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       # taz.de -- Trauer als Schulfach: Was wirklich hilft
       
       > Obwohl der Tod eines geliebten Menschen alle treffen wird, wissen doch
       > die wenigsten, wie man trauert oder Trauernde tröstet. Das muss gelernt
       > werden.
       
   IMG Bild: Eine gute Freundin wusste sie trösten. Indem sie das Untröstliche aussprach
       
       Ich finde, es sollte Trauer als Schulfach geben. Denken Sie mal drüber
       nach: Wir alle haben Menschen in unserem Leben, die wir lieben. Das heißt,
       dass jede*r Einzelne von uns [1][im Lauf des Lebens trauern wird] – ohne
       Ausnahme. Keine Liebe ohne Verlust, so einfach ist das. Trotzdem wissen wir
       nicht, was es heißt, den Verlust auszuhalten. Wir stolpern in diesen
       Zustand, der in unser aller Leben vorprogrammiert ist, ohne die leiseste
       Ahnung davon zu haben, was uns erwartet. Und auch die Menschen um uns herum
       haben keine Ahnung, wie sie damit umgehen sollen.
       
       Als ich das erste Mal in meinem Leben richtig trauerte, versuchten meine
       Freund*innen mich zu trösten. „Wenigstens leidet er jetzt nicht mehr“,
       sagten sie. „Bald wird es dir wieder besser gehen.“ „Danach wirst du
       stärker sein.“ Diese Sätze waren gut gemeint. Aber sie machten mich
       unglaublich wütend. Erst als ich das Buch „It’s OK That You’re Not OK“ von
       Megan Devine las, wurde mir klar, warum.
       
       Die US-amerikanische Psychotherapeutin war dabei, als ihr Partner Matt im
       Urlaub ertrank. In der Zeit nach seinem Tod begegneten ihr, genau wie mir,
       überall reflexartige Tröstungsversuche. Sie erklärt, dass diesen Sätzen ein
       impliziter zweiter Teil anhängt. „Ghost sentence“ nennt Megan Devine ihn,
       den Halbsatz, der unausgesprochen bleibt, dessen Botschaft aber klar und
       deutlich ist: Fühl dich nicht so, wie du dich gerade fühlst; sei nicht so
       traurig, wie du bist.
       
       Das hilft nicht weiter, im Gegenteil: „Um sich von jemandem getröstet
       fühlen zu können, müssen Sie das Gefühl haben, in ihrem Schmerz gehört
       worden zu sein“, sagt Devine. „Sie brauchen es, die Realität Ihres
       Verlustes widergespiegelt zu bekommen – in vollem Umfang, unverwässert.“
       
       ## Trauer muss man nicht loswerden
       
       Auch wenn es unserer Intuition widerspricht – es wird nichts „wieder gut“,
       wenn jemand gestorben ist. Trauernde Menschen sind im wahrsten Sinne des
       Wortes untröstlich. Sie brauchen niemanden, der sie aufmuntert. Sie
       brauchen eine Person, die bei ihnen bleibt und ihren Schmerz aushält. So
       hart, so roh er auch sein mag. Das klingt einfach, ist es aber nicht – weil
       es uns quält, Menschen leiden zu sehen, an denen uns etwas liegt.
       
       Doch dafür müssen wir unsere [2][Meinung über Trauer grundlegend ändern].
       Sie ist nichts, was wir so schnell wie möglich wieder loswerden müssen.
       „Die Fehlannahme lautet: Wenn etwas sich unangenehm anfühlt, stimmt etwas
       nicht“, erklärt Megan Devine. „Trauer schmerzt, folglich muss sie schlecht
       sein.“ Doch nicht die Trauer ist das Problem, sondern dass ein geliebter
       Mensch gestorben ist. Das, was darauf folgt, ist ein höllischer Prozess,
       aber er hat seinen Sinn: durch ihn lernen wir, mit unserem Verlust
       weiterzuleben.
       
       Eine einzige meiner Freund*innen hatte das Schulfach übrigens scheinbar
       schon belegt. Sie sagte etwas wirklich Tröstliches zu mir: „Es ist
       schlimm“, sagte sie, „ganz, ganz schlimm.“ Ohne Halbsatz. 1+. Mit
       Sternchen.
       
       23 Nov 2020
       
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