und Staatsanwaltschaft konnten auf Anfrage
der taz kurzfristig keine Stellung zu den Vorfällen beziehen.
Für Stefan Endter, Rechtsanwalt und Geschäftsführer des DJV in Hamburg, ist
das, was Bigger und seinen Kolleginnen widerfahren ist, nicht hinnehmbar.
„Die Verantwortlichen müssen zur Einsicht kommen, dass das nicht geht“,
sagt er. „Journalisten dürfen nicht in ihrer Arbeit behindert werden – die
Pressefreiheit genießt grundrechtlichen Schutz.“ Das Verhalten der
Einsatzkräfte sei eine deutliche Grenzüberschreitung gewesen. „Ein
ähnlicher Fall ist mir in Norddeutschland nicht bekannt“, sagt Endter.
16 Nov 2020
## LINKS
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## AUTOREN
DIR Friederike Grabitz
DIR Sarah Zaheer
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