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       # taz.de -- „Die Mannschaft“ in der Imagekrise: Kassandra im Nationaltrikot
       
       > Nie waren die Quoten so niedrig, mit der DFB-Elf geht es bergab. Die
       > Bundesliga sollte sich Sorgen machen: Die fetten Jahre sind vorbei.
       
   IMG Bild: Niederlage gegen Trödelshow: Zugpferde wie ehemals Schweini oder Poldi fehlen
       
       Am Mittwoch unterlag die Männer-Nationalelf gegen Horst Lichter. Der
       Fernsehkoch und Trödelonkel zog mit seiner Show „Bares für Rares“ und 5,45
       Millionen ZuschauerInnen souverän an Löw und den Seinen mit 5,28 Millionen
       vorbei. Ramschware schlägt Ramschware. Es war die schlechteste Quote eines
       deutschen Länderspiels zur Primetime seit mindestens 20 Jahren. Für
       Aufbruch standen die Zuschauenden nun auch nicht, die Hälfte des
       TV-Publikums war über 60 Jahre alt. Samstag gegen die Ukraine in der
       Nations League wird es kaum besser aussehen, seit 2018 sacken die Löwschen
       von Tief zu Tief.
       
       „DFB ist so unbeliebt wie sonst was“, lauteten die sehr akkuraten
       Schlagzeilen vor ziemlich genau einem Jahr. Immerhin, nette Konstanz in
       unruhigen Zeiten. Eine aktuelle Umfrage unter Fans fasst zusammen, womit
       der DFB – neben dem Sportlichen – seine Schäfchen vergrault haben soll:
       „Kommerzialisierung der Nationalelf“ (50 Prozent), „unsympathische
       DFB-Führung“ (40 Prozent), „zu viele Wettbewerbe“ (33 Prozent).
       
       Das kann niemanden überraschen. Der Fall des großen Verbands ist lange
       überfällig. Klubfußball und DFB waren so sicher, weltliche Nörgelei könne
       ihnen wumpe sein, so aufreizend gleichgültig, dass der Sturz viele nur noch
       mit Hohn bis Genugtuung erfüllt. Und doch ist das alles seltsam. Warum
       schadet dem FC Deutschland, was den Klubfußball viel eher betreffen müsste?
       Der ist bekanntlich zigfach kommerzieller, hat mehr Wettbewerbe und ist
       in puncto Steuerskandale auch bemerkenswert bestückt.
       
       Sind die Gründe für das DFB-Elend viel schnöder? Die Männer-Nationalelf war
       interessanterweise das letzte Element, das vom großen Fußballboom
       profitierte. Die meiste Zeit der Fußballgeschichte waren Länderspiele
       jenseits der Großturniere total egal. Wer hätte sich ein Freundschaftsspiel
       gegen Tschechien mit einer C-Elf überhaupt angeschaut? 5 Millionen im
       Leben nicht. Heute ist langsam wieder Normalität. Der große Boom um 2006
       begann in einer Phase, wo der Klubfußball schon seit fünfzehn Jahren wuchs.
       Der DFB kam spät zur Party – und verlässt sie als Erster wieder.
       
       ## Die Nationalelf war immer Seismograf
       
       Nach 2014 war die Erzählung „Oh, wir Deutschen sind ein bisschen multikulti
       und können auch schönen Fußball spielen“ auserzählt. Der DFB hat keine neue
       Erzählung gefunden, und seine vielfältigen, alten Probleme und die neue
       Bierhoffisierung störten in diesem Scheitern. Die Nationalelf war immer
       eher Seismograf für Fußballmainstream denn Konstante.
       
       Ein Verein lebt auch von regionaler oder lebenslanger Bindung, die
       Nationalelf jenseits der WM eigentlich nur von Gesichtern. Die aktuellen
       Nationalspieler aber haben, anders als Schweini und Poldi, für den
       kulturellen Mainstream keine Bedeutung mehr. Wer kennt Luca Waldschmidt
       oder Robin Koch? Noch dazu gurken sie bei Benfica Lissabon oder Leeds
       United herum, wo sie kaum jemand sieht.
       
       Es ist fast wie beim Frauenfußball: Die kennt keiner mehr. Sie sind blass.
       Eine erfolgreiche EM kann das ändern, aber die Breitenwirkung fehlt. Und es
       rächt sich die fehlende Demokratie. Es mangelt beim DFB an jeder Art von
       Partizipation, auch an aktiver Fankultur, an kritischem Innenleben. Vereine
       und Verbände brauchen sie dringend, um sich zu erneuern. Der DFB wirkt in
       dieser Hinsicht wie ein ausgestopfter Elch. Und das sollte auch die
       Bundesliga sorgen.
       
       Während der DFB zuletzt den Eindruck eines peinlichen Onkels erweckte,
       verfährt die DFL nach ähnlichen Prinzipien, aber professioneller, glatter,
       klüger. Aber mit ähnlichen Fehlern. Die Zeichen waren im Frühjahr
       angesichts fallender Quoten schon da; die Kassandra im Nationaltrikot für
       85 Euro trifft auch den Klubfußball. So groß wie in den letzten fünfzehn
       Jahren wird der Fußball nie wieder. Zum Glück.
       
       13 Nov 2020
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Alina Schwermer
       
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