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       # taz.de -- Stimmauszählung in den USA: Nach Wahl Kampf
       
       > Eingeschworene Anhänger von Präsident Donald Trump wittern Wahlbetrug:
       > Sie verlangen, die Auszählung der Stimmen sofort zu beenden.
       
       Stop the Steal“ – beendet den Diebstahl – lautet der neueste Schlachtruf im
       rechten Lager der Vereinigten Staaten. Er ertönt vor Wahlbüros, auf den
       konkurrierenden rechten Fernseh- und Youtube-Kanälen, auf Facebook und in
       den fundamentalistischen Gebetskreisen von evangelikalen Christen quer
       durch die USA. Viele, die ihn rufen, schwingen gleich drei Sorten von
       Flaggen: eine US-Fahne, eine Trump-Fahne und eine schwarz-blaue
       Polizeifahne. Manche schultern zusätzlich Gewehre. 150 solcher Schusswaffen
       tragender Demokratieverteidiger versammelten sich am Mittwochabend in
       Maricopa County, Arizona, vor dem Büro, in dessen Inneren immer noch die
       Stimmen der Präsidentschaftswahl ausgezählt werden.
       
       Der Hashtag, der unterstellt, dass der Diebstahl von Stimmen eine Tatsache
       wäre, geht auf eine Kampagne von Donald Trump zurück. Der Präsident findet
       seit Monaten die seltsamsten Argumente gegen die Briefwahl und behauptet,
       dass die DemokratInnen und die „Lügen-Medien“ massive Wahlfälschungen
       vorbereiten würden.
       
       Tatsächlich sind Wahlfälschungen in den Vereinigten Staaten von Amerika so
       selten, dass sie statistisch kaum nachgewiesen werden können. Auch eine
       hochkarätig besetzte Untersuchungskommission, die zu Anfang von Trumps
       Amtszeit in seinem Auftrag Wahlbetrug dokumentieren sollte, musste ihre
       Arbeit ergebnislos einstellen. Der frisch gewählte Präsident hatte damals
       behauptet, „massive Wahlfälschung“ habe dazu geführt, dass seine
       Kontrahentin bei den Wahlen von 2016, Hillary Clinton, drei Millionen
       Stimmen mehr bekommen habe als er.
       
       Vier Jahre später beschuldigt Trump nun den Demokraten Joe Biden und seine
       Anhänger derselben erfundenen Straftat. Und Hunderttausende Trump-Anhänger
       glauben es. Sie kommentieren den Hashtag „StoptheSteal“ mit gehobenem
       Daumen und verbreiten ihn wie ein Lauffeuer auf den sozialen Medien weiter.
       Es stört sie nicht, dass Twitter Trumps Behauptungen als falsch und
       manipulativ markiert hat. Sie sind überzeugt, dass Trump nur verlieren
       könnte, wenn es eine massive Wahlmanipulation gibt. Und dass alle, wirklich
       alle, die etwas anderes sagen, lügen.
       
       ## Der Verräter heißt Fox News
       
       Als nach der Nachrichtenagentur Associated Press auch der rechte TV-Sender
       Fox verkündet, dass der Demokrat Joe Biden – und nicht Trump – der klare
       Sieger in Arizona sei, richtet sich die Wut der Trump-Anhänger unmittelbar
       gegen Fox News. Sie spüren Verrat. Jahrelang galten für sie die großen
       Kanäle CNN und MSNBC als feindlich gesinnte Medien. In ihren eigenen
       Wohnungen flimmerte ununterbrochen [1][Fox News] vom Bildschirm, oft schon
       am frühen Morgen mit Telefoninterviews des Präsidenten im Programm. Aber
       am Mittwochabend in Maricopa County rufen sie: „Down with Fox.“
       
       Auch Trump selbst ist wegen der Berichterstattung über Arizona sauer auf
       seinen Haussender Fox News. Auf dem rechten Kanal Newsmax erzählt dessen
       Chef Chris Ruddy, dass er mit dem Präsidenten gesprochen habe und dass der
       sich über die schlechte Praxis der Medien beklage. „Er ist enttäuscht von
       Fox.“ Ruddy fügt hinzu, dass Trump befürchte, „die Medien“ könnten die
       Wahlen stehlen. Aber dass er zugleich im „Kampfmodus“ sei, dass er sein
       Anwaltsteam zusammenstelle und dass er sich auf die Schlacht an den
       Gerichten vorbereite. „Er muss wie ein Präsident aussehen, nicht wie ein
       Kandidat“, ergänzt ihn der Moderator.
       
       Zahlreiche rechte Medien sehen in diesem Moment auch eine Gelegenheit, auf
       Kosten von Fox News neue Zuschauer zu gewinnen. Sie wetteifern darum, wer
       am entschiedensten zu Donald Trump hält. Auf dem Sender America First tut
       das Sebastian Gorka. Er war kurzzeitig Berater von Trump. Dann hatte er ein
       ebenfalls kurzes Gastspiel bei Fox News. In diesen Tagen unterstützt er den
       Präsidenten auf America First. In Abwandlung eines Stalinzitats sagt Gorka
       dort, dass es nicht zähle, wer wie abstimme: „Wichtig ist, wer zählt.“
       Wichtig sei außerdem, so Gorka, wer die „größere Hodenstärke“ (sic!) habe.
       
       Auch ein einstiger Politikberater des Demokraten Bill Clinton ist laut an
       der neuesten Trump-Kampagne beteiligt. Dick Morris erklärt auf dem nach ihm
       selbst benannten Sender, „die Demokraten versuchen einen Staatsstreich“.
       Überall, wo die Gouverneure Demokraten seien, würden sie versuchen, bei der
       Stimmauszählung zu pfuschen. Dann zählt Morris die Swing Staats North
       Carolina, Pennsylvania, Wisconsin und Michigan auf, in denen es fast
       überall so aussieht, als könnte Biden gewinnen. Morris feuert seine
       Zuschauer an: „Es ist ein Grabenkrieg. Wir müssen um jeden einzelnen
       Stimmzettel kämpfen.“
       
       So einheitlich der Hashtag „StoptheSteal“ klingen mag, so unterschiedlich
       sehen die Forderungen der Trump-Anhänger je nach ihrem Standort in den USA
       aus. Während sie in Maricopa County unterstellen, ihre Stimmen seien nicht
       berücksichtigt worden und verlangen, dass sie endlich auch gezählt werden,
       rufen sie andernorts den Schlachtruf: „Stop the Vote“ – Beendet die
       Stimmauszählung. Auch dieser Spruch geht auf Donald Trump zurück. Nachdem
       der die Briefwahl diffamiert hatte, verlangt er jetzt, dass die Auszählung
       dieser Briefwahlstimmen sofort gestoppt wird. In einigen der entscheidenden
       Swing States ist klar, dass die Mehrheit der noch nicht völlig ausgezählten
       Stimmen aus großstädtischen Gebieten stammen, in denen die meisten Wähler
       traditionell demokratisch stimmen.
       
       Trumps religiöse Beraterin [2][Paula White-Cain] hat sich in die Schlacht
       um die Stimmenauszählung eingemischt. In den Wochen vor der Wahl hat die
       Predigerin die evangelikalen Christen zur Wahl von Trump gedrängt. Mit
       mehreren dutzend Millionen Stimmen handelt es sich dabei um den größten
       zusammenhängenden Wählerblock der USA. Am Mittwoch twittert White-Cain:
       „Betet inbrünstig (…) es gibt eine große Sorge, dass jemand diese Wahl
       stiehlt.“ Aber im selben Tweet beruhigt sie, dass Gott alles wisse und dass
       er (Gott) dafür sorgen werde, dass „die Pläne seiner Feinde scheitern“.
       
       Während in Maricopa County schon Waffen vor dem Auszählungslokal
       auftauchen, beschränken sich die Demonstranten andernorts noch auf Worte
       und Flaggen. Ebenfalls in Arizona sind Frauen für Trump zum State Capitol
       gezogen, um dort gegen die angeblich falsche Stimmauszählung zu
       demonstrieren. Wie die bewaffneten Männer vor dem Wahllokal tragen die
       meisten von ihnen keine Masken. Und wie sie geben sie sich als die
       Verteidigerinnen der Demokratie. „Schützt die Resultate“, rufen sie.
       
       Derselbe Slogan ist auch auf der politischen Linken präsent. In Seattle,
       Portland, Minneapolis und New York demonstrieren Menschen seit dem Mittwoch
       dafür, dass jede Stimme ausgezählt wird. In Minneapolis besetzen
       Demonstranten mit Fahnen, auf denen „Revolution“ steht und „schafft das
       verdammte System ab“, einen Highway. Die Polizei räumt sie. In New York
       kesselt die Polizei am Mittwochabend friedliche Demonstranten im East
       Village ein. Die Polizisten tragen Kampfuniformen und benutzen ihre
       Fahrräder als Barrikaden. Mehr als 50 Menschen werden fest genommen.
       
       In Philadelphia, wo weiterhin Stimmen ausgezählt werden, überträgt das
       Wahlbüro die Bilder aus der Behörde ins Internet. Trump-Anhänger in den
       sozialen Medien wittern jedes Mal, wenn ein Auszähler nach einem
       Taschentuch greift, dass es sich um einen Fall von versuchter Wahlfälschung
       handelt. Gleichzeitig versucht die republikanische Partei im Bundesstaat
       Pennsylvania den dortigen Justizminister zu desavouieren. Der Demokrat Josh
       Shapiro sei „befangen“, sagen sie und verlangen, dass er während der
       Auszählung zur Seite tritt. Die Journalisten der rechten Website Breitbart
       News dokumentieren das anschließend ausführlich.
       
       In Detroit versuchen Trumps Unterstützter unterdessen in das Lokal zu
       kommen, in dem gerade gezählt wird. Wegen der Covid-Ansteckungsgefahr
       dürfen sie nicht herein. Die Polizei hält sie ab. Auch in Las Vegas
       versammeln sich dutzende Trump-Anhänger vor einem Lokal, in dessen Innern
       die Wahlhelfer versuchen, sich auf das Auszählen von Stimmen zu
       konzentrieren.
       
       Es ist eine hausgemachte Krise. Und es ist der Moment für große Auftritte
       von Staatssekretären. Jeder Bundesstaat hat einEn davon. Sie sind zuständig
       für die Vorbereitung und Abwicklung von Wahlen. „Ich lasse keine Fälschung
       zu“, erklären die Staatssekretärinnen in Wisconsin und Michigan und
       andernorts. An den aufgeregten Trump-Unterstützern auf der Straße geht das
       vorbei. Sie wollen Köpfe rollen sehen, die Wahlvorsteher, die
       Justizminister und die Staatssekretäre. „Stop the Steal“, ruft jemand. Auf
       seinem T-Shirt steht: „BBQ, Beer, Freedom“. Sein Präsident verfolgt
       inzwischen einen anderen Slogan. „Stop the Count!“, schreibt Trump auf
       Twitter – Hört auf mit dem Auszählen.
       
       5 Nov 2020
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.foxnews.com/
   DIR [2] https://www.deutschlandfunk.de/paula-white-im-us-wahlkampf-trumps-fromme-cheerleaderin.886.de.html?dram%3Aarticle_id=471810
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Dorothea Hahn
       
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