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       # taz.de -- Vermögensabgabe in der Pandemie: Adenauer hat's vorgemacht
       
       > Die Linke-Fraktion will Superreiche in der Coronakrise zur Kasse bitten.
       > Vorbild ist der Lastenausgleich nach dem Zweiten Weltkrieg.
       
   IMG Bild: Für solche Beträge würden Superreiche nicht mal vom Sofa aufstehen
       
       Berlin taz | Ob es Künstler sind, Kellnerinnen oder Gastwirte: Durch die
       Coronapandemie fürchten viele Menschen um ihre nackte Existenz. Doch die
       sehr kleine Gruppe der Superreichen profitierte von der Krise sogar. Die
       119 Milliardäre in Deutschland kamen im Juli auf ein Gesamtvermögen von 595
       Milliarden Dollar, im März 2019 lag die Summe noch bei 500,9 Milliarden
       Dollar – das geht aus Berechnungen der Beratungsgesellschaft PwC und der
       Schweizer Großbank UBS hervor.
       
       Die Linkspartei fordert deshalb, die Superreichen durch eine
       Vermögensabgabe an den Kosten für die Coronakrise zu beteiligen. Ihre
       Bundestagsfraktion und die parteinahe Rosa-Luxemburg-Stiftung haben ihr
       [1][Konzept extra vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW)]
       durchrechnen lassen. „Es ist Zeit, dass sich die obersten ein Prozent
       fragen, was sie für dieses Land tun können, und nicht immer nur fragen, was
       dieses Land für sie tun kann“, sagte Fabio de Masi, Finanzexperte der
       Linke-Fraktion.
       
       Vorbild soll der Lastenausgleich nach dem Zweiten Weltkrieg sein. Unter dem
       CDU-Kanzler Konrad Adenauer mussten Vermögende eine Abgabe in einen Fonds
       zahlen, mit dem zum Beispiel Spätheimkehrer oder Vertriebene entschädigt
       wurden.
       
       Die Kosten für die Coronapandemie belasten den Staat sehr. Allein für 2021
       sieht der Bundeshaushalt von Finanzminister Olaf Scholz (SPD) eine
       Neuverschuldung von gut 96 Milliarden Euro vor. Der Staat hat drei
       Möglichkeiten, mit den immensen Corona-Ausgaben umzugehen: Er kann die
       Schulden ignorieren, was angesichts der Nullzinspolitik der Europäischen
       Zentralbank möglich ist. Er kann Ausgaben kürzen, etwa im Sozialetat, der
       einen großen Anteil am Haushalt ausmacht. Oder er kann sich neue Einnahmen
       verschaffen – genau hier knüpft der Vorschlag der Linke-Fraktion an.
       
       ## 310 Milliarden Euro für den Staat
       
       Ihr favorisiertes Modell einer Vermögensabgabe würde die oberen 0,7 Prozent
       der Deutschen treffen. Jeder, der mindestens über ein privates
       Nettovermögen von 2 Millionen Euro verfügt oder über Betriebsvermögen von
       mindestens 5 Millionen Euro, müsste eine einmalige Abgabe zahlen. Der erste
       Euro über diesen Freibeträgen würde mit einem Steuersatz von 10 Prozent
       belegt. Jener stiege gleichmäßig bis zu einem Höchstsatz von 30 Prozent an.
       Dieser Satz würde aber erst ab einem Vermögen von 100 Millionen Euro
       fällig.
       
       Die einmalige Abgabe wäre über 20 Jahre zu tilgen. Auch hier lehnt sich das
       Modell an Adenauers Lastenausgleich an, der über einen langen Zeitraum
       abgezahlt werden durfte. Durch die Streckung werde Besteuerung in der
       Substanz vermieden, ist sich die Linke-Fraktion sicher. Ebenso würden
       Immobilien in guten Innenstadtlagen nicht belastet, welche manche Familien
       wegen des Booms auf dem Wohnungsmarkt auf dem Papier zu Millionären gemacht
       hätten.
       
       Fabio de Masi schätzte die Belastungen für die Reichen durch das Konzept
       als „moderat und realistisch“ ein. Mit den Einnahmen von 310 Milliarden
       Euro ließen sich über den Bund die Investitionen in Ländern und Kommunen
       anschieben, betonte er. Das DIW hat auch andere Varianten gerechnet. Wenn
       der Spitzen-Abgabesatz von 30 Prozent schon ab Vermögen von 30 Millionen
       Euro greifen würde, könnte der Staat bis zu 560 Milliarden Euro einnehmen.
       
       Die SPD wirbt seit Längerem für eine [2][Vermögensteuer]. Allerdings hielt
       Lothar Binding, der finanzpolitische Sprecher der SPD-Fraktion, den
       Zeitpunkt der Initiative für viel zu früh. „Wir wissen ja noch gar nicht,
       wie lange die Coronakrise andauern wird, welche Auswirkungen sie haben wird
       und vor allem, wer gut und wer schlecht durch die Krise kommt“, sagte
       Binding am Mittwoch der taz.
       
       ## Grüne bleiben vage
       
       In der Krise kümmere sich die Gemeinschaft um all jene, die in Not gerieten
       – und nachher kümmerten sich alle, die gut durch die Krise gekommen seien,
       wieder um die Gemeinschaft. „Und da können jene, die etwa zu den stärksten
       10 Prozent gehören, einen größeren Beitrag leisten als alle anderen.“ Auch
       eine Vermögensabgabe, auf 30 oder 40 Jahre verteilt, könne erträglich sein,
       sagte Binding.
       
       Auch Lisa Paus, die Finanzexpertin der Grünen-Fraktion, mahnte eine faire
       Lastenverteilung an. „Die größte wirtschaftliche Krise der
       Nachkriegsgeschichte werden wir nur gemeinsam lösen, und auch die
       Krisenkosten müssen fair verteilt werden“, sagte sie am Mittwoch der taz.
       Sonst drohe die Krise die soziale Spaltung weiter zu verschärfen.
       
       Während einige wenige nahezu unbeschadet durch die Krise gekommen seien,
       habe sie viele kalt erwischt, betonte Paus. „Es kann nicht sein, dass wir
       in einer solchen Situation die Fehler der letzten Finanzkrise wiederholen.“
       Deutschland habe immer wieder nach besonderen Herausforderungen besondere
       Formen des Lastenausgleichs gefunden.
       
       Paus vermied allerdings die Wörter „Abgabe“ oder „Steuer“. Der Hintergrund:
       Die Grünen machten im Wahlkampf 2013 schlechte Erfahrungen damit, in der
       Steuerpolitik allzu konkret zu werden. Deshalb, so eine interne
       Verabredung, wollen sie über detaillierte Instrumente tunlichst schweigen –
       und nur allgemein auf die Solidarität Vermögender pochen.
       
       ## Union ist strikt dagegen
       
       Die Union ist strikt gegen eine Vermögensbesteuerung sehr reicher Menschen.
       „Vermögensabgaben wärmen nur die Herzen von Menschen, die keinen
       ökonomischen Sachverstand haben und unsere Wirtschaft ruinieren wollen“,
       sagte Eckhardt Rehberg, der haushaltspolitische Sprecher der
       Unionsfraktion, am Mittwoch der taz. Eine solche Abgabe treffe immer das
       Betriebsvermögen von Familienunternehmen, Mittelständlern und
       Kleinunternehmern.
       
       Betriebsvermögen liege nicht nutzlos auf Bankkonten herum, sondern sei in
       Maschinen und Produktionsmitteln gebunden, betonte Rehberg. Eine
       Vermögensabgabe gehe zulasten von Investitionen und Arbeitsplätzen. „Wir
       können aus dieser schweren Krise nur mit unseren Unternehmen herauswachsen
       – und nicht gegen sie.“
       
       Wegen der Haltung der Union wird es in dieser Legislaturperiode nicht zu
       einer Vermögensabgabe kommen. Auch Schwarz-Grün würde sie vermutlich nicht
       einführen. Eine solche Abgabe wäre ein Projekt für eine grün-rot-rote
       Koalition.
       
       4 Nov 2020
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.diw.de/documents/publikationen/73/diw_01.c.801975.de/diwkompakt_2020-157.pdf
   DIR [2] https://www.spd.de/aktuelles/vermoegensteuer/
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Ulrich Schulte
       
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