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       # taz.de -- Streit um Mühlendammbrücke: Kein Vergleich mit der Rialtobrücke
       
       > Pläne, die marode Brücke im Schnellverfahren durch einen Neubau zu
       > ersetzen, erhitzt die Gemüter. Denn die Neue soll nur wenig schmaler
       > ausfallen.
       
   IMG Bild: Ein Foto der Mühlendammbrücke mal vom Wasser aus – und aus Vor-Corona-Zeiten
       
       Hand aufs Herz, liebe LeserInnen: Wie viele von Ihnen wissen auf Anhieb,
       wie die Mühlendammbrücke aussieht? Nicht so viele? Kein Wunder: Die
       Spreeüberquerung in Mitte glänzt durch Funktionalität und
       Nichtwahrnehmbarkeit. Dabei befindet sich rund um die Brücke die Keimzelle
       der heutigen Stadt – sie war die mittelalterliche Verbindung zwischen
       Molkenmarkt (Berlin) und Fischmarkt (Cölln). Viel ist davon nicht übrig:
       Nach den Zerstörungen des Kriegs setzte die Hauptstadt der DDR auf eine
       breite Autoschneise und viel Beton.
       
       Bei aller Liebe zur Geschichte und zum genius loci: Die Mühlendammbrücke in
       einem Atemzug mit der Rialtobrücke oder dem Pont Neuf zu erwähnen, wie es
       etwa der Verein Berliner Historische Mitte tut, ist etwas verwegen. Was
       andererseits nicht heißt, dass es falsch wäre, sie aus der erstickenden
       Umarmung durch den Autoverkehr zu lösen.
       
       Das bewegt viele Bürgerinitiativen und Vereine, aber auch Ephraim Gothe
       (SPD), Bezirksstadtrat für Stadtentwicklung in Mitte. Sie rieben sich in
       den letzten Monaten heftig an der Entscheidung der
       Senatsverkehrsverwaltung, die marode Brücke im Schnellverfahren durch einen
       Neubau zu ersetzen, der nur wenig schmaler ausfällt und dem motorisierten
       Verkehr weiter eine Menge Platz lässt, zwei Spuren pro Richtung.
       
       Besonders fuchsig machte die KritikerInnen, dass es keine echte
       Bürgerbeteiligung gab. Insofern war es ein Feuerwehreinsatz der grünen
       Verkehrsverwaltung am vergangenen Montag, noch vor Auslobung des
       Realisierungswettbewerbs, [1][eine virtuelle „Bürgerveranstaltung“]
       auszurichten: ein Kunstname, der suggerierte, dass es nicht nur um
       Information, sondern irgendwie auch um Mitsprache ging.
       
       ## „Nehm ich’s Auto oder die Tram?“
       
       Das ist aber – rein formal und praktisch – nicht der Fall. Denn die
       Senatsverwaltung will unbedingt ein neues Planfeststellungsverfahren
       vermeiden, in dessen Rahmen eine reguläre Beteiligung stattfände.
       Begründung: Die Brücke ist im Kern so kaputt wie [2][die Treptower
       Elsenbrücke], die nach Auftreten von Rissen über Nacht (teil-)gesperrt
       werden musste. Ein solches Fiasko will man im Haus Regine Günther nicht
       riskieren. Also baut man nach bestehender Planfeststellung: breit.
       
       Womit die Diskussion im Grunde zu Ende ist, bevor sie angefangen hat. Aber
       was ist eigentlich von den Argumenten der GegnerInnen zu halten, die Brücke
       müsse möglichst schmal werden, weil der Autoverkehr keine Zukunft habe und
       auch nicht haben dürfe?
       
       Ein bisschen skeptisch macht dieses „schmal is beautiful“ schon. Erstens,
       weil es zwar stimmt, dass die künftig über die Brücke rollende Straßenbahn
       so viele Menschen befördern kann wie zigtausende Autos – aber das auch eine
       abstrakte Rechnung ist, die nicht berücksichtigt, dass sich individuelle
       Mobilitätsstrategien („Nehm ich’s Auto oder die Tram?“) so schnell dann
       doch nicht ändern.
       
       Zweitens, und das ist erheblicher: Raum ist in der dichter werdenden Stadt
       ein Wert, den man nicht verschenken sollte. Dass dieser Raum sich mit Autos
       füllen muss, steht nirgends geschrieben. Je weiter die Verkehrswende
       fortschreitet – und angesichts veränderter Angebote und Gewohnheiten
       fortschreiten kann –, desto weniger Platz braucht es auf der
       Mühlendammbrücke für Pkws und Lkws. Ob dieser sich für Busse, Fahrräder
       oder FlaneurInnen öffnet, wird in künftigen Legislaturen – und somit an der
       Wahlurne – entschieden.
       
       14 Nov 2020
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] http://xn--eine%20virtuelle%20Brgerveranstaltung-6pd1100zrba
   DIR [2] /Protestrave-an-der-Elsenbruecke/!5595029&s=Elsenbr%C3%BCcke/
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Claudius Prößer
       
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