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       # taz.de -- Kindheit nach dem Faschismus: Die Kinder finden den Weg
       
       > Jella Lepman erinnert in „Die Kinderbuchbrücke“ an den Aufbau der
       > Internationalen Jugendbibliothek im Nachkriegsdeutschland.
       
   IMG Bild: Kinder in der Jugendbuchausstellung in Hamburg 1946
       
       Als Jella Lepman mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten
       Berufsverbot erhält und beim Stuttgarter Neuen Tageblatt entlassen wird,
       flieht die jüdische Journalistin mit ihren zwei Kindern 1936 aus
       Deutschland. Mit Umweg über Italien erreichten sie ein Jahr später
       Großbritannien. Ab 1941 arbeitet Jella Lepman dort für die American
       Broadcasting Station in Europe, wo sie mit Golo Mann Beiträge nach
       Deutschland sendet.
       
       Unmittelbar nach Kriegsende wird die ehemalige Stuttgarterin 1945 von der
       US-Armee angeworben, im Zuge des Re-Education-Programms als Beraterin für
       kulturelle und erzieherische Angelegenheiten nach Deutschland
       zurückzukehren. Trotz großer innerer Widerstände reist die Journalistin als
       eine von wenigen Frauen und im militärischen Rang eines Colonel in das
       Hauptquartier der amerikanischen Besatzungszone nach Bad Homburg.
       
       Unterwegs in einem zugigen Militärjeep verschafft sie sich zu Beginn ihrer
       Mission zunächst einen Eindruck von der Lage in ihrer ehemaligen Heimat.
       Dabei trifft sie auf sich selbst überlassene, umherstreifende Kinderbanden
       genauso wie auf unbelehrbare Nazis.
       
       Bei einem Besuch ihrer ehemaligen Stuttgarter Zeitung erlebt Lepman, wie
       dort [1][ohne Zögern zum Tagesgeschäft übergegangen wird]. „So einfach war
       das, gestern war gestern, heute war heute, es verschlug einem den Atem.
       Nicht nur aus Erschütterung, dass eine der furchtbarsten Katastrophen der
       Weltgeschichte übersprungen wurde, sondern dass es mit solcher
       Selbstverständlichkeit geschah.“
       
       ## Mit großem Elan
       
       Nach dieser ernüchternden Rundreise schlug Jella Lepman ihren Vorgesetzten
       im Headquarter in Bad Homburg vor: „Lassen Sie uns bei den Kindern
       anfangen, um diese gänzlich verwirrte Welt langsam wieder ins Lot zu
       bringen. Die Kinder werden den Erwachsenen den Weg weisen.“ Ohne Budget,
       aber mit großem Elan arbeitete sie fortan an dem Vorhaben einer
       internationalen Kinder- und Jugendbuchausstellung.
       
       In einem dringenden Appell an zwanzig Nationen ruft sie dazu auf, aus jedem
       Land eine Auswahl ihrer Kinderbücher und Kinderzeichnungen dem jungen
       Publikum in Deutschland zu präsentieren. „Die deutschen Kinder tragen keine
       Schuld an diesem Krieg, deshalb sollen ihre Bücher die ersten Boten des
       Friedens sein!“ Lepmans Anfrage hatte Erfolg, und so konnte die Ausstellung
       „Das Jugendbuch“ als die erste internationale Veranstaltung im
       Nachkriegsdeutschland am 3. Juni 1946 im Haus der Kunst in München
       eröffnen. Mit großem Besucherandrang folgten Stationen in Stuttgart,
       Frankfurt, Hamburg und Berlin.
       
       „Die Kinderbuchbrücke“, Jella Lepmans fesselnder und [2][scharfsinniger
       Bericht über ihre Erlebnisse im Nachkriegsdeutschland] sowie über ihr
       dortiges Wirken, das 1949 zur Gründung der einzigartigen Internationalen
       Jugendbibliothek führte, erschien anlässlich ihres 50. Todestags nun in
       einer reich bebilderten und kommentierten Neuauflage.
       
       Ihr Engagement als Reaktion auf die Erfahrung von Krieg, Vernichtung und
       Diktatur hat die Bedeutung von Kinder-und Jugendliteratur in Deutschland
       nachhaltig geprägt. Inzwischen ist die Internationale Jugendbibliothek in
       München weltweit die größte Bibliothek ihrer Art. Dem Gründungsgedanken
       Jella Lepmans verpflichtet, steht sie bis heute für kulturellen Austausch
       und Toleranz.
       
       14 Nov 2020
       
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