URI: 
       # taz.de -- Virologe Streeck im Interview: „Ich bin ein Impf-Fan“
       
       > Wie sicher wird der Impfstoff? Und was muss passieren, solange es ihn
       > noch nicht gibt? Virologe Hendrik Streeck über den Umgang mit der
       > Coronakrise.
       
   IMG Bild: „Dass der Impfstoff bald zugelassen wird, wäre mein Weihnachtswunsch“, sagt Streeck
       
       taz am wochenende: Herr Streeck, Biontech und Pfizer haben diese Woche
       einen [1][Durchbruch bei der Suche nach einem Corona-Impfstoff] gemeldet.
       Ist damit ein baldiges Ende der Pandemie in Sicht? 
       
       Hendrik Streeck: Das ist zumindest Anlass zu vorsichtigem Optimismus. Es
       hat sich gezeigt, dass ein neuartiger Impfstoff, basierend auf
       RNA-Technologie, funktionieren kann – damit haben viele Experten nicht
       gerechnet. Aber mehr kann ich dazu noch nicht sagen, denn die Details sind
       nicht bekannt.
       
       Was fehlt Ihnen? 
       
       Wir wissen bisher nur, dass es in der Gruppe, die den Impfstoff erhalten
       hat, 90 Prozent weniger Infektionen mit Symptomen gab als in der Gruppe,
       die ein Placebo bekam. Wir wissen aber noch nicht, ob es auch insgesamt
       weniger Infektionen gab oder ob nur die Symptome heruntergesetzt waren. Und
       wir wissen nicht, ob es bei allen Altersgruppen gleichermaßen gewirkt hat.
       
       Glauben Sie, dass der Impfstoff schon bald zugelassen werden kann? 
       
       Es wäre mein Weihnachtswunsch. Aber es gibt keine Daten, auf deren
       Grundlage ich das einschätzen kann.
       
       Sie sagten kürzlich, dass es einen Impfstoff vielleicht erst in zehn Jahren
       geben wird. Waren Sie da zu pessimistisch? 
       
       Ich glaube, dass ich Realist bin. Die Impfstoffforschung ist immer von
       Unsicherheiten geprägt. Ich habe gesagt, es kann schnell gehen, es kann
       aber auch zehn Jahre dauern – wir wissen es einfach nicht. Ich kenne das
       aus anderen Impfbereichen: Es kann böse Überraschungen geben, etwa dass
       sich Menschen trotz einer Impfstoffinjektion infizieren und sich bei ihnen
       ein schwerer Verlauf entwickelt, eine sogenannte antikörperverstärkende
       Erkrankung. Und bei vielen anderen Krankheiten ist es bisher nicht
       gelungen, einen Impfstoff zu entwickeln, etwa bei MERS, Dengue, Hepatitis C
       oder HIV.
       
       Beim Biontech-Impfstoff werden genetische Informationen in den Körper
       injiziert. Das ist ein völlig neues Verfahren, das vielen Menschen Angst
       machen könnte. 
       
       Das ist aber keine genetische Veränderung. Wer sich noch an den
       Biounterricht erinnert, weiß vielleicht: Von der DNA wird mRNA gebildet,
       und daraus werden dann Proteine gebaut. Nun wird diese mRNA injiziert, mit
       der die Zelle Proteine herstellen kann. Der Zelle wird quasi das Kochrezept
       für ein paar Virusproteine gegeben. Diese Proteine werden vom Körper
       erkannt, der dann Antikörper dagegen bildet.
       
       Ein Gesundheitsrisiko sehen Sie nicht? 
       
       Mit RNA-Impfstoffen gibt es wenig Erfahrung. Aber das Verfahren, dass
       menschliche Zellen benutzt werden, um Bestandteile von Viren oder
       Impfstoffen zu bilden, gibt es schon bei sogenannten Vektor-Impfstoffen,
       etwa gegen Ebola. Das ist ein gängiges Verfahren. Und es hat den Vorteil,
       dass die Proteine nicht aufwendig im Labor produziert werden müssen.
       
       Würden Sie sich, sobald der [2][Corona-Impfstoff] vorliegt, selbst impfen
       lassen? 
       
       Das hängt von der Verfügbarkeit ab. Ich gehöre weder zu einer Risikogruppe,
       noch bin ich in einem Bereich unterwegs, wo ich unbedingt sofort geimpft
       werden müsste. Aber generell bin ich ein Impf-Fan – es gibt nichts, wogegen
       ich nicht geimpft bin, gegen das man sich impfen lassen kann.
       
       Noch ist der Impfstoff nicht da, die Pandemie muss also anders bekämpft
       werden. Den sogenannten Lockdown light, also die neuen
       Kontaktbeschränkungen und die Schließung von Gastronomie und
       Freizeiteinrichtungen, auf den sich Bund und Länder vor zwei Wochen
       geeinigt haben, halten Sie aber für unnötig. Warum? 
       
       Ich halte den Lockdown nicht für unnötig, das habe ich auch nicht gesagt.
       
       Das war doch die Kernaussage [3][des Papiers], das sie mit der
       Kassenärztlichen Bundesvereinigung und Ihrem Kollegen Jonas
       Schmidt-Chanasit vorgestellt haben: keine Verbote, sondern besserer Schutz
       von Risikogruppen. 
       
       Aus meiner Sicht ging und geht es vor allem darum, nicht von einem Lockdown
       in den nächsten zu gehen, sondern endlich eine Langfriststrategie zu
       entwickeln.
       
       Wie sollte die Ihrer Meinung nach aussehen? 
       
       Im Moment passiert das, was man eigentlich verhindern will: Das Virus
       diffundiert durch die Gesellschaft einschließlich der Risikogruppen. Wir
       sollten uns daher darauf konzentrieren, diese zu schützen. Das geht dort
       relativ leicht, wo Risikogruppen insbesondere leben, etwa in Alten- und
       Pflegeheimen oder in Krankenhäusern. Dort kann man Testschleusen für
       Besucher einrichten und das gesamte Personal zweimal pro Woche mit
       Pooltests testen. Und man kann das Tragen von FFP2-Masken, die ziemlich gut
       gegen Infektionen schützen, für alle Besucher verpflichtend machen.
       
       Aber es gibt in der Bevölkerung auch viele andere Menschen, die zu einer
       Risikogruppe gehören. 
       
       Da ist die Sache komplizierter. Aber auch für sie ist besserer Schutz
       möglich, indem sie mit FFP2-Masken versorgt werden und es Angebote gibt,
       die Kontakte verringern, etwa durch Nachbarschaftshilfen, organisierte
       Fahrten zur Vermeidung des ÖPNV, Kontaktpersonen, die bevorzugt getestet
       werden können, und und und.
       
       Warum wird das nicht längst gemacht? 
       
       Weil dafür keine Ressourcen zur Verfügung gestellt werden. Die
       Gesundheitsämter müssen sich stark auf die Kontaktnachverfolgung
       konzentrieren, die ohnehin schon an vielen Orten zusammengebrochen ist,
       statt auf diesen Schutz von Risikogruppen.
       
       Aber sind 20.000 Neuinfektionen am Tag nicht auch unabhängig von den
       Risikogruppen ein Problem? 
       
       Wichtiger als die absolute Zahl der Infektionen ist, wo diese relativ
       häufig stattfinden. Eher unter Jugendlichen, die oft keine Symptome haben?
       Oder eher in Altenheimen, wo es viele schwere Verläufe gibt? Ich plädiere
       dafür, das Infektionsgeschehen differenzierter zu betrachten und dann in
       einer regionalen Ampel darzustellen: Wie viele Menschen wurden getestet,
       wie viele infizierten sich, wie viele liegen im Krankenhaus, wie viele auf
       Intensivstationen? Denn die Situation ist nicht überall gleich:
       Berchtesgaden etwa hatte kürzlich extrem viele Neuinfektionen, aber die
       Krankenhäuser kamen dort nicht an Kapazitätsgrenzen.
       
       Aber würde eine solche regionale Unterteilung nicht noch mehr Verwirrung
       stiften darüber, welche Regeln wo gelten? Schon jetzt blicken ja viele
       Menschen nicht mehr durch. 
       
       Es geht zuerst darum, das Infektionsgeschehen regional besser darzustellen.
       Ob und wie dann die Maßnahmen regional angepasst werden, ist dann die
       nächste Frage. Deshalb kann man dies so pauschal nicht beantworten.
       
       Am Montag trifft sich die Kanzlerin erneut mit den Ministerpräsidenten, um
       über das weitere Vorgehen zu entscheiden. Was raten Sie ihnen: Sollen die
       Beschränkungen verlängert werden oder nicht? 
       
       Das hängt davon ab, welche Strategien man dann fährt. Wenn im Dezember
       alles pauschal geöffnet wird, sich sonst aber nichts ändert, werden wir in
       wenigen Wochen wieder da sein, wo wir waren. Ich würde es davon abhängig
       machen, was man kurzfristig auf die Beine zu stellen schafft, vor allem für
       den Schutz von Risikogruppen.
       
       Die Corona-Epidemie bedeutete auch für Sie eine große Veränderung: Vorher
       kannte Sie in der Öffentlichkeit niemand, jetzt sind Sie auf allen Kanälen
       präsent – und ernten auch viel Kritik. Macht Ihnen die Aufmerksamkeit Spaß,
       oder ist das eher eine Belastung? 
       
       Mal so, mal so. Was mich sehr betrübt, ist, dass wir nicht wirklich
       miteinander diskutieren, auch nicht immer unter uns Virologen. Es gab eine
       Phase, in der ich mich zurückziehen wollte, auch weil die Kritik durch
       Drohungen eine sehr unschöne Note erhielt. Aber inzwischen bin ich davon
       überzeugt, das dies auch der falsche Weg wäre, denn ich glaube, dass ich
       etwas beitragen kann.
       
       Teilweise werden Sie auch von Coronaleugnern vereinnahmt, die Sie mit
       früheren Aussagen zitieren – etwa dass Corona nicht gefährlicher sei als
       eine Grippe oder dass Masken nichts nützen würden. Wie gehen Sie damit um? 
       
       Wann immer ich Gelegenheit dazu bekomme, distanziere ich mich von den
       Coronaleugnern. Ich habe immer gesagt: Das ist ein ernst zu nehmendes
       Virus. Für Demonstrationen wie in Leipzig habe ich keinerlei Verständnis.
       
       Aber tragen Sie mit Ihrer Kritik an der Bundesregierung nicht
       möglicherweise doch dazu bei, die Leugnerszene zu stärken? 
       
       Ich finde es eher gefährlich, wenn man keine Diskussionen zulässt. Das
       spielt den Leugnern erst recht in die Hände. Stattdessen sollten wir
       deutlich machen, dass es trotz Differenzen im Detail einen breiten Konsens
       gibt – über einzelne Maßnahmen, aber auch über Langzeitstrategien.
       
       Haben Sie das Gefühl, dass man die Leugner noch mit Argumenten erreichen
       kann? 
       
       Ich bin davon überzeugt, dass es besser ist, auf Skepsis einzugehen, als
       Argumente beiseite zu schieben und sie pauschal als Coronaleugner abzutun.
       Bei vielen fehlt einfach das Verständnis für die Gefahr, die von diesem
       Virus ausgeht. Je mehr diskutiert und aufgeklärt wird, desto mehr wird
       idealerweise auch in diesem Lager Verständnis entwickelt. Darauf setze ich.
       Ob daraus dann Einsicht folgt, sei dahingestellt, aber deshalb darf man
       nicht aufhören, mit Argumenten überzeugen zu wollen.
       
       13 Nov 2020
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Erfolg-bei-Suche-nach-Corona-Impfstoff/!5727000
   DIR [2] /Aktuelle-Entwicklungen-in-der-Coronakrise/!5726908
   DIR [3] /Einigung-im-Corona-Gipfel/!5724526
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Malte Kreutzfeldt
   DIR Felix Lee
       
       ## TAGS
       
   DIR Schwerpunkt Coronavirus
   DIR Coronaleugner
   DIR Stadtplanung
   DIR Kolumne Zukunft
   DIR Hausarzt
   DIR Schwerpunkt Coronavirus
   DIR Schwerpunkt Coronavirus
   DIR Schwerpunkt Coronavirus
   DIR Schwerpunkt Coronavirus
   DIR Schwerpunkt Coronavirus
   DIR Schwerpunkt Coronavirus
   DIR Schwerpunkt Coronavirus
   DIR Schwerpunkt Coronavirus
   DIR Schwerpunkt Coronavirus
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Besonderes aus der Bundesstadt: Tütenweise Zaster für Bonn
       
       Über die Bundesmeile in Bonn ist Gras gewachsen. An anderer Stelle
       entstehen derweil Luftschlösser oder Seilbahnen – ein Rundgang.
       
   DIR Deutschland in der siebten Welle: Scheiße am Schuh
       
       In der Kolumne „Zukunft“ blickt unser Autor monatlich ein Jahr voraus. Der
       Auftakt handelt vom pandemiebedingt eingeschlossenen Deutschland.
       
   DIR Ärzte und Pflegende in der Coronakrise: Zwischen Wut und Routine
       
       Im April gaben uns eine OP-Schwester, ein Pfleger und ein Hausarzt Einblick
       in ihre Arbeit. Jetzt erzählen sie, wie sich ihr Alltag entwickelt hat.
       
   DIR Entscheidungen anhand von Coronazahlen: Unklare Grundlage
       
       Die Zahl der Neuinfektionen stagniert. Doch bildet das die Realität ab?
       Länder wollen neue Studie zur Gefahr in Schulen.
       
   DIR Weiterer Meilenstein bei Biontech: Impfstoff wirkt auch bei Älteren
       
       Gute Nachricht: Der Corona-Impfstoff des Mainzer Unternehmens Biontech
       wirkt auch bei Menschen ab 65 Jahren.
       
   DIR Neuer Corona-Impfstoff von Moderna: 94-prozentige Wirksamkeit
       
       Ein weiterer Konzern hat erfolgreiche Zwischenergebnisse in der
       Corona-Impfstoff-Forschung bekannt gegeben. Das Vakzin ist zudem einfach
       lagerbar.
       
   DIR RKI plant Impfkampagnen: Jeder Piks registriert
       
       Die Pläne für ein Impfregister, in dem alle Sars-CoV-2-Geimpften stehen,
       sind ziemlich weit. In Sachen Datenschutz und -sicherheit ist vieles
       unklar.
       
   DIR Strengerer Lockdown in Österreich: Bleibt's dahoam!
       
       Schulen dicht, Ausgangsbeschränkungen rund um die Uhr – die österreichische
       Regierung plant neue Corona-Maßnahmen. Merkel appelliert weiter an die
       Vernunft.
       
   DIR Aktuelle Entwicklungen in der Coronakrise: Neuer Rekord bei Neuinfektionen
       
       In den USA wie auch in Deutschland haben sich noch nie so viele Menschen an
       einem Tag mit dem Coronavirus angesteckt. In Tschechien flacht die Kurve
       ab.
       
   DIR Durchbruch beim Corona-Impfstoff: Ein Robert-Koch-Moment
       
       Die Unternehmen Biontech und Pfizer haben einen historischen Durchbruch
       geschafft: Mit einem neuen Impfstoff auf Basis der mRNA-Technologie.
       
   DIR Coronazahlen steigen weiter: Doch kein R-Wert unter 1
       
       Das Robert-Koch-Institut hatte eine gute Nachricht verbreitet – aber
       verfrüht. Die Zahl der Neuinfektionen und Todesfälle wächst weiter.
       
   DIR Die steile These: Streitet mehr über Coronaregeln!
       
       Wer die aktuellen Maßnahmen kritisiert, gilt schnell als Coronaleugner.
       Nicht Gegenvorschläge verunsichern, sondern die Einseitigkeit der Debatte.