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       # taz.de -- Vor Parteitag der AfD: Mit Maske im Wunderland
       
       > Die AfD will ihren Parteitag am Wochenende trotz Pandemie als
       > Präsenztreffen durchführen. Halten sich die 600 Delegierten an die
       > Hygieneregeln?
       
   IMG Bild: Stellt sich gegen die Coronaregeln: die AfD-Fraktion im Bundestag
       
       Berlin taz | Das Wunderland Kalkar ist ein ziemlich spezieller Ort. Auf dem
       Gelände eines nie in Kraft getretenen Kernkraftwerks – des „schnellen
       Brüters“ – am Niederrhein in Nordrhein-Westfalen hat ein niederländischer
       Investor in den neunziger Jahren ein Kongresszentrum samt Freizeitpark
       gebaut. Draußen an dem Kühlturm ist jetzt eine Kletterwand, drinnen ein
       riesiges Kettenkarussell. Beides, wie der Freizeitpark insgesamt, ist
       derzeit coronabedingt geschlossen, man wirbt für einen
       „Drive-in-Weihnachtsmarkt“ im Dezember.
       
       Schon vorher, am kommenden Wochenende, wird in zwei der Kongresshallen eine
       Veranstaltung stattfinden, die ebenfalls ziemlich speziell werden dürfte.
       Die AfD wird hier, mitten im coronabedingten Lockdown light, [1][einen
       Präsenz-Bundesparteitag] durchführen, zu dem bis zu 600 Delegierte und 150
       Journalist:innen erwartet werden.
       
       In einer der Hallen werden Bühne, Delegierte und Fernsehkameras sein, in
       der zweiten die Arbeitsplätze für angereiste Journalist:innen. Von diesen
       aber erwägen zahlreiche – auch aus der taz – wegen der Gesundheitsgefahr
       nicht nach Kalkar zu fahren und anstelle dessen mithilfe eines Livestreams
       zu berichten.
       
       Die Stadt hat die Zusammenkunft in Absprache mit dem Gesundheitsministerium
       des Landes wegen der besonderen Stellung von Parteien erlaubt. Damit das
       Ganze nicht zum Superspreader-Event wird, hat sie umfassende Hygieneregeln
       vorgeschrieben. Man darf gespannt sein, ob sich die AfDler:innen, von denen
       viele keine Gelegenheit auslassen, [2][gegen die Schutzmaßnahmen zu
       polemisieren] oder sie [3][gleich zu unterlaufen], an die Vorschriften
       halten werden.
       
       ## Meuthen will Maskenverweigerer rausschmeißen
       
       Derzeit gehört auch eine Maskenpflicht am Platz dazu. Dagegen hat die AfD
       vor dem Oberverwaltungsgericht Münster geklagt. „Wenn wir mit der Klage
       scheitern, werden wir die Maskenpflicht durchsetzen“, sagte Parteichef Jörg
       Meuthen der taz. „Wenn jemand sich den Hygienebestimmungen hartnäckig
       verweigert, müssen wir ihn rausschmeißen.“ Auf die AfD könnten also,
       zusätzlich zu den üblichen parteiinternen Konflikten, noch ganz besondere
       Auseinandersetzungen zukommen.
       
       Dabei ist die [4][Stimmung in der Partei derzeit ohnehin nicht die beste].
       Die Umfragewerte sind schlecht, eine Beobachtung der Gesamtpartei durch den
       Verfassungsschutz droht, und der Machtkampf um den Parteiausschluss des
       Rechtsextremisten und Brandenburger Ex-Landeschefs Andreas Kalbitz hat die
       AfD tief gespalten und die Zusammenarbeit in der Parteispitze dramatisch
       erschwert.
       
       Inhaltlich soll es auf dem Parteitag, der ursprünglich bereits im April
       stattfinden sollte, vor allem um Sozialpolitik gehen. Die AfD will sich
       erstmals auf ein Rentenkonzept verständigen. Im Vorfeld hatte es darüber
       heftige Auseinandersetzungen geben – die Vorstellungen lagen weit
       auseinander.
       
       Parteichef Meuthen hatte vorgeschlagen, die gesetzliche Rentenversicherung,
       die durch Beiträge von Arbeitgeber:innen und Arbeitnehmer:innen finanziert
       wird, abzuschaffen und durch eine steuerfinanzierte Mindestrente zu
       ersetzen – was große Teile der Partei für keine gute Idee gehalten haben.
       
       ## Rentenzuschlag nur für Deutsche, sagt der „Flügel“
       
       Im Gegensatz dazu sprach der „Flügel“, vertreten durch Björn Höcke und den
       Thüringer Bundestagsabgeordneten Jürgen Pohl, von „sozialem Patriotismus“,
       heißt: mehr staatliche Fürsorge, völkisch unterlegt. Nach ihren
       Vorstellungen sollte es unter bestimmten Umständen einen Rentenzuschlag nur
       für Deutsche geben.
       
       In zähen Debatten ist ein Leitantrag entstanden, über den der Parteitag nun
       abstimmen soll. Es ist ein Kompromiss, der vor allem verhindern soll, dass
       es zu einer Kampfabstimmung zwischen zwei grundsätzlich unterschiedlichen
       Konzepten kommt – und bei dem Parteichef Meuthen wahrscheinlich eine
       bittere Niederlage eingefahren hätte.
       
       Für dessen Grundposition bleibt jetzt auch nur noch ein Platz in der recht
       unverbindlichen Rubrik „Ausblick“. Den Vorstellungen von Höcke, Pohl und Co
       kommt der Leitantrag deutlich näher. Zwar findet sich der völkisch
       grundierte Rentenzuschlag im Leitantrag nicht mehr, dafür soll der Staat
       jetzt für Kinder jeden Monat 100 Euro auf ein Sparkonto anlegen –
       allerdings nur für jene mit deutscher Staatsbürgerschaft.
       
       Insgesamt besteht der Antrag aus einem Sammelsurium von Maßnahmen, die zum
       Teil bereits von anderen Parteien bekannt sind. So sollen laut Leitantrag
       künftig auch Politiker:innen, ein Teil der Beamt:innen und manche
       Selbstständige in die gesetzliche Rentenversicherung einzahlen. Zudem
       sollen von der Rente nur 25 Prozent auf einen möglichen
       Grundsicherungsanspruch angerechnet werden. Das ist bemerkenswert, denn es
       bedeutet: Rentner:innen bekämen auch dann noch ergänzende Grundsicherung,
       wenn sie etwa 1.200 Euro Rente erhalten.
       
       ## Leitantrag als Kompromissversuch
       
       Zwar hört man überall in der Partei, man gehe davon aus, dass der
       Leitantrag durchkomme. Aber es gibt 42 Änderungsanträge, von denen manche
       das Kompromisspapier ganz vom Tisch wischen und durch ein eigenes
       Rentenmodell ersetzen wollen. Eines dieser Gegenmodelle hat ausgerechnet
       der Bundesfachausschuss 11 eingebracht, das für Rente, Arbeit und
       Sozialpolitik zuständige Gremium der Partei, dem auch Meuthen angehört.
       
       Das Konzept, das vorgeschlagen wird, kommt den ursprünglichen Vorstellungen
       des Parteichefs recht nahe. Plant der also einen neuen Anlauf durch die
       Hintertür? „Ich trage den Leitantrag mit“, sagt Meuthen auf Nachfrage. Doch
       er sagt auch: „Der Antrag des BFA 11 ist sehr reformorientiert. Es ist gut,
       dass er eingebracht wird.“ Das allerdings sehen nicht alle so.
       
       Für den AfD-Chef, der zwar betont, er gehe „ganz entspannt“ in diesen
       Parteitag, könnte es am Wochenende auch jenseits der Sozialpolitik
       ungemütlich werden. Ein Antrag unter dem Kürzel „SN-3“ greift ihn frontal
       an. „Der Bundesparteitag missbilligt das spalterische Gebaren von
       Bundessprecher Jörg Meuthen und seinen Parteigängern“, heißt es darin.
       
       Festgestellt werden soll, so der Antrag weiter, „dass der Absturz in der
       Wählergunst kausal genau damit zusammenhängt“. Das käme dann wohl einem
       parteischädigenden Verhalten gleich, was ein Grund für ein
       Parteiausschlussverfahren ist.
       
       ## Teile der Partei greifen Meuthen frontal an
       
       Eingebracht hat den Antrag der Freiburger Kreisvorstand, in dem unter
       anderem Dubravko Mandic sitzt, ein erbitterter Gegner Meuthens. Trotz
       diverser rechtsextremer Ausfälle hat der Landesvorstand Baden-Württemberg
       kürzlich entschieden, Mandic nicht aus der Partei auszuschließen. Der Mann
       ist in der AfD zwar eine Randfigur, aber der [5][Unmut gegen Meuthen] wegen
       des Rauswurfs von Kalbitz ist in der AfD deutlich weiter verbreitet als nur
       in Mandic' Kreisen.
       
       Dies könnte auch bei einem anderen Tagesordnungspunkt deutlich werden: Wenn
       es unter Tagesordnungspunkt 11 um Nachwahlen für den Bundesvorstand geht,
       wo zwei, möglicherweise auch drei Posten neu zu besetzen sind. Zum einen
       wird ein Nachfolger für den im Januar zurückgetretenen Bundesschatzmeister
       Klaus Fohrmann gesucht, für diesen Posten wird sein bisheriger
       Stellverterter Carsten Hütter aus Sachsen gehandelt. Rückt Hütter auf,
       müsste zudem ein neuer Stellvertreter gewählt werden.
       
       Sicher neu besetzt werden muss der Beisitzerposten, den bis zu seinem
       Rausschmiss Kalbitz innehatte. Für diesen will der Rechtsanwalt Maximilian
       Krah kandidieren – ein radikal rechter Katholik aus Sachsen, der für die
       AfD im Europarlament sitzt. Krah gilt als „Flügel“-nah, betont selbst aber,
       der Truppe um Höcke und Kalbitz nie angehört zu haben.
       
       Er habe weder die Erfurter Erklärung unterschrieben noch sei er je auf dem
       Kyffhäuser gewesen, sagte Krah der taz. Und: „Ich bin in alle Lager der
       Partei vermittelbar.“ Er wolle den tief gespaltenen Bundesvorstand wieder
       zusammenführen, so Krah. Das trauen ihm offenbar nicht alle in der Partei
       zu. Es wird mit Gegenkandidaturen gerechnet.
       
       24 Nov 2020
       
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