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       # taz.de -- Konservative in Großbritannien: Zerreißprobe wegen Corona
       
       > In Großbritannien sind die Konservativen uneins über die Coronastrategie.
       > Premier Johnson stellt sich gegen den lockdownskeptischen rechten Flügel.
       
   IMG Bild: Lange verschobene Rede: Boris Johnson am 31. Oktober
       
       London taz | Es bedurfte eines ernsten Wortes, um den britischen Premier
       Boris Johnson am Samstag zu bewegen, endlich anzufangen. Zwei Stunden
       wartete die BBC auf den Beginn seiner Live-Ansprache und verschob ihre
       Programme. Als der Sender sagte, er könne nicht auch noch den TV-Renner
       „Strictly Come Dancing“ opfern, begann schließlich die Rede. Mit ernster
       Miene sagte Johnson, man könne nichts gegen die Natur machen. Deshalb gelte
       in ganz England ab Donnerstag, 5. November, ein neuer Coronalockdown bis
       zum 3. Dezember.
       
       Bereits am 21. September hatte der wissenschaftliche Krisenstab SAGE der
       Regierung einen kurzen Lockdown empfohlen. Die Regierung versuchte
       zunächst, dies durch eine Beschränkung von Treffen aller Art auf
       [1][maximal sechs Personen] zu vermeiden. Einige Wochen später folgte ein
       Drei-Stufen-System mit verschieden schweren Auflagen je nach
       Infektionslage.
       
       Dennoch wird die Infektionsrate in wenigen Wochen laut SAGE höher sein als
       in den pessimistischsten Prognosen geschätzt.
       
       Am stärksten getroffen sind demnach der Nordwesten und Nordosten Englands –
       genau die verarmten und ausgelaugten ehemaligen Industrieregionen, die
       Johnsons Konservative bei den Wahlen 2019 Labour abgenommen hatten mit dem
       Versprechen, sie wiederaufzubauen. Doch dass dort zuletzt die schärfsten
       -LCorona-Einschränkungen galten, während es im reichen Süden lockerer
       zuging, stieß auf Unverständnis sogar innerhalb der Tory-Fraktion im
       Parlament.
       
       Der neugebildete fraktionsinterne Arbeitskreis „Northern Research Group“,
       dem an die 50 Abgeordnete aus dem Norden angehören, stellte sich an die
       Spitze dieser Kritik. Der landesweite Lockdown nimmt ihnen nun das
       Argument, die Londoner Regierung würde den Norden härter rannehmen.
       
       Im Frühjahr wurde die besonders heftige Ausbreitung des Coronavirus in
       Großbritannien mit dem Zögern Johnsons, einen Lockdown einzuführen, in
       Verbindung gebracht. Noch einmal will der Premierminister diesen Fehler
       nicht machen. Auch jetzt habe der Premier viel zu lange gezögert, behauptet
       zwar Labour-Oppositionsführer [2][Keir Starmer]. Doch innerhalb der
       Konservativen ist die Kritik an harten Maßnahmen, die die Wirtschaft
       abschnüren, heute viel lauter als im Frühjahr.
       
       ## Rishi Sunak und Nigel Farage sind dagegen
       
       „Teuflisch“ nennt die neuen Maßnahmen Graham Brady, Chef der Hinterbänkler
       in der konservativen Fraktion. Und selbst Johnsons Kabinett scheint
       gespalten. Indiz ist, dass die neuen Maßnahmen bereits am Samstag verkündet
       wurden statt am Montag, wie vorgesehen: Ein Leak gelangte am Freitagabend
       an die Times, und daraufhin konnte die Regierung nicht mehr warten.
       Verdächtigt wird Gesundheitsminister Matt Hancock, der damit sicherstellen
       wolle, dass Johnson keinen Rückzieher mache.
       
       Prominentester Gegener von Lockdowns ist Finanzminister [3][Rishi Sunak],
       beliebtester Politiker der britischen Regierung. Obendrein trompetet seit
       neuestem Brexit-Wortführer [4][Nigel Farage] gegen den Coronalockdown. Die
       Krankheit sei „nur für eine winzige Minderheit sehr gefährlich“, während
       die Maßnahmen schweren Schaden anrichteten, schrieb Farage am Montag im
       Daily Telegraph.
       
       Auch in der Geschäftswelt gibt es Kritik. Carolyn Fairbairn, Vorsitzende
       des Unternehmerverbandes CBI, forderte am Montag, die Regierung müsse die
       Wirtschaft so offen halten wie möglich.
       
       2 Nov 2020
       
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